Marcel Pollex – Live im Café Riptide in Braunschweig am 27. November 2025

Von Matthias Bosenick (28.11.2025)

Es ist immer Entertainment, bei dem einem das Lachen auch vergehen kann, so haarscharf eins drüber karikiert Marcel Pollex die bittere Realität. Ihm die Zuschreibung Autor zu verleihen, wird dem Braunschweiger nicht gerecht, er performt seine Texte. So auch im Braunschweiger Café Riptide, wo er jährlich im Herbst ein Gastspiel gibt. So richtig toll, das wird bei seinen Texten bisweilen deutlich, findet er die Menschheit gar nicht. Wie er dies zum Ausdruck bringt, macht ihm sonst niemand nach.

Pollex‘ Texte sind nicht einfach nur doppelbödig, er bringt selbst im doppelten Boden noch einen doppelten Boden unter. Er verfasst seine soziologischen und psychoanalytischen Betrachtungen zumeist in Dialogform, deren verteilte Rollen er selbst übernimmt, und dies, wo es angeraten ist, zu dramaturgischen Unterstreichung auch mal mit beiseite geschwenktem Mikrofon. Innerhalb dieser Dialoge nimmt er Positionen ein, die er zumeist nicht selbst vertritt, und lässt sie auf alternierend Unbedarfte und Antagonisten treffen. Auf diese Weise bringt er zwischen zwei Dialogzeilen mehr Tiefe unter als andere in ganzen Abhandlungen. Man muss enorm aufmerksam bei der Stange bleiben, wenn man jeden Zwischenton, jeden Seitenhieb, jeden Leberhaken erfassen möchte, und vermutlich gelingt einem dies nicht mal.

All solches bettet Pollex in Gesprächsideen ein, die vordergründig dem Volke vom Munde abgeschaut sind. Und dieses Volk trifft Pollex sowohl auf dem Wochenmarkt als auch unter Besserverdienern, Östliches-Ringgebiet-Bewohnern, jungen Eltern, Entführern oder Leuten, die man aus dem Fernsehen kennt, also ganz knapp gerade so noch in seinem Publikum, meistens eher einige Schritte von ihm entfernt, so dass man sich zwar bisweilen ertappt fühlt, meistens vielmehr gesellschaftliche Mechanismen auf anderen Ebenen zerlegt bekommt. Da Übertreiben anschaulich macht, bewegen sich Pollex‘ Darstellungen auf eine Weise über der Realität, die gerade noch so glaubwürdig möglich ist und die die Welt um noch eins mehr verzerrt, als sie ohnehin bereits ist. So münden nicht wenige seiner – nun – Pointen ins Melancholische, um es nicht allzu düster auszudrücken. Verloren, das macht er deutlich, sind wir ohnehin alle.

Passend zu seinen Texten ist auch Pollex‘ Vortrag stets besonders: Da er in Dialogen immer beide Figuren spricht, bekommt jede einen eigenen Tonfall oder eine eigene Stimme. Mit ausgestreckten Armen unterstreicht er diverse Inhalte, so er seine Extremitäten nicht wie üblich eng an seinen Körper zieht, was sein Unwohlsein in dieser Welt unterstreichend visualisiert. Das übernimmt er in den Momenten zwischen zwei Texten, wenn er seine von der Welt angewiderte Bühnenfigur mit dem Publikum interagieren lässt und es glauben lässt, er selbst habe auch Schwächen. Hat der Autor Pollex vermutlich tatsächlich, aber die würde die Bühnenfigur Pollex sicherlich nicht preisgeben. Ein Leseabend mit Pollex ist mehr als das, es ist eine Performance, ein es ist Theater, es ist ein Spiegeln der Gesellschaft und es ist bei allem immer eine gute, weil intelligente, kreative, humorvolle Unterhaltung.