Von Matthias Bosenick (10.10.2025)
Da kann man unter seinem Klarnamen noch so viele Oscars und Golden Globes für seine Soundtrackarbeiten eingeheimst haben – sobald es daran geht, für den Disney-Konzern das Erbe von Daft Punk anzutreten, muss der alte Bandname reaktiviert werden. Für „Tron: Ares“, die Fortsetzung von „Tron: Legacy“, der Fortsetzung von „Tron“, firmieren Trent Reznor und sein erster fester Sidekick Atticus Ross nun also nach Jahren erstmals wieder als Nine Inch Nails. 24 Tracks in fast 70 Minuten Spielzeit, darunter einige, die auch als Songs durchgehen, der Rest besteht überwiegend Electro-Spielereien, die den Film untermalen sollen. Daft Punk hört man immer wieder durch, typische NIN-Versatzstücke ebenfalls. Kann man sich einige Tracks für eine nette Playlist draus herauspicken.
Hand hoch, wer eine Übersicht darüber hat, welche Soundtracks es von Reznor und Rozz schon gibt? Und wer die dann auch noch als Tonträger im Regal zu stehen hat? Ja? Und wer heraushören kann, warum so etwas wie das rein digital erhältliche „Ghosts V-VI“ überhaupt als NIN-Album existiert, wo es sich doch vermutlich kaum von den Soundtrack-Tracks unterscheidet, die als Reznor/Rozz vorliegen? Welche strategische Entscheidung liegt also dahinter, dass „Tron: Ares“ acht Jahre nach dem ursprünglich als EP konzipierten halbstündigen Album „Bad Witch“, an das sich zudem eh kaum jemand erinnert, als Nine Inch Nails erscheint? Als Promo-Gag für die Europa-Tour? Oder einfach wirklich nur, um Daft Punk etwas Namhaftes entgegenzusetzen? Mit dem expliziten Hinweis übrigens, hier anders als Daft Punk auf ein Orchester verzichtet zu haben.
Immerhin: Vier richtige Songs mischen sich in die 24 Score-Tracks. Von denen erreicht natürlich keiner mehr die Qualität, die die Nine Inch Nails bis Ende der Neunziger hatten; die regulären Alben seit den Nullern ja auch schon nicht. Die Nine Inch Nails sind längst zu einer Methode ausgereift, die Reznor nur noch nach Belieben anwenden muss, und das hört man hier auch. Damit es für das Erstellen der Playlist einfach wird, hier die vier Titel der Songs: „As Alive As You Want Me To Be“, „I Know I Can Feel It“, „Who Wants To Live Forever“ und „Out In The World“. Wer mag, kann sich noch einige der verbleibenden 20 Score-Tracks hinzubauen, wie „Infiltrator“, „Target Identified“, „Daemonize“, „New Directive“ und als Rauswerfer „Echoes“. Fertig ist eine okaye EP.
Einige Score-Tracks sind halt vermutlich im Film effektvoll, auf der Platte hingegen eher egal. Oder in Sachen repetitiver Melodieführung so nah dran an dem, was man von Daft Punk ohne Orchester erwartet hätte, dass es an Identität mangelt; „Derezzed“, der knappe Hit damals, klingt immer wieder mal an. Nicht zu verschweigen, dass auch Wendy Carlos gelegentlich wohlwollend um die Ecke gucken soll. Ansonsten gibt’s viel in typischer NIN-Vorgehensweise, leicht schräg, manchmal eierig, abrupte Unterbrechungen, sowas. Trotz einiger kurzer Bratz-Sekunden ist die Musik hier jedoch insgesamt sehr clean; viel Klimpern, Pluckern oder Flächiges, NIN aus dem Baukasten. Die dramaturgische Anordnung bleibt überdies unklar – folgt sie der Narration des Films oder soll sie eine eigene, als Album konzipierte sein? Dazu müsste man den Film gucken, die zweite Erklärung jedenfalls wäre nicht überzeugend.
Mal kurz zu einigen Details: Das Intro „Init“ legt die Spur in Richtung Trent Reznor schon mal offen, der Fan erkennt es wieder, der reguläre Disney-Konsument wird nicht abgeschreckt. An dritter Stelle kommt die Vorab-Single „As Alive As You Need Me To Be“: ein typischer NIN-Song jüngerer Art mit dem bei Daft Punk ausgeborgten Vocoder als Gimmick. Die Ballade „Echoes“ erzeugt eine Beklemmung wie zu Zeiten von „The Downward Spiral“, wenn auch etwas freundlicher. Der Track hat nichts von Pink Floyd; es folgen noch weitere Tracks mit von woanders vertrauten Titeln. „This Changes Everything“ hat einen stumpfen Buffda-Buffda-Rhythmus und einige Frickeleien.
Als zweiten Song gibt’s „I Know I Can Feel It“: ein leerer, beim Trip Hop abgeguckter gebrochener Downbeat. Reznor barmt, über die Spielzeit steigert sich die Intensität und in den Hintergrund schummeln sich eine verfremdete Gitarre und noisy Effekte hinein. Die deutlichste Nähe zu „Derezzed“ hat „Infiltrator“, das wie eine Art Daft Punk im NIN-Gewand auftritt, also mit Elementen darin, die leichtes Unwohlsein erzeugen, und einem sich anders entwickelnden Groove. Bedauerlicherweise ist es weniger fett.
Der dritte Song „Who Wants To Live Forever“ ist ein balladeskes, minimalistisches Spieluhrengeklimper-Duett mit einer jungen Sängerin namens Judeline, bei dem Reznor die hohen Töne nicht so gut erreicht, wie er es wohl gern hätte. Nicht zu verwechseln mit dem Song von Queen aus „A Kind Of Magic“, dem Soundtrack-Album zu „Highlander“. Kurz vor Schluss hört man ein digitales Brummen. Für „Target Identified“ klaut Reznor am deutlichsten bei sich selbst: Der Track ist eine Reprise von „Love Is Not Enough“ von „With Teeth“ aus dem Jahr 2005, also von vor 20 Jahren.
„Daemonize“ kombiniert „Tron“-Pluckern mit düsteren NIN-Effekten, der Track ist einer der spannendsten auf dem Album. „What Have You Done?“ hingegen ist erst Schlager-Pop, dann EBM, dann kurz „Burnin‘“ von Daft Punk. „A Question Of Trust“ klingt weder nach „A Question Of Lust“ noch nach „A Question Of Time“, ist mehr angenoister EBM-Industrial als bei Depeche Mode abgeschauter Synthiepop. Noch ein gediebstahlter Titel: „Ghost In The Machine“ beginnt als Dark Ambient, ist aber kein Offbeat-Punkpop wie von The Police. „New Directive“ ist endlich wieder ein Bisschen mehr Geballer, zudem sehr wie Daft Punk. An vorletzter Position hellt „Out In The World“ die Stimmung auf, aber ist ja auch klar, es geht auf das Ende zu, das darf ja nicht negativ sein, wir sind ja hier bei Disney. Na los, NIN, einen Song noch! Bitte! Okay: „Shadow Over Me“ beschließt das Album, als Mitmach-Downbeat-EBM mit starker Daft-Punk-Nähe, inklusive Vocoder zwischendurch. Endet natürlich abrupt.
Mit tonnenweise Erfahrung im Biz machen sich Reznor und Ross also an die Musik für „Tron: Ares“, da denkt man: Klar, die können ja Noten, die wissen, wie es geht. So ein Ding schütteln sie doch mit links aus dem Ärmel. Ja, Pustekuchen: Für Produktion und Programmierung brauchte das Duo eine halbe Handvoll Spezialisten, darunter Alexander Ridha alias Boys Noize, der die Band bereits auf der Tour begleitete, Hip-Hop-Produzent Hudson Mohawke aus Glasgow sowie die im Mainstream erprobten BJ Burton, Ian Kirkpatrick und Serban Ghenea, plus haufenweise weiterer Leute in der Post- und Überhauptproduktion.
Und was hilft’s? Der NIN-Fan, der keinen Bock hat, die ganzen unter Klarnamen erstellten Soundtracks zu sammeln, weil er weder zu den Filmen noch zu den Scores wirklich einen Bezug findet, hätte sich auch „Tron: Ares“ nicht gekauft, wären da nicht die drei großen Buchstaben draufgedruckt gewesen. Jetzt hat er sich eben der Vollständigkeit halber die CD (oder Doppel-LP) ins Regal gestellt, und da bleibt sie vermutlich auch. Sobald musikalische Dunkelheit zur vorhersehbaren Formel verkommt, bleiben nur ein Schulterzucken und der Griff ins Regal, hin zu den alten Alben von NIN. Da wusste Reznor noch, wie es geht, seine Emotionen glaubhaft in Töne zu transferieren.