Lucy – Luc Besson – F 2014

Von Matthias Bosenick (16.08.2014)

Was für ein Blödsinn, und das von Luc Besson. Die Story ist hanebüchen, durchsetzt von den typischen Logiklöchern, die in Hollywood mittlerweile Voraussetzung sind, die Hauptfigur lässt den Betrachter kalt, die Elemente sind Versatzstücke aus anderen Filmen, die Action ist flach, der Inhalt nicht minder. Wenn man es recht bedenkt, hat Besson in den vergangenen 20 Jahren nicht mehr bestätigt, wofür man ihn bis dahin zum Meisterregisseur heiligsprach. Schade!

Haupt- und Titelfigur „Lucy“, gespielt von Tom-Waits-Fan Scarlett Johansson, wird in Taiwan zum unfreiwilligen Drogenkurier: Sie gerät in die Fänge einer weltweit agierenden Gruppe von kaltblütigen koreanischen Killern mit Geld und Macht, die einigen beliebigen Europäern je einen Beutel mit der synthetischen Droge CPH4 in den Bauch einnäht. An ausgewählten Zielflughäfen in Europa wollen die Koreaner den Kurieren ihre Fracht wieder entnehmen. Weil Lucy offenbar die erste Frau in dieser Aktion ist, wollen sich irgendwelche Leute in einem verranzten Bunker an ihr vergreifen, und weil sie sich wehrt, bekommt sie einen Tritt in den Bauch, bei dem der Beutel platzt und die Droge in ihren Kreislauf gerät. Bei CPH4 handelt es sich laut Film um einen Stoff, den Schwangere in einem bestimmten Stadium ihren Föten ausschütten, um deren Entwicklung zu beschleunigen. In einer solch extremen Dosis wie bei Lucy begünstigt die Droge, dass die Bedröhnte die Kapazität ihres Gehirns zu 100 Prozent ausnutzt, und nicht wie der Rest der Menschheit angeblich nur zu zehn Prozent. Das befähigt sie zu übernatürlichen Aktivitäten und weckt in ihr den Wunsch, ihre daraus gewonnenen Erkenntnisse dem Forscher Professor Norman (Morgan Freeman) zur Verfügung stellen. Dafür besorgt sie sich die übrigen Drogenpakete und bringt die koreanische Mafia erst gegen sich auf und dann um. Am Ende ist sie quasi Gott.

Der Film startet mit zwei parallelen Sequenzen: Lucy wird von ihrem undurchsichtigen Lover in die Fänge der Koreaner getrieben und Professor Norman referiert vor Studenten zum Thema Gehirnausnutzung. Seine Infos untermalt Norman mit Szenen à la Bernhard Grzimek von Savannenräubern, die eine Gazelle umkreisen und niederstrecken. Je enger sich der Kreis der Koreaner um Lucy zieht, desto dichter kommen die Leoparden und Löwen den Springböcken. Das ist ein netter zynischer Vergleich. Auch nett ist die Idee mit dem Schwangerschaftshormon als Trigger für mehr Gehirnkapazitätsausnutzung. Dann gibt es noch eine Szene, in der man kurz schmunzeln muss, als Lucy sich einer Heerschar von bewaffneten Polizisten ausgesetzt sieht und diese bis auf den Chef auf die Aufforderung „Hände hoch“ hin mit der geforderten Bewegung und ihren neuen Superkräften in Tiefschlaf versetzt. Ansonsten: Langeweile.

Die Handlung beleidigt den Betrachter. Man kommt niemandem nahe, besonders Lucy nicht. Die wird im Rahmen des Skriptes zusehends mechanischer, je höher die Leistung ihres Gehirns – angedeutet durch tarantinoesk eingeblendete Prozentzahlen – steigt; das ist immerhin konsequent, aber da ihre Intentionen schwach sind, gibt es keinen Ersatz für die ausbleibende Sympathie. Offenbar will sie nichts mehr, als ihre Kenntnisse der Wissenschaft zur Verfügung stellen (im Verlauf fällt der abgedroschene Satz „dafür ist die Menschheit noch nicht bereit“, eine von vielen abgedroschenen Passagen des Films). Dafür ist sie geneigt, willkürlich Leute umzunieten, nicht jedoch diejenigen, bei denen sie davon ausgehen kann, dass sie ihr auf dem Weg zum Professor erheblich in die Quere kommen können. Das ist eine Drehbuchschwäche, die das Weitergucken anstrengend macht: Lucy hatte die Gelegenheit, die Killerkoreaner auszuschalten, unterlässt es aber, weil die Dramaturgie des Films sonst offenbar verpufft wäre. Gute Drehbuchautoren indes hätten einen Weg gefunden, den obligatorischen Endkampf trotzdem überzeugend stattfinden zu lassen. Auch rätselhaft ist, warum Lucy anfangs überhaupt in dem Bunker aufgehalten wird, wenn sie doch wie die anderen Kuriere dringlichst in Europa erwartet wird. Und wer hat es als weltweit operierender Drogenhändler mit einem dergestalt opulenten Netzwerk überhaupt nötig, unkalkulierbare Leute auf diese blutige Weise per Flugzeug um die Welt zu schicken?

Gut, wenn die Story also Mist ist, gibt es ja immer noch die visuelle Komponente. Doch auch hier bleibt Besson hinter seinen Möglichkeiten zurück, filmisch gibt es kaum etwas zum Staunen. Nicht nur von Handlungsversatzstücken her, auch optisch bedient sich Besson bei Bestehendem: Man erkennt „Der Exorzist“, „Matrix“, „Jurassic Park“, „Transcendence“, „Terminator“, „Taxi“ (den hat er immerhin produziert, das ist wie „Nikita“ ein Selbstzitat und damit relativ legitim), „2001“, „Koyaanisqatsi“ und sicherlich noch einige weitere. Der Rhythmus stimmt außerdem nicht: Stellen, die verlustfrei gerafft werden könnten, walzt Besson aus, wie die Bilder von in die Blutbahn strömenden CPH4-Kristallen, und andere Momente, die das Potential für einen nachhaltigen Eindruck hätten, wischt er ungeduldig beiseite. Die Action-Sequenzen sind über die Maßen vertraut; inzwischen so sehr, dass Besson es sich leistet, etwa Autounfälle in abgehackten Details zu zeigen und ihnen damit den Effekt zu nehmen. So bleibt auch die visuelle Filmsprache unpersönlich.

Bleibt der Blick auf die philosophische Komponente. Der Mensch nutzt angeblich nur zehn Prozent seiner Gehirnkapazität; der Professor hört die Frage: Wozu ist der Mensch bei 100 Prozent in der Lage? Lucy wäre nun als Einhundertprozentige ein Loblied auf das Wissen, die Erkenntnis, die Analyse, die Weisheit, den Frieden, all sowas. Doch zu mehr als dem Vorhaben, ihre Kenntnisse in einem USB-Stick zu speichern, reicht der Film nicht: Anders als bei etwa „Only Lovers Left Alive“, „Nymph()maniac“ oder „Die Karte meiner Träume“ spielt das Wissen bei „Lucy“ als Bestandteil des Films keine Rolle, sondern lediglich als Information. Der Zuschauer wird mit Wissen nicht konfrontiert; der Film selbst spricht also nicht mehr als die belächelten zehn Prozent der Gehirnkapazität an. Stattdessen befähigt das Gehirn Lucy dazu, allwissender Formwandler zu sein, Menschen und Dinge zu bewegen und in der Zeit zu reisen. Das ist öde.

Nun trägt die Figur nicht umsonst den Namen „Lucy“. Ein über drei Millionen Jahre altes Skelett eines Humanoiden aus Äthiopien gilt als älteste bekannte Frau der Welt, der Beatles wegen auf „Lucy“ getauft. Dieser Äffin überträgt die Film-Lucy am Ende im Rahmen einer Zeitreise ihre Kenntnisse per göttlichem Fingerzeig à la Michelangelo und tritt damit einen evolutionären Zirkelschluss los. Vor lauter vorab gezeigter Banalität bleibt aber auch dieser Moment beim Zuschauer nicht haften, er verpufft im Nichts.

Wenn man zurückblickt, bleiben von Besson eigentlich nur fünf Filme dauerhaft auf der Qualitätsliste stehen: „Subway“, „Im Rausch der Tiefe“, „Nikita“, „Atlantis“ und „Léon, der Profi“. Schon „Das fünfte Element“ als nächster der Reihe fiel massiv ab, weil er sich zu stark am Markt bediente. Zumindest filmisch war „Angel-A“ noch erträglich, die von ihm produzierte „Taxi“-Reihe hatte immerhin Humor. Auch mit „Lucy“ zeigt Besson leider, dass er kein Garant mehr für gute Filme ist.

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