René Seim, Anne Zückert (Hg.) – BonBon Orange – Windlust Verlag 2025

Von Matthias Bosenick (14.10.2025)

Wie durch Social Media scrollen kommt einem das Buch „BonBon Orange“ vor, nur mit deutlich mehr Anspruch: In diesem „Kulturpapier“ sammeln René Seim und Anne Zückert im Instagram-Quadrat-Format medienübergreifende Kulturarbeiten von Freunden, nämlich Malerei, Lyrik, Skulptur, Prosa, Zeichnungen und Fotografien, die ein abwechslungsreiches Bild einer freundschaftlich verbundenen Szene um Dresden ergeben. Und ja, Katzen tauchen da auch immer wieder zwischendurch auf.

Zum Auftakt listet Verleger, Dichter und Herausgeber – um nur seine für dieses Buch erforderlichen Rollen aufzulisten – René Seim in seiner typischen assoziativen Art eine Reihe von Bildern auf, die dieses Buch charakterisieren, und die sind so absurd wie tiefgründig, wie man es von ihm gewohnt ist, darunter „die Idee zum Zerreißen“ oder „die Contenance beim Haftantritt“, sowie der Sub-Untertitel „Ein Vulkan übt Landgang“. Verrückt, also ein trefflicher Einstieg.

Ölgemälde des bildenden Künstlers Danny Linwerk folgen. Einige seiner Bilder tragen die Mehrperspektivigkeit von Pablo Picasso und die Fehlfarben von Franz Marc in sich, stets zeigen sie Menschen, häufig mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Anflug von Einsamkeit. Es folgt ein Dialog von Britta Avalon Kagels, die eine Frau und einen Mann anhand einer Co-Abhängigkeit zwischen der Frau und einem Fuchs toxische Beziehunsgdynamiken aufschlüsseln lässt. Wie Seim Assoziativ arbeitet Ulrike Woschni, indes visuell: Ihre mit Buntstift bearbeiteten, gar nicht so schrillbunten Collagen aus gepressten Pflanzen und kopierten Fotos ergeben kombiniert mit den Titel oft Wortspiele, etwa das „Gänseblümchen“ oder die „Wolfsmilch“, referieren an Mythologie („Europa“) oder sind einfach nur so ästhetisch („Die Kraniche tanzen“). Ihr „Wildes Tier“ darf als erste Katze hier aufgefasst werden.

Nachdenkliche Sprüche ohne Bilder, teils nach Art des Postillon-Newstickers, mit Aha-Effekt erstellt Andreas Hegewald. „Entziffert man eine Uhr, sieht man nur noch die Zeiger“ oder „Wir glänzen gern nur so zum Schein“ sind zwei seiner rund 40 pointierten Einzeiler. Die Objekte von Porzellan-Modelleur Olaf Stoy sind hier als Fotos aufgeführt, andernfalls wäre das Buch sicherlich zu dick geraten. Einige fordern zum Interpretieren auf, wie die Büste eines Mannes mit Spitzentuch über dem Kopf, betitelt mit „Der Diplomat“, andere sind relativ eindeutig, wie „Die Kugelmänner“.

Zwischen Astronomie und Naturbetrachtung bewegt sich Lyrikerin Manuela Bibrach in ihren formfreien Gedichten, in denen sie Vergänglichkeit und Melancholie behandelt. Kunstvoll lichtet Steffen Petrenz Vögel in freier Wildbahn ab: Seine Naturfotografie komponiert er in reduzierter Farbvielfalt, aber dafür umso klarer. Der gelbe Raps hinter der „Schwarzkehlchendame“ etwa kommt dadurch umso besser zum Ausdruck. Die Unvermeidbarkeit des Todes und den Umgang mit ihm verarbeitet Matthias Hufnagl in seiner Kurzgeschichte „Nixon auf dem Teppich“, in der eine Frau ihre an ihren Hund gebundenen Routinen auch nach dessen Ableben nicht aufgibt; ein Gedicht und ein Foto gibt’s von ihm als Bonus.

Die Gedichte, nicht selten sogar mit Reimen, von Salem A. lassen sich als Manifeste gegen Kriege lesen, zwischen die sich thematisch passend eine Anklageschrift gegen rechte Burschenschaften mischt. Auf nur eine Ausdrucksform legt sich Künstlerin Anne Zückert nicht fest, sie wechselt die Materialien, wie sie es zu ihren Themen als passend empfindet. Collagen verwendet sie ebenso wie Bleistifte, Kohle, Öl, Kreide oder Aquarell, als Grundlage dient ihr Papier. Daher pendeln ihre Bilder zwischen düster („Bollwerk“) und farbenfroh („Venezia“).

Als vorletztes steuert Seim einige Gedichte bei, die wie üblich zwischen wortwitzig, nachdenklich, bildhaft und komplett verrätselt schwanken. Bei ihm finden sich die nächsten Katzen, „Kätzchens Glück“ etwa ist man sehr zum Teilen geneigt. „Taps, taps“ wiederum ist ein schillerndes Kaleidoskop der Lebensmomente in einer Wohnsiedlung. Stets steuern seine Gedichte auf eine Überraschung hin, auch „Man sollte Gähnen wie eine Katze“ endet unerwartet. Zuletzt kombiniert Oskar Staudinger Zeichnungen und Gedichte, ebenfalls von unterschiedlicher Stimmung: Der „Neujahrsmorgen“ etwa darf als Satire durchgehen. Das Buch endet mit zwei Katzen: „Katerchen“ ist eine skurrile Kurzgeschichte, abgerundet von der melancholischen Tuschezeichnung „Geist“.

Nach dem Genuss dieses Buches hat man richtig Lust, sich in Dresden herumzutreiben und mit den Beitragenden Biere zu trinken. Kurze Biografien am Ende verstärken diesen Wunsch noch. Miteinander erstellen die Kunstschaffenden hier eine unterhaltsame Kombination aus Ausstellungsraum und Lesebühne, um Längen besser als Doomscrollen in diesem Internet.

[Edit] Der Verleger lässt wissen, dass mitnichten alle Beitragenen aus Dresden sind, und listet auf: Ringenhain bei Bautzen, Berlin, Freital, Dorfhain. In Dresden einen trinken wäre sicherlich trotzdem eine schöne Idee. Danke für den Hinweis!