Von Guido Dörheide (03.04.2022)
So – hier jetzt als Einstieg kein KBV (Kate Bush Vergleich, mit fehlenden Bindestrichen). Aldous Harding HAT eine tolle Stimme, und sie scheut auch nicht davor zurück, diese auch einzusetzen, steht aber meiner Meinung nach komplett für sich selbst und singt auf nahezu jedem Stück des neuen Albums so, als sänge jemand anderes als auf dem vorhergehenden Stück. Allein der Künstlername nimmt mich für die Neuseeländerin Hannah Sian Topp ein – 50% Brave New World, 50% Dylan – geht kaum besser. Obwohl a) der Vorname wohl nicht von Huxley inspiriert ist und b) „Harding“ tatsächlich der Familienname von Hardings Mutter ist. Aber egal – manche Namen klingen einfach toll und warum denn auch nicht?
Toll klingen tut in erster Linie auch mal Hardings neues Album „Warm Chris.“ Es ist sparsam instrumentiert – hauptsächlich viel Klavier, leise Gitarren, mal ein Banjo, ein Saxofon, eine Orgel und auch Schlagzeug – und pendelt irgendwo zwischen Folk und glücklicherweise nicht vollkommen unsperrigem Indie-Pop.
Das erste Stück „Ennui“ beginnt mit einem zunächst repetitiv daherkommenden Klavierrhythmus, der dann mit einem Brummton unterlegt wird (Saxofon, wie sich später herausstellt), anfängt, lustige Kapriolen zu schlagen, und dann setzt der Gesang ein – teilweise vernuschelt, sich dann immer höher windend und doch immer irgendwie hingehaucht, als hätte man die Künstlerin eben aufgeweckt und während des Singens wird sie nach und nach wach. Langeweile geht anders, definitiv, und das Album geht ebenso spannend weiter: „Tick Tock“ hat einen verschlurften „I am a loser baby, so why don‘t you kill me“-mäßigen Beat und der Gesang schwankt zwischen schüchtern, gelangweilt und irgendwann nahezu fröhlich. „Fever“ wirkt auf mich von der Stimme her, als wäre Harding mit ihren Autorädern auf einer Schotterpiste unterwegs, mag mich aber auch täuschen. Das darauf folgende Titelstück ist sehr folkig, wird aber immer wieder von einer schrammeligen E-Gitarre unterbrochen, ein schöner Effekt. „Lawn“ ist wieder ein Klavierstück, diesmal mit schepperigem Schlagzeug unterlegt und mit etwas wie einer Mädchenstimme gesungen
Wie Harding ihre Stimme bei „Passion Babe“ zur Geltung kommen lässt, sollte man sich selber anhören, ich finde hier nicht die richtigen Worte dafür (am ehesten würde ich wieder den Vergleich mit der unvergleichlichen Lucinda Williams herbeibemühen). Hätte ich „Leathery Whip“ noch nicht gehört, würde ich „Passion Babe“ zum Highlight dieses an Highlights nicht eben armen Albums erklären. Darauf folgt „She‘ll Be Coming Round The Mountain“ – es erinnert glücklicherweise nicht an das gleichnamige „Ich hab ne Tante aus Marokko“, sondern in seiner Reduktion auf Klavier und diese großartige Stimme an „After The Gold Rush“ von Neil Young (obwohl der ja die Tante aus Marokko ebenfalls bereits besungen hat, auf „Americana“, 2012, zack, passt!).
Das folgende „Staring At The Henry Moore“ klingt von der Melodie des Refrains entfernt nach „Heart Of Glass“ von Blondie – entfernt genug, um es als etwas Eigenes zu feiern, als etwas total Tolles ohnehin. „Bubbles“ ist eine ruhige Klavierballade, wunderschön, die mit viel Gefühl auf meinen persönlichen Albumhöhepunkt einstimmt: „Leathery Whip“ – mit einer Melodie, ich mich total hypnotisiert, dieser tollen Orgel und gesungen wie es Christa Päffgen zu Lebzeiten besser nicht hinbekommen hätte – nur besser. Und beim Refrain wird die Stimme – komplett konträr zur eben noch als Vergleich herangezogenen Nico – dann nochmal richtig hoch.
So – und jetzt müsste ich noch auf die Texte eingehen, das lasse ich aber – immerhin ist das hier meine erste Rezension, in der ich mich mit großer Freude an jedem einzelnen Stück abarbeite, und ich gebe gerne zu, dass ich die Texte sprachlich als total schön empfinde, sie aber weder zu deuten noch zu kommentieren in der Lage bin – also verbleibe ich herzlichst mit der Empfehlung, sich da selber mal hineinzulesen. Es lohnt sich.