Von Matthias Bosenick (27.06.2012)
Es ist gut, dass es Menschen wie Ai Weiwei gibt, und schlimm, dass es sie geben muss. Ai ist ein Künstler, und doch ist er mehr: Er gibt den Menschen in seinem Mutterland China Hoffnung, und eigentlich gibt er sie auch dem ganzen Rest der Welt. Der filmhistorisch komplett unbeleckten Alison Klayman gab Ai die Erlaubnis, ihn zu begleiten und seinen Alltag zu dokumentieren. Das Ergebnis ist ein weit runderes Bild, als man es aus Berichten über den Aktivisten und Künstler sonst bekommt. Klayman ergänzt diese beiden um eine weitere Komponente: Die Person Ai Weiwei. Der Film ist auch für Zuschauer ohne Vorkenntnisse verständlich, weil Klayman zu allem, was sie zeigt, die jeweilige Vorgeschichte mitliefert. Klayman zeigt Ai im Kampf gegen ein autoritäres Regime und für Transparenz und Gerechtigkeit – und macht damit nur deutlich, dass Ais Probleme keine rein chinesischen sind.
Ai, der Künstler: Der 54-Jährige schafft Raumgreifendes mit Bezug zu seiner Heimat. So bemalt er etwa steinzeitliche Tongefäße oder versieht sie mit der Aufschrift „Coca Cola“, verknüpft alte chinesische Möbel miteinander, lässt von chinesischen Manufakturmitarbeitern 100 Millionen Keramik-Sonnenblumenkerne handbemalen oder ordnet 9000 Rucksäcke so nach Farben an, dass sie auf Chinesisch den Satz „Sieben Jahre lebte sie glücklich in dieser Welt“ ergeben. Das hat alles definitiv beeindruckendes ästhetisches Potential – aber auch eine Bedeutung.
Ai, der Aktivist: Damit, dass er historische Objekte wiederverwendet, protestiert er etwa gegen die Haltung der chinesischen Regierung, Vergangenheit zu verschleiern. Mit den 9000 Rucksäcken nimmt er Bezug zu einer Aktion, mit der er die Folgen eines Erdbebens aufarbeitete, indem er Freiwillige fand, die die Namen der bei dem Beben zu Tode gekommenen Schulkinder ermittelte – gegen den Willen der Regierung. Bei all seinen Aktionen nutzt Ai das Internet, er twittert und bloggt und erzeugt so eine Öffentlichkeit, die seine Regierung teilweise mit Gewalt zu verhindern versucht. Seine weltweite Prominenz schützt ihn nur bedingt: Bis vor einem Jahr setzte ihn die Regierung für 81 Tage in Haft und entließ ihn nur mit strengsten Auflagen. Trotzdem hört Ai nicht auf.
Ai, der Mensch: Eigentlich schirmt Ai sein Privatleben von seinem öffentlichen Leben ab. So sehr er sich für Transparenz einsetzt, so wenig lässt er sie bei sich zu. Doch nicht um seiner selbst willen: Er schützt damit seine Angehörigen und Freunde. Die entscheiden selbst, inwieweit sie sich in die Öffentlichkeit begeben wollen, und nehmen Klaymans Film zaghaft zum Anlass dazu. So sieht man seine Mutter, seinen Bruder, seine Frau, seinen Sohn sowie dessen Mutter – eine merkwürdige Konstellation, die Ai schulterzuckend mit „manchmal passieren ungewünschte Dinge“ kommentiert. Klayman zeigt Ai als freundlichen Chef, der wie Andy Warhol Angestellte für sich die Kunst machen lässt, die ihm wie „Auftragskiller“ folgen, zeigt ihn als beistehenden Gatten und fürsorglichen Vater, zeigt ihn als rebellischen Sohn mit eigenem Kopf.
So ergibt sich das Bild von einem eigensinnigen, kämpferischen, aufgeklärten und sympathischen Bären, der den mühsamen Kampf gegen die Mühlen seines autoritären Regimes aufgenommen hat. Ai macht Mut, mit allem, was er tut: Es ist möglich, seine Stimme zu erheben, eine Öffentlichkeit zu bekommen, Nachfolger – nicht nur auf Twitter – zu finden. Dabei sei er nicht furchtlos, wie er betont: Er habe Angst, aber wenn er sich nicht gegen die Umstände stemme, würde die Angst noch größer. Eine beachtliche Motivation.
Da sind dann auch drastische Worte und Gesten erlaubt. In solch einem Kontext ist ein „Fuck“ wirkungsvoll und ein gegen den Tian’anmen-Platz gerichteter Stinkefinger so aussagekräftig wie der ganze Film. Bei allem ist Ai kein schlichter Zerstörer, was ihm wie allen Regime- und sonstigen Staaskritikern gerne unterstellt wird: Im Grunde ist er ein Patriot, denn nur, wer ein Interesse am Wohlergehen seines Landes hat, benennt dessen Missstände. Das gilt überall. Es ist an der Zeit. In einem autoritären Regime leben wir Europäer auch schon längst – und lassen es zu.