Von Matthias Bosenick (28.11.2025)
Es ist eine Wohltat, Thom Yorke mal wieder nicht so exzessiv jammern und klagen zu hören wie zuletzt mit The Smile. Vor 20 Jahren waren Radiohead noch eher eine experimentelle Rockband, die den Fokus auf den Präfix Rock nicht ausblendete. Parallel zur jüngst überraschend angesetzten Tour bringen die Engländer nun anstelle eines begleitenden Studioalbums eine Sammlung von Live-Versionen ihres 2003er Albums „Hail To The Thief“ heraus, angesammelt rund um die Welt in den sechs Jahren nach der Veröffentlichung. Hier hat die Indierockband noch richtig Feuer unterm Arsch, auch in ruhigeren Momenten.
Der Thief, dem gehailt werden sollte, war vor 23 Jahren George W. Bush. Damals dachten wir alle, es sei der Bodensatz des US-amerikanischen Präsidententums erreicht – einen Donald Trump hatte niemand auf dem Zettel (außer den Simpsons). Ein Update in diesen Tagen ist also nachvollziehbar. Seinerzeit folgte „Hail To The Thief“ auf das Quasi-Doppelpack „Kid A“ und „Amnesiac“, das Radiohead später sogar tatsächlich als Doppelalbum neu herausbrachten. Jene beiden Alben stellten die musikalische Abkehr dar von „OK Computer“ dar, dem Indierock-Meisterwerk, das ab 1997 jahrelang sämtliche Bestenlisten anführte, weil es bereits experimentell war und sich wiederum von den Post-Grunge-Anfängen der Engländer hin zu einer komplett eigenen Soundästhetik gewandt hatte. „Kid A Mnesia“ war der bewusste Bruch, mit Electro-Spielereien und Glitches, der dem Genre Indierock eine neue Ebene hinzufügte. Und „Hail To The Thief“ war das komplizierte nächste Album, an dem Erwartungen hingen.
Im Grunde machten Radiohead damals einen Schritt nach vorn, einen zurück und einen zur Seite. Man hörte wieder mehr Rock, die Elektronik behielt ihren Platz und das Balladeske blieb auch nicht außen vor. Das alles live umzusetzen, bedeutet, dass der Rock partiell mehr Raum bekommt, weil hier ja eine ganze Band auf der Bühne beschäftigt sein muss. Die Breakbeats sind live gespielt, die Gitarren gniedeln noch doller, die Melancholie bekommt einen Energieschub. „Sit Down. Stand Up.“ etwa mündet in eine hektische Tanzaufforderung, „Where I End And You Begin“ kombiniert Drum And Bass mit Progrock, und „Myxomatosis“ rockt so, wie man es nach Kenntnis der sowieso schon so mitreißenden Studioversion auch erhoffte, kurioserweise hier mit mehr Synthies also dort, was auch noch gut funktioniert und dem Feuer eher Öl als Wasser hinzufügt.
Das Publikum verleiht mit seinem dezidierten kollektiven Klatsch der Pianoballade „We Suck Young Blood“ eine eindrucksvolle Raumtiefe. Die grandiose Party, die es im eher schwermütigen „There, There“ veranstaltet, wirkt beinahe unpassend, aber das nimmt man bei Liveaufnahmen seiner Lieblingsbands aus anderen Ländern ja häufiger wahr, dass die Leute zu Musik abfeiern, die man selbst eher zurückgelehnt als hyperkomplex oder deprimierend genießt. Elektronik bindet die Band nach wie vor ein, das Intro von „The Gloaming“ etwa behält die Warp-Glitches bei, auch der Rest des Songs lässt Synthetik durchschimmern. Und Radiohead enden mit dem gerappten „House Of The Rising Sun“-Ripoff „A Wolf At The Door“, also abermals mit Rock statt Ruhe. Es fehlen auf diesem Album „Backdrifts“ und „A Punchup At A Wedding“, die Radiohead offenbar nie live spielten.
Und dann kamen nur noch „In Rainbows“, „The King Of Limbs“ und „A Moon Shaped Pool“, und das ist bereits neun Jahre alt. Abgesehen von diversen Live-, Mix- und Rereleases. Im Zuge der gegenwärtigen Tour kommen selbstredend Gerüchte um ein neues Studioalbum auf. Sollte dies die Energie dieses Live-Albums aufgreifen, darf man froher Hoffnung sein.
