Von Matthias Bosenick (09.10.2014)
Dem Albumtitel fehlt ein N. Und damit der Musik auch. Elektromeister Vince Clarke verlegt sich zu sehr auf Clubsounds, dazu steht Andy Bells Charakterstimme fast wie ein Kontrapunkt, der sich nicht einfügen mag – das Ergebnis erinnert damit zu sehr an Schlager. Genau genommen machen Erasure seit 19 Jahren keine richtig gute Musik und keine richtig hängenbleibenden Songs mehr. Das belegt auch die Bonus-CD mit einem Live-Konzert, dessen Songauswahl mit Ausnahme von „Breathe“ aus dem Jahr 2004 auch nur bis maximal zum selbstbetitelten letzten guten Album (1995) zurückreicht. Wer wiederum die interessanten Remixe haben will, muss sein Konto für diese dritte CD ordentlich plündern. Warum jedoch bleibt man dem Duo treu? Das muss mit Treue und Loyalität zu tun haben. Und vielleicht mit dem wohligen Gefühl einer aufgegebenen Heimat, in die sich Übervierzigjährige zurückziehen können.
Ihr jüngstes Studioalbum ließen sich Erasure modern via Pledge vorfinanzieren. Schade nur, dass man als einstiger Einstürzende-Neubauten-Supporter bei solcherlei Aktionen immer im Hinterkopf hat, man habe Einflussmöglichkeiten auf das Produkt, doch ist dem nicht so. Erasure machen, was sie wollen, was ja eigentlich auch genau richtig ist, aber man wünscht sich doch schon viel zu lange, dass ihnen mal einer sagt, wie weit sie sich von ihrem eigenen Charakter wegbewegen. Vince Clarke mag ja ein Soundzauberer sein, doch hört man es den zu homogenen Songs nicht an, wie viel Schweiß und Herzblut darin stecken mag. Das fällt besonders stark ins Bewusstsein im Vergleich mit den Songs, für die man sie in den ersten zehn Jahren zu lieben gelernt hatte.
Die Bonus-CD der Deluxe-Version legt davon mit einem Konzert aus dem Jahr 2011 Zeugnis ab: Wie mutig waren Lieder wie „Ship Of Fools“, „Chains Of Love“, „Blue Savannah“, und trotzdem erfolgreich und beliebt, oder besser: gerade deshalb. Schade nur, dass die Songs dieser Live-CD bis auf einen frischen Chor-Break bei „Victim Of Love“ im Grunde Studio-Versionen mit Applaus, Ansagen und gelegentlichem Frauenchor, also recht überflüssig sind. Nicht ganz, zugegeben: Manche Sounds klingen gar einen Tuck zu billig. Erasure hätten stattdessen die Remix-CD der hyperlimitierten Box als Bonus der Deluxe-Version anbieten sollen, da gestalten Koryphäen wie BT, Chris Carter & Cosey Fanny Tutti (Throbbing Gristle), Paul Humphreys (OMD) und Mute-Chef Daniel Miller (The Normal) sowie einige Newcomer das Hauptalbum neu. Gut, das klingt interessanter, als es ist, weil schon das Ausgangsmaterial clubdienlich ist; glaubt man dem Internet, fügen die Remixer dem nichts grob überraschend Abweichendes hinzu.
Auf „The Violet Flame“ gibt es mit „Smoke And Mirrors“ immerhin einen Song, der aus dem Standardbeat und den gleichen glatten Sounds herausragt, indem er das Tempo reduziert und trotzdem nachdrücklich Kraft und Eleganz ausstrahlt. Schade, dass solche Songs auf Erasure-Alben inzwischen die Minderheit sind. Und immer rutscht einem beim Nennen des neuen Albumtitels ein N dazwischen: Nein, es heißt nicht „The Violent Flame“. Leider. Aber das Cover ist hübsch und würde genau zu diesem Titel passen.