Von Guido Dörheide (15.02.2023)
Nachdem ich mich in meinem letzten Artikel mit Genrebezeichnungen, von denen ich keine Ahnung habe, weit aus dem Fenster lehnte, versuche ich es gar nicht erst, die Musik von Ahab irgendwie zu klassifizieren. Gut 7 Jahre nach ihrer letzten Veröffentlichung „The Boats Of The Glen Carrig“ melden sich die Haupt- und wohl einzigen Protagonisten des Nautik Funeral Death Doom mit „The Coral Tombs“ eindrucksvoll vom Rande des Odenwaldes zurück.
Rein von der Prospektlage (vielen vielen lieben Dankeschön an meinen Kollegen M aus H für diese wunderbare Vokabel) weiß „The Coral Tombs“ zu beeindrucken, bevor ich es zum ersten Mal gehört habe: Ein in schwarz/grau und – sagen wir mal – Kupfer, bevor es grün wird, gehaltenes Coverartwork, das ein Korallenriff (jetzt hätte ich beinahe „Gitarrenriff“ geschrieben, aber dazu kommen wir später) nebst prähistorischem Unterseeboot sowie einem weißes Zeug rauspustenden Kraken und einer Beerdigungsprozession mit kurzbehosten Sargträgern mit Taucherhelmen zeigt, sorgt für den gewissen Gruselfaktor. Also quasi eine Unterseebestattung. Wir können eben nicht alle im gelben U-Boot leben oder unten im Meer, im Garten eines Kraken. Dazu eine Spielzeit von knapp über einer Stunde bei nur 7 Stücken, deren Titel Latein und Englisch beinhalten, dafür aber keine Mathematik.
Dem Doom im Allgemeinen stehe ich einigermaßen gespalten gegenüber – ich mag zum Beispiel My Dying Bride sehr, Cathedral und Paradise Lost fast genauso sehr, wohingegen ich Candlemass entsprechend ihres Herkunftslandes immer eher als das IKEA des Doom Metal ansehe, verglichen mit sagen wir mal USM Haller, der haltbareren, filigraneren und kostspieligeren Variante dieses Konzepts – manche sagen auch, die Musik von Ahab ist wenig eingängig und kann langweilen und einschläfern. Gerade bei nur wenigen, langen Stücken bei ausschweifender Spielzeit möchte man das vermuten.
Aber Ahab sind hiervon glücklicherweise etwa 20.000 Meilen entfernt. Und zwar nach unten: Auf „The Coral Tombs“ arbeiten sie sich textlich an Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer“ ab, und was liegt näher, angesichts eines an einem vierbuchstabigen Kapitän aus der Weltliteratur ausgerichteten Bandnamens? Lässt man „Der Alte“ auch als 4 Buchstaben gelten, bin ich gespannt auf Ahabs doomige Umsetzung von L.G. Buchheims „Das Boot“. Aber wenden wir uns zunächst dem aktuellen Album zu:
Bereitet mir der Wechsel zwischen Growl- und Klargesang auch manchmal Magenschmerzen – bei Ahab ist dies in keinster Weise der Fall, auch wenn dieser hier an der Tagesordnung ist. Daniel Droste beherrscht beide Arten von Gesang in einer Weise, die stets songdienlich ist und die Hörenden gleichermaßen in den Bann schlägt. In diesen schlägt mich bereits das erste Stück, „Prof. Arronax‘ Descent Into The Vast Oceans“. Es beginnt mit Blastbeats und Blackmetalgekreische nebst beeindruckenden Growls. Das hält aber nur ca. eine Minute an, dann werden Lautstärke und Aggressivität auf eine industriell anmutende Weise heruntergefahren, eine Akustikgitarre ertönt und Droste singt sehr gefühlvoll im Bariton (ich hoffe, ich alter Erzbanause liege da richtig). Das geht bis Minute Dreieinhalb, dann holt Drummer Cornelius Althammer (das ist fürwahr ein Drummername, ist es nicht?) aus, haut wuchtig auf die Tom, Droste baritoniert weiter, Christian R. Hector schlägt spärliche, aber umso ausdrucksvollere Akkorde auf der Elektrischen an und gegen Minute 6 rumpelt sich Althammer in so eine wuchtig donnernde Melvins-Rhythmik hinein, Drostes Gesang wird immer beschwörender und heulender, Hector spielt eine wundervoll jaulende Gitarrenmelodie, von der ich mir bis heute nicht sicher bin, ob es noch Riff oder schon Solo ist. Und unter das alles setzt Stephan Wandernoth einen Bass, der sich nicht in den Vordergrund drängt, aber ohne den das alles Nichts wäre.
Dann – nach über 8 Minuten – das zweite Stück, „Colossus Of The Liquid Graves“. Was für 1 Bombast würden Candlemass daraus machen, gäbe man ihnen die Rechte am Namen dieses Songs! „Colossus Doomicus Liquidicos“. Por Favor. Und was machen Ahab? Die gehen bei und lassen die Gitarren schöön langsam quietschen (die eine) und dunkel dröhnen (die andere). Dann kommt Droste hinzu und singt wahrhaft stimmungsvoll. Am Ende der ersten Strophe fängt ihn die höhere der beiden Gitarren auf und er singt auf einmal klar. Ganz kurz nur. Dann Iommy-mäßiges Riffing vom Allerfeinsten, und just in dem Moment, in dem die/der Hörende denkt, „nun könnte mal wieder jemand singen“, tut Droste das – growlend. Die Gitarren doomen weiter vor sich hin und auf einmal geht Droste wieder zum Klargesang über – ein wenig erinnert mich seine Art, so zu singen, daran, wie ich mir ein doomiges Metalkloster vorstelle. 12 Minuten um und das zweite Stück gerade halb beendet und ich langweile mich bisher keine Minute. Und ich denke, Ahab bringen das Stück zuende, ohne dass ich es die ganze Zeit kommentiere, daher ein kurzes Wort zur Produktion: Exzellent! „The Coral Tombs“ tönt satt aus den Bluetooth-Küchenlautsprechern, die Drums haben Wumms, alle Instrumente kommen voll zur Geltung, das Hören des Albums macht Spaß.
Dann Song 3 – „Mobilis in Mobili“. Der Titel klingt zugegebenermaßen scheiße, so wie „Quantität statt Qualität“, nur halt von Nergal formuliert, oder sowas ähnlich Abgeschmacktes. Die Musik hingegen klingt toll: Das Stück beginnt mit langsamen Pling-Pling, in das die Gitarre einsetzt, dabei immer tiefer wird und sich vom Bass begleiten lässt, dann fängt Droste an zu grunzen und alles passt. Das Riffing steigert sich in eine Art „Iron Man“-Parodie hinein, dann wieder Akustikgitarren-Pling-Pling, und am Ende eine stoische Huldigung der Gitarrenrepetition mit düsterem Gegrowle – wahrlich knapp achteinhalb Minuten, die wie im Fluge verfliegen. Danach wird es auf diesem Album keinen Song mehr geben, der die 10 Minuten unterschreitet. Den Anfang macht „The Sea As A Desert“, ein Meer zum Nachtisch, warum auch nicht? Wieder ein schönes Akustik-Intro, die zweite Gitarre setzt ein und nach zwei Minuten entfesselt sich ein langsames Dröhndemonium, von spärlichen, aber wieder melvinsmäßig donnernden Drums in Ordnung gehalten und Droste singt zunächst wie direkt aus dem Grab, intensiv wie an keiner Stelle des Albums bisher, dann wieder der Signature Death Doom Bariton und man wünscht sich, dass das Stück nie wieder enden würde.
Was es natürlich dennoch tut und Platz macht für das beinahe nicht minder lange Titelstück „A Coral Tomb“. Dieses baut sich schön ruhig auf und klingt dabei nach gediegenem Gothic Rock der gehobenen Sorte, dann setzt eine Solo-E-Gitarre ein, die den Hörenden verdeutlicht, dass sie es hier mit nichts Geringerem als einer Metal-Band zu tun haben. Echt jetzt? Der danach über uns hereinbrechende Gesang ist näher an Fields Of The Nephilim, als alles, was Carl McCoy seit den späten 80ern gemacht hat, und derweil spuit die Musi stoisch weiter, als wäre nichts gewesen. Uuuh huuuh, Gänsehaut, super! Wie kann dieser Sänger, der bis dahin Growls und Klargesang direkt aus dem Hier & Jetzt abgeliefert hat, auf einmal so wie direkt aus dem Grab klingen und dann wieder ansatzlos in den schönen, tiefen Klargesang übergehen? Egal, Droste kann das und zögert keine Sekunde, von diesem Können Gebrauch zu machen. Derweil die Kapelle stoisch Akkorde klampft und auf die Trommel haut. Und dabei macht die Gitarre die Zuhörenden immer wieder gebannt hinhören. Was ist das für 1 Band? Hammer!
Mit „Ägri Somnia“ (man denke sich vor dem „g“ diesen obskuren skandinavischen Buchstaben, der aus A und E besteht und den ich jetzt jeder Band mit Ausnahme von Ahab als wichtigtuerischen Manierismus um die Ohren geschlagen hätte) folgt dann das längste Stück des Albums, dessen nicht enden wollendes Intro ich gerne weiland in den 80ern Kirk Hammett an die Hand gegeben hätte, dass der mal sieht, dass Pling-Pling nicht nur im Kontrast mit extrem schnellem, harten Gerattere funktioniert, sondern auch mal für sich genommen sehr schön klingen kann. Sobald Drostes Gesang einsetzt, fühle ich mich an Baroness oder Mastodon erinnert, ist aber nur so ein kurzer Gedanke, bevor Droste wieder leise und düster growlt, als gäbe es kein Morgen und als könnte es vor allem nicht vortrefflicher zu dieser Musik passen. Dann singt er wieder klar und das Riffing folgt der Ansage von Mark E. Smith von vor bestimmt schon 40 Jahren: „Repetition, Repetition, Repetition, Repetition“. Sowas Schönes! Drostes Gesang nimmt die Hörenden bis kurz vor Ende des Stückes extrem gefangen und dann setzt ein beinahe schmerzendes Quietschen ein. Der Übergang zum siebten und letzten Stück des Albums, „The Mælstrom“, auf dem uns Ahab in einen selbigen hineinziehen. Klagender Gesang, wunderschön düster vor sich hinmäandernde Riffs, dann wieder lebensverneinend repetierende, vom Grunzgesang begleitete Klanglandschaften und immer, wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwoher melodischer Klargesang nebst wunderschön melodischer Leadgitarre daher. Und gegen Ende des Albums entscheidet sich Droste dann, nicht mehr zwischen Grunz- und Klargesang entscheiden zu müssen, sondern schreit einfach alles einfach nur so raus und lässt die Hörenden eventuell verstört, aber dennoch begeistert zurück.
P.S: Eine autobiographische Anekdote zum Thema „Ahab“ will ich gerne noch loswerden: Am 6. Januar 2023 begab es sich, dass C, H und ich uns in die Klaue (eine authentisch-verrauchte, urst sympathische Braunschweigische Heavy-Metal-Gaststätte) begaben, um dort am heiligen Metal-Quiz teilzunehmen, das quasi vom Jörg Pilawa des Metallwissensvergleichs, nämlich von Till Burgwächter, angeleitet wurde. Mit unserem Team, spontan „Judith Priest“ getauft, belegten wir den zweiten Platz und gewannen Karten zum Record-Release-Konzert von Ahab am 13. Januar in der Jugendkirche zu Braunschweig. Aus terminlichen Gründen war H der einzige von uns, der es geschafft hat, das Konzert vor Ort mitzuerleben, und er war restlos begeistert („Gewöhnungsbedürftig. Metalkiffermucke.“), konnte aber leider meinem Rat, sich am Taufbecken festzukleben, nicht folgen.