Von Guido Dörheide (15.10.203)
Extreme Metal aus Deutschland ist manchmal schon sehr extrem und manchmal auch einzigartig. Wir erinnern uns an Necrophagist, auf deren drittes Album wir seit 2004 warten wie dereinst auf eine weitere musikalische Äußerung von Syd Barrett, und an die immer noch aktiven Obscura, die uns seit ebendiesem 2004 mit immer weiteren tollen Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Technical Death Metal begeistern.
Alkaloid ist eine deutsche Extreme-Metal-Supergroup, die 2015 mit „The Malkuth Grimoire“ für Aufsehen gesorgt hat und die ihren exzellenten Ruf 2018 mit „Liquid Anatomy“ weiter festigen konnte. Wer sind nun diese „Alkaloid“? Es handelt sich um niemand Geringere als Hannes Grossmann (dr), Ex-Obscura, Ex-Blotted-Science (zusammen mit Ron Jarzombek, DEM Ron Jarzombek von Watchtower und Spastic Inc. [NIIEEMALS zu verwechseln mit Mono Inc.] UND Alex Webster von (!!!!) Cannibal Corpse), Christian Münzner (git) (Ex-Obscura, Ex-Spawn-Of-Possession, Ex-Necrophagist), Linus Klausenitzer (b) (Ex-Obscura) sowie Morean (voc, git) am Gesang und der Gitarre. Alkaloid klingt also zunächst von der Papierform mal etwas Obscura-lastig, aber so hören sie sich nicht an. Münzner ist einer DER deutschen Extreme-Metal-Gitarristen, und Hannes Grossmann ist in etwa Münzners Entsprechung als Schlagzeuger. Beide haben Soloalben herausgebracht, auf denen man sich von ihrer Fähigkeit als Bandleader überzeugen kann, und mit Linus Klausenitzer haben beide bei „Eternity’s End“ zusammengespielt. Eine illustre Runde nicht ganz so alter Männer also, die hier bei Alkaloid versammelt ist.
Alkaloid spielen Progressive Death Metal, wobei Morean nicht nur guttural, sondern auch klar singt, und im Gegensatz zu manch anderer Death-Metal-Band ist der Sound von Alkaloid sehr klar, fast schon klinisch sauber, richtig fette Riffs wechseln sich mit Akustikgitarre ab, Melodien gibt es zuhauf, und die Songs sind zumeist lang (sieben von elf Songs auf „Numen“ sind länger als sechs Minuten). Auf dem Opener „Qliphosis“ krächzt Morean zunächst fragend in Klausenitzers Bass und eine eher fragend daherkommenden Gitarre hinein, dann ertönt ein krachendes Riff, Morean grunzt rhythmisch dazu und nach kurzer Zeit pfeift die Leadgitarre ein fröhliches Liedchen dazu, als würde ein Vogel singen, dann wieder Gitarre/Bass-Stakkato und der Gesang wechselt andauernd zwischen Klar- und Grunzgesang. Klingt anstrengend, ist es aber nicht; Alkaloid schaffen es, stets mühelos daherzukommen, derweil die Hörenden hinterherhecheln. Wenn wir gerade gerafft haben, dass wir es hier mit ziemlich heftig ballerndem Death Metal zu tun haben, wird auf einmal jazzig auf einer akustischen Gitarre herumgepickt, dann wieder donnert es, dann wieder ebendiese jazzige Akustikgitarre, die in ein jaulendes Solo übergeht, das von donnernden Riffs aufgefangen wird und dann singt Morean wieder nicht klar, aber auch nicht growlend und alles kommt seehr melodisch daher. Um dann wieder ratternd und gröhlend zum Ende zu kommen. Das war wie gesagt erst das Eröffnungsstück. Mehr Variation als andere Bands es auf Albumlänge zustande bringen. Es folgt „The Cambrian Explosion“, und das Stück reiht wahrlich eine Explosion an die andere: Der Song beginnt mit einem kurzen, aber heftigen Gitarrensolo, dass in ein hektisches Riff übergeht und von bellendem Gesang aufgefangen wird, um dann durch ein leicht angezerrtes Akustik-Solo unterbrochen zu werden, im Anschluss sorgt wieder der Gesang für brachialen Rhythmus und die Gitarrenriffs überschlagen sich regelrecht. Man darf eigentlich nicht allzu genau hinhören, sonst wird einem blümerant. Das folgende „Clusterfuck“ ist ein Paradebeispiel für den Alkaloid-typischen Wechsel zwischen melodischem Klar- und alles eineißendem Grunzgesang. Das Stück beginnt langsam und mit einer schönen Melodie, die sowohl vom Gesang als auch von der Leadgitarre getragen wird, dann grunzt es, dann wird hell und melodisch sowas wie ein Refrain gesungen, anschließend reißen die Instrumente nebst Gesang die Hörenden in einen schwindlig machenden Strudel hinein, dann Solo und Bassgedonnere, und dann steigert sich der Song in den eigentlichen Refrain: „Decay, Wretchedness, Clusterfuck / Failure, All is dead, Clusterfuck / Disaster, Clusterfuck / All for nothing, Clusterfuck.“ Das alles intoniert wie „Clooooooostooooooorfoooooooock!“ Nach diesem Song (3 von 11, wohlgemerkt!) brauche ich erstmal eine Pause und gehe raus, eine rauchen. Alkaloid tun das hingegen nicht, sondern donnern weiter.
Alles passt auf diesem Album Die Musik ist technisch unglaublich perfekt, alle Instrumente werden von Virtuosen gespielt, die Band spielt in hervorragender Weise zusammen, das Songwriting ist überzeugend und mitreißend, die erzeugte Stimmung ist düster und geichzeitig euphorisch, die Produktion ist ausgereift und wird allen Instrumenten gerecht – Alkaloid legen hier einen überzeugenden Anwärter auf das Extreme-Metal-Album 2023 hin.