Von Matthias Bosenick (07.10.2025)
Vier neue Kollaborationen gibt es aktuell vom wandlungsfähigen Schlagzeuger Jörg A. Schneider: Free Jazz mit Tatsu Aoki, epische Drones mit Hansi Dreßler, freien Noiserock mit Dirk Serries sowie Trompeten-Ambient mit Drazek Fuscaldo. Wie immer gilt: Gerade Rhythmen darf man hier nicht erwarten, die Musik entwickelt ihre Schönheit in der Unangepasstheit.
Tatsu Aoki and Jörg A. Schneider – Youku Kiitene (CD, 2025)
So ein Kontrabass hat ja sowieso schon immer einen voluminösen, satten, groovenden Klang, und wenn der als einziges Instrument einem wild gewordenen Schlagzeug zur Seite steht, bekommen beide ihren gebührenden Aufmerksamkeitsanteil. Schneider passt sein Schlagzeugspiel an die jazzige Grundierung an, seine Sounds sind trocken, klackernd, der Snare-Rahmen kommt häufiger zum Einsatz als die Felle, das Hihat rasselt dazu, und wie zumeist hält sich Schneider nicht an Rhythmen, diese Musik ist so frei, wie es improvisierter Jazz nur sein kann. Und schnell ist Schneider, dabei aber nicht flächendeckend; „Go“ etwa hat ein Irrsinnstempo und erweckt den Eindruck eines Live-Drumsolos, wie man es gegen Ende einer umjubelten Jazz-Session im verrauchten Club zu hören erwartete. An mancher Stelle, in „Roku“ etwa, könnte Schneider zwischenzeitig sogar jazztypische Besen verwendet haben, müsste man ihn mal fragen.
Auch Tatsu Aoki (タツ・青木) hält sich nicht an feste Formen. Zwar erinnern viele Passagen seines Bassspiels an Jazz-Sounds, wie sie einem auch als Laie bekannt vorkommen, doch groovt auch er auf eine ungebundene Weise auf den dicken Saiten herum. Damit erzeugt er Wärme, das liegt seinem Instrument einfach inne, wenn dieser satte, tiefe Ton leicht federnd im Raum steht. Auch entsinnt sich Tatsu Aoki gelegentlich der Tatsache, dass es sich bei seiner Apparatur um ein Streichinstrument handelt, und bearbeitet es klassisch mit einem Bogen, so in „Shi Yon“ oder „Hachi“. Auch ein Pizzicato gibt es mal zu hören, etwa in „Juu Ichi“. Und trotz aller individueller Freiheit hört man dem Duo an, dass es miteinander spielt, nicht gegeneinander oder jeder für sich.
Schickt man den Titel „Youku Kiitene“ durch einen handelsüblichen Online-Übersetzer, kommt dabei „幼駒 聞いてね“ heraus, was bedeutet: „Junges Pferd, hör mir zu“. Da fühlt man sich direkt angesprochen, als dem Jazz zugewandter, aber von ihm noch nicht tiefgehend beleckter Konsument: Bleib aufmerksam, lerne dazu, folge den Alten und lass dich von ihnen zu wilden Luftsprüngen animieren. Und das funktioniert mit diesem Album hervorragend. Die Aufnahmen dazu fanden in Chicago statt, wo der in Tokyo geborene Tatsu Aoki seit 50 Jahren lebt. Dort arbeitet er als Filmemacher, aber eben auch als Jazzmusiker, so unter anderem – neben diversen anderen Musikern aus der Szene – mit Jim O’Rourke von Sonic Youth. Der Schriftzug auf dem Cover dieses Albums empfiehlt übrigens: „Hören Sie York!“ Gern: Tun wir das doch einfach!
Schneider | Dressler (CD, 2025)
Der nächste Kollaborationspartner ist Hansi Dreßler aus Bremen von der Band Feeble Bee. Außerhalb des Bandkontextes verlegt sich Dreßler auf Noise, Ambient und Drones, die er mit seiner E-Gitarre sowie diversen Effektgeräten erzeugt. Der perfekte Sparringspartner für Schneider also: Auf fünf Stücken zwischen gut zehn und knapp 20 Minuten entlädt Dreßler seine Gitarre, lässt sie freundlich wimmern, meistens eher aufbäumend jaulen, glühen, dröhnen, langgedehnt röhren, eben flächige Drones absondern. Wie ein dicker, breiter, mit dem Quast aufgetragener und in der Höhe schwankender Strich auf einem Landschaftsbild ziehen sich Dreßlers Drones durch diese Stücke.
Damit bilden sie beinahe eine Art verbogene Reling, an die sich Schneider klammert, um im brüllenden Getose und den Feedbacks Halt zu finden. Während Dreßler mit stoischer Langsamkeit arbeitet, stellt Schneider sein ultraschnelles Schlagzeugspiel dagegen. Hier bekommt die Snare zunächst einen großen Anteil, die Bassdrum imitiert Rockmusik, doch kann von dieser im herkömmlichen Sinne keine Rede sein, natürlich nicht, Schneider hält sich bekanntlich nicht an Taktvorgaben. Auch passt er seine Schlagintensität nicht der der Gitarren an, indem er fettestmöglich drischt, sondern setzt vielmehr unzählbare Punkte neben und in den dröhnenden Balken.
Erfreulicherweise erzeugt das Duo mit bleibender Grundausstattung unterschiedliche Stimmungen. So ist der Opener „Death Banjo“ aufbrausend, aufwühlend, das folgende „We Know Better Than The Box“ mit tiefer gespielter Gitarre vergleichsweise beruhigend, „Cutely Boring“ ganz gegenteilig trotz reduzierterer Passagen eher aufreibend, erst zum Schluss wird es kontemplativ. Ebenso erfolgt der Übergang zu „Feel Left Out In 1999“, das mit enorm zurückgenommener Energie und intensivierter Dunkelheit startet, aber keine Angst, da kommt zwischendurch noch was. Mit „One More Bad Habit“ lassen sie die Kombi aus Drones und Drums beinahe chillig ausrollen, ohne aus dem Album-Rahmen zu fallen.
Schneider | Serries 2 (Vinyl, 2025)
In eine ähnliche Kerbe hauen Schneider und der Antwerpener Tausendsassa Dirk Serries, der sich ebenfalls auf E-Gitarren-Drones verlegt. Doch schwingt Serries sein Instrument viel weiter durch die Landschaft, er scheint es gar zu malträtieren, er erzeugt einen größeren Eindruck von Geschwindigkeit, und das, ohne Riffs oder Licks zu spielen. Während Schneider sein Kit verprügelt, bratzt Serries nach alter Tradition von Neil Youngs „Dead Man“ auf der Gitarre herum und überdreht die Knöpfe an seinen Effektgeräten.
In dieser Kombination dieser Kollaboration ergeben sich sechs Tracks, die den Anschein erwecken, Songs zu sein, mit der irrlichternden Gitarre und dem irrsinnsschnellen Schlagzeug. Die Stücke ergeben Formen, und sobald man versucht, sie zu fassen zu bekommen, entziehen sie sich wieder, drehen lange Nasen und scheren sich nix um feste Formen und erwartbare Abläufe. Was für eine Energie die beiden entfesseln! Hielten sie sich an gerade Takte, könnte man beinahe von klassischem Noiserock sprechen.
Das erste gemeinsame Album der beiden erschien vor einem Jahr, ein drittes nahmen Schneider und Serries bereits auf. Als wären sie beide nicht ausgelastet, dabei kommt man bei keinem von ihnen mit dem Sammeln so richtig nach.
Drazek Fuscaldo with Jörg A. Schneider – Attachments (Vinyl, Bliss Trade Music 2025)
Zurück nach Chicago, dort traf sich Schneider einmal mehr mit Przemysław Krys Drążek und Brent Fuscaldo, dieses Mal als Gast des Duos. Auf zwei über 20 Minuten langen Tracks improvisieren die drei mit Trompete, Flügelhorn, E-Gitarre, Mandoline, Maracas, Synthies, Samples, E-Bass, Percussion und Schlagzeug. Was sich wie ein großes Orchester liest, hat weit mehr Luft, als man ahnen mag: Das Trio stopft die Tracks nicht voll, auch wenn es anfänglich Passagen erhöhter Energie gibt.
Die Musik wogt auf und ab. Auch im engeren Zusammenspiel überfrachten die drei die Tracks nicht, zusätzlich lassen sie die Instrumente auch mal absinken und den Tönen mehr Raum für freie Entfaltung, für ätherische Bewegungen im Raum. Insbesondere die von Drążek gespielten Blasinstrumente verstärken den Eindruck von Schwerelosigkeit. Assoziationen zu den „Sketches Of Spain“ von Miles Davis mögen irgendwo im Hinterkopf aufkommen, treffen den Sound hier aber nicht. Die A-Seite „Death Mask“ rollt als kontemplativ-repetitive Meditationsübung aus, als Quasi-Überleitung zur B-Seite „Born In A Storm“, die als extrem zurückgenommener Ambient sogar ganz ohne Schlagzeug beginnt und erst nach neun Minuten gemächlich an Intensität zunimmt. Ganz gemächlich: Obschon hier wieder ganz behutsam mehr Instrumente hinzukommen, erfüllt die Musik weiterhin eher die Charakteristika von freiem Ambient. Von wegen Sturm, der Track ist ungemein beruhigend, da erscheint die Trompete am Schluss beinahe wie ein Weckruf.
Als Besonderheit in diesen Improvisationen gibt es, anders als sonst bei Schneiders Beteiligungen üblich, sogar Gesang zu hören. Fuscaldo erhebt hier seine Stimme, aber ohne konkrete Worte, er fügt sie beinahe schamanisch als weitere Tonquelle in die Soundscapes ein. Was es hier hingegen nicht gibt, sind Passagen mit straightem Rhythmus, was Schneider im Verbund mit Drazek und Fuscaldo ansonsten schon mal versehentlich herausrutscht (und was dann auch erst den Kontrast zu den freien Passagen verdeutlichte). In die chilligen „Attachments“ würden Rock-artige Momente ohnehin nicht passen.