Sprints – All That Is Over – City Slang 2025

Von Guido Dörheide (01.10.2025)

Irische Musik ist scheiße. U2, Chris de Burgh, Dexys Midnight Runners, The Kelly Family, Céline Dion – alles Scheiße. Alles? Nein – es gibt in den letzten Jahren immer noch Hoffnung, zum Beispiel in Gestalt von Fontaines D.C. oder von Sprints. Von den Sprints? Wurscht, eine Band, die so eine Energie transportiert, braucht keinen Artikel. Außer vielleicht diesen hier. Einen von vielen vielen positiven journalistischen Äußerungen über diese tolle Band, derer es nicht genug geben darf. Die Rede ist von Artikeln, nicht von Bands. Davon gibt es schon viel zu viele, und unsere Rede ist hier von den Sprints und von niemandem anders. Also nun mal Pommes bei die Fische:

Neben den Fountains, wie ich sie scherzeshalber zu nennen beliebe, weil ich aufgrund von Ignoranz und ADHS mir ihre tatsächliche Schreibweise nicht zu merken imstande bin, sind Sprints (ab jetzt ohne Artikel, der Einfachheit halber) diejenige Band aus der irländischen Hauptstadt Áth Cliath (wie es gerne mal auf dortigen Omnibussen geschrieben steht), die mir momentan am meisten zusagt. 2020 haben die erst kurz zuvor, nämlich 2019, gegründeten Sprints mit der Single „Kissing Practice“ zum ersten Mal von sich Reden gemacht, und das war schon mal ein starkes Statement. Schrabbeliger Punk im Stil der 1970er Jahre, kompetent vorgetragen von Sängerin und Gitarristin Karla Chubb mit Textzeilen wie „And all the boys standing at the bar drinking beer no better than Dutch“ (ich selber mag auch lieber Guinness anstatt Heineken) machten mächtig Eindruck, ebenso wie alle folgenden Singles und EPs der Band. Mit „Letter To Self“ veröffentlichten Sprints dann im vergangenen Jahr ihr erstes Album, und es war gewaltig – Chubb singt alles in Grund und Boden und die Musik klingt wie nichts, was ich vorher gehört habe, nimmt aber Anleihen an allem, was mir an Punk der 1990er-Generation gut gefällt. Also wer Bikini Kill, L7 oder Sleater-Kinney mag, wird auch Sprints mögen, auch wenn sie sich eigentlich anders anhören. Der Spirit ist aber the same, und somit haben auch Sprints denselben Fame verdient wie die vorgenannten.

Nun aber – zweiter Anlauf – soll es endlich um das aktuelle Album „All That Is Over“ gehen:

Mit „Abandon“ beginnt das Album eher weniger punkig, sondern postrockig monoton repetitiv und Karla Chubbs Stimme ist das erste, was bei den Hörenden hängen bleibt. Sie singt den Text monoton und traurig runter, alle Hoffnung möge aufgegeben werden, und mit einem zigmal wiederholten „I used to live here“ faded das Stück dann aus. „To The Bone“ beginnt ebenso monoton und nicht weniger traurig und der Refrain „No, it’s cold, no, it’s cold, To the bone, to the bone, No, it’s cold, no, it’s cold, To the bone, to the bone“, auf den richtig schön krachige Gitarrenriffs folgen, gefolgt von Chubbs gekreischtem „The evening hides me, but it doesn’t hold me“ und dann wieder „No, it’s cold…“ nimmt einen dann sehr gefangen, bevor dann erstmals der von den Sprints bekannte Punk losbricht: „Descartes“ baut auf schnellen und melodischen Punkriffs und heiserem Gesang auf, im Refrain wird dann der Name des französischen Philosophen und Universalgelehrten René Descartes dann mit „discord“ und „discard“ vermischt und am Ende wird die Frage gestellt „Disillusion, hate, anxiety, pleasure, pain, ecstasy. tell me, lord, how can I be better than I was born to be?“ Genau.

Mit „Need“ machen Sprints dann weiter wie auf „Descartes“, legen aber in puncto Geschwindigkeit und Schrägheit noch eine Schippe drauf. Schöön schnell und spacig quietschend wird eine Liebe beschrieben, deren „I need you“ am Ende durch „I need you to leave me the fuck alone, actually, please – Thank you, see you later“ präzisiert wird.

Inzwischen hat sich das Album so richtig eingeschrammelt – ruhige Songs wie die ersten beiden gibt es jetzt nicht mehr, alles schreddelt und kracht im mittleren Tempo vor sich hin und das ist großartig. „All That Is Over“ erinnert mich an nichts, was ich kenne, klingt aber auch nicht nach der Neuerfindung der Gitarrenmusik, also irgendwie machen Karla Chubbs und ihre Mitstreitenden alles komplett richtig, indem sie einen bei den Helden aus den 90ern abholen und dann doch irgendwie ihr eigenes Ding machen.

„Rage“ ist so ein Beispiel dafür: Zunächst donnert ein nicht eben schnelles Schlagzeug, Chubbs singt und die Gitarre liefert mehr ein solides Fundament, als dass sie die Punkmusik neu erfindet, und Chubbs singt von der Wut. Von der Wut, die alles ist, was ER kennt und was ER verbreitet, und dann wünscht sie sich die Kraft, die Dinge zu ändern, die SIE ändern will und den Mut, die Dinge zu ändern, die SIE nicht ändern kann, und Musik, Gesang und alles gehen eine Symbiose ein, die einen mitreißt, obwohl wahrscheinlich am Ende alles nicht besser wird.

Das folgende „Something’s Gonna Happen“ ist vermutlich der Höhepunkt des Albums: Mit einer mitreißenden Melodie und einem aggressiven Gesangsvortrag wird etwas angekündigt, das passieren wird, und das sicher nicht gut ist. Die Musik ist weiter Punk, mäandert aber am Ende irgendwie in Richtung Psychedelik und Karla Chubb schreit „Push, push, me, me hard – Watch me, I’ll go far“. Das Stück startet musikalisch ganz ruhig, aber dennoch unheilverkündend, und wird im Verlauf immer krachiger und brutaler. Das können Sprints echt gut: Langsam und melodiös anfangen und im Pandämonium enden. „Pieces“ beginnt dann gleich imselben: Schnell, verzerrt und aggressiv beginnt das Stück und der Refrain „Help me, help me, I’m a mess“ sorgt kurz für vermindertes Tempo, bevor es mit der vorherigen Vehemenz weitergeht. Die Gitarren klingen dabei so schmutzig-verzerrt, dass es eine wahre Freude ist. In den letzten knapp 30 Sekunden mischt sich dann noch ein Gitarrensolo in den Krach und Chubb versucht, es niederzusingen, was ihr gelingt.

„Better“ beginnt dann ruhig und genau das können wir jetzt auch gebrauchen. Im Verlauf des Songs kristallisiert sich eine krachige Gitarre wie in Bowies „Heroes“, nur böser und schmerzhafter, heraus, der Song bleibt ruhig, aber alles andere als schön und versinkt am Ende im totalen Krach. Wunderbar.

„Coming Alive“ besticht dadurch, dass Gitarre, Bass und Schlagzeug sich irgendwie gegen die Sängerin verschworen zu haben scheinen, Chubb schreit und kreischt, während die Instrumentalisten sich anschicken, einen ruhigen Indie-Song zu installieren. Am Ende geht es unentschieden aus, denke ich.

„Desire“ beginnt dann wieder ruhig, aber nicht schön. Man ahnt, dass es irgendwie noch dicke kommt, und das tut es dann auch: Bei ca. 1:20 Minuten wird es erstmal irgendwie sehr pixiesk: Erst der Bass, dann die Gitarre, outside there’s a boxcar waiting, Chubb singt erst bedrohlich und dann sehr lieblich (zum ersten Mal auf dem Album), der Rhythmus wird bedrohlicher, die Gitarren beginnen zu schreien, das Tempo wird nicht wirklich schneller, aber Chubb schreit und schreit und schreit „I wanna eat you alive, I wanna eat you alive, I wanna eat you alive, The good, the bad, the best you ever had“ und es ist egal, dass am Ende noch ein ganz ruhig gesungener Vers folgt – die Hörenden werden verängstigt zurückgelassen. Ohne Scheiß eins der packendsten und besten Alben, die ich in diesem Jahr gehört habe.

Und wenn man das Ganze bei Bandcamp ordert, gibt es noch drei Liveaufnahmen und zwei Demo-Stücke als Bonus on Top obendrauf.

[Edit von Matze: In die Liste der Iren schlichen sich eine Band aus Birmingham und eine Sängerin aus Québec – wer sie findet, darf sie grün anmalen!]