Von Matthias Bosenick (21.06.2014)
Dieses Album hätte vermutlich weit weniger Aufmerksamkeit erhalten, stünden nicht drei Buchstaben in einer bestimmten Kombination auf dem Cover: E, N und O. Von Bryan Eno erwartet man Qualitätsmusik, egal, in welchem Genre. Also scheut man sich auch, ein Eno-Werk schlecht zu finden, oder auch nur egal. Dabei wäre einem „Someday World“ dies eigentlich, wäre da nicht die andere Buchstabenkette: Underworld-Stimme Karl Hyde singt nämlich. Das zwar in gewohnt einnehmender Art, aber zu teilweise erschreckend banaler Popmusik mit cheesigen Sounds.
Ja, Karl Hyde hat eine tolle Stimme. Mit der punktete er schon bei Froeur, später bei Underworld und Lemon Interupt, zuletzt auch solo. Er ist ein ebenso guter Song-Sänger wie Track-Besprecher, jeder hat sein „Lager, Lager“ aus „Born Slippy“ im Ohr. Seine Stimme ist charakteristisch und wandlungsfähig, sie trägt Emotionen und schafft es auch, sie zu erzeugen. Für ein Dance-Electro-Projekt wie Underworld ist sie ein erheblicher Gewinn und ein Alleinstellungsmerkmal.
Bryan Eno hat die Welt verändert. Seit fast 45 Jahren im Musikgeschäft, hob er Glam Rock (mit Roxy Music) und Ambient aus der Taufe, verhalf David Bowie auf die nächste Entwicklungsstufe, brachte mit Talking-Heads-Chef David Byrne den Afro-Beat in den Westen (eigentlich in den Norden), um nach diversen Kollaborationen und weiteren Experimenten letztlich eigentlich nur noch seinen Sockel sauber zu halten. Eine erste Brücke zu Karl Hyde schlug Eno auf dessen Solo-Album „Edgeland“, für dessen Deluxe-Version er den Track „Slummin‘ It For The Weekend“ remixte.
Zusammen machen Eno und Hyde, nur echt mit einem Punkt dazwischen, nun Popmusik, die sich nicht im Hier und Jetzt verankern lässt, die aber auch nicht zeitlos wirkt. Das rhythmische Grundgerüst der Songs ist üppig ausgestattet und variantenreich, aber glattpoliert; hier kommen straighte Rhythmen, Ambient-Pumpen und Afro-Beats zum Tragen, wie man es von Eno erwartet. Die Melodien steuert Hydes Gesang bei, so weit in Ordnung. Doch legt Eno über die ersten zwei, drei Tracks einzelne Sounds, die extrem nerven und sogar billig klingen. Die Keyboard-Fanfaren im Opener hätte man keinem einzigen Interpreten in den 80ern durchgehen lassen, sie klingen furchtbar, selbst mit der positiven Annahme, sie seien einigermaßen ironisch gesetzt. Nein, sie versauen den Song. Man muss ein bisschen skippen, bis es musikalisch interessant wird, und wenn man das nicht tut, ertappt man sich dabei, dass man die folgenden Lieder automatisch auch nervig findet, obwohl sie die schlimmen Elemente gar nicht beinhalten.
Mit der Zeit dringt alte Klasse durch, sind die Harmonien mitreißend, ist die Musik experimenteller, ohne ihren Anspruch zu verlieren, gefällig zu sein. Irgendwann gelingt es dem Duo, Songs zu kreieren, die nicht peinlich klingen und die man sich ohne Entsetzen oder Fremdschämen anhören kann. Nach Underworld klingen sie überdies fast gar nicht, trotz der Stimme und trotz der gelegentlich sogar tanzbaren Tempi. Solche wattig-freakigen Strukturen können aber andere, wie etwa Amorpous Androgynous, heute deutlich besser.
Es empfiehlt sich übrigens der Kauf der limitierten Buch-Ausgabe mit vier weiteren Songs auf einer Bonus-CD, auf der die beiden dann wirklich experimentieren. Das ist kein Oldschool-Chartszeug mehr, das ist so progressiv, wie man es im Pop-Sinne von Eno erwartet. Für Ende des Monats kündigen die beiden übrigens schon das Nachfolger-Album an. Schräg. Die Sache, nicht der Sound.