Jimmy’s Hall – Ken Loach – GB/F/IRL 2014

Von Matthias Bosenick (21.08.2014)

Erschreckend zeitgemäß ist die Geschichte von dem Iren Jimmy Gralton aus dem Jahr 1932, die uns Ken Loach mit seinem offenbar letzten Film erzählt. Das tut er nach alter Schule: ohne schnelle Schnitte, aber mit kunstvoll komponierten Bildern, schönen Farben, schlüssigen Zeitsprüngen, pointierten Dialogen, politischer Botschaft und der wohl schönsten Sexszene ohne Sex, die es im Kino gibt.

Irland ist politisch für Außenstehende unfassbar schwer fassbar. Man weiß grob: Die katholischen Republikaner stehen den einstigen Unterdrückern, den protestantischen Briten, gegenüber. Dazwischen gibt es diverse Abstufungen von Konfession, Gewalt, Ideologie. Daher sind Gut und Böse in Irland nur schwer überhaupt zu trennen, grob hat sich die Haltung durchgesetzt: Irland gut, England böse. Umso verwirrender ist für den Betrachter vermutlich die (in den Grundzügen wahre) Geschichte von Jimmy Gralton, der 1932 aus New York nach Irland zurückkehrt und dort von Teilen der Bevölkerung dazu motiviert wird, etwas wiederzubeleben, das zehn Jahre zuvor der Grund war, weshalb er überhaupt fliehen musste: Jimmy’s Hall, eine Art soziokulturelles Zentrum, mit ehrenamtlich und privat organisierten Fortbildungskursen in Kunst, Handarbeit, Boxen und Tanz für Jung und Alt, 1932 nicht nur wie 1922 traditionellem Irischen, sondern zusätzlich auch dem neumodischen Jazz aus New York, zu dem Schwarze und Weiße gemischt tanzten, eine Undenkbarkeit, die der gute Gralton bejubelt. Sein Gegner ist wie zehn Jahre zuvor das im allgemeinen Kanon eigentlich das als Gute geltende: die katholische Kirche Irlands. Die beansprucht den Bildungsauftrag für sich allein und wittert in Jimmy’s Hall eine Brutstätte des Kommunismus. Der Pfarrer solidarisiert sich nun mit dem Gutsherren und dessen republikanischen Gefolgsleuten. Somit werden die von England Unterdrückten ihrerseits zu Unterdrückern und bei Loach recht eindeutig zu den Bösen.

Zwar kommt es im Film auch zu Gewalt und Heimtücke, doch lässt Loach mit dem unfreiwilligen Rebellen Gralton und dem egomanischen Pfarrer sowie deren jeweiligen Sidekicks Charaktere aufeinandertreffen, die zu sprachlich gewandten Schlagabtauschen in der Lage sind. Mit diesen bringt er den Zuschauer zu erfreuten Beifallsbekundungen, selbst wenn – wie im echten Leben – die Machthaber letztlich obenauf bleiben. Überhaupt lässt Loach die Protagonisten beider Seiten mit internen Diskussionsrunden ihre Pros und Contras aufzählen und offenbart damit die Zerrissenheit beider Parteien (wenngleich die Bösen zielgerichteter sind). Dabei fallen die gelegentlichen Allgemeinplätze („Das Haus ist abgebrannt, aber was Jimmy dir beigebracht hat, wird nicht vergehen“) nicht ins Gewicht.

Loach montiert in die Berichterstattung über Gralton Rückkehr Rückblicke in die Zeit um 1922, um die Hintergründe für die gegenwärtigen Begebenheiten zu verdeutlichen. Da muss man etwas aufpassen, dass man mit den Zeitebenen nicht durcheinanderkommt. Später lässt er Gralton und seine Ex Oonagh erneut verliebt sein; Oonagh hat aber inzwischen einen Mann und zwei Kinder, und die gemeinsame Vergangenheit deutet Loach nur an. Gut gelöst: „Du weißt, warum ich dir nicht aus New York geschrieben habe“, sagt Gralton einmal. Genau, das reicht, um die Situation zu beschreiben. In einer wundervollen Sequenz sind sie allein in Jimmy’s Hall, nachts, und tanzen zu imaginärer Musik. Sie kommen sich nahe, aber doch nicht, und in dieser Nicht-Distanz tritt die gesamte Verzweiflung darüber zutage, dass eine erneute Beziehung unmöglich ist.

Die Mischung aus Irish Folk und Jazz belebt den Film. Erstaunlich unirisch ist, dass die Protagonisten zwar rauchen, dass aber der erste Alkohol im Film erst nach über einer Stunde fließt, und das nicht auf den ausgelassenen Tanzpartys, sondern beim Pfarrer im Schlafzimmer. Epische Landschaftsaufnahmen und authentische Einblicke in die Lebensbedingungen lassen ein zwar aus fremdenverkehrlicher Sicht kitschiges, aber doch nachvollziehbares Bild von Irland aufkommen.

„Jimmy’s Hall“ ist so etwas wie die Fortsetzung von Loachs „The Wind That Shakes The Barley“ von 2006, der die Geschehnisse um 1921 thematisiert. Mit vielen Statements lässt Loach seinen Gralton darüber hinaus ganz eindeutig die Jetztzeit kommentieren. Als Zuschauer mit einer ähnlichen politischen und gesellschaftlichen Haltung freut man sich darüber, dass man offensichtlich nicht allein ist. Solidarität ist bitter nötig heutzutage.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert