Von Matthias Bosenick (25.09.2025)
In den Kompositionen modernisierte, teils psychedelische, weitestgehend melancholische Retro-Folkmusik macht die Britin Jacqueline Bourne alias Crystal Jacqueline auf dem neuen Album „Smoke Road“, dem sie nicht ohne Grund den Interpreten-Zusatz „And Friends“ anfügt: Nach einer Begegnung mit dem Liverpooler Autoren David Greygoose entstand das Grundkonzept für dieses Album, für das er die Inhalte lieferte und für dessen musikalische Umsetzung sich Bourne einen Stapel Musiker aus dem Folk-Umfeld dazuholte. Heraus kamen fast anderthalb Stunden Musik, die sich auf vier thematisch strukturierte LP-Seiten verteilen. Eine Fantasy-Reise.
Auf „The Smoke Side“ geht die Reise los, unverstärkt und unverzerrt als klassischer Folk englischer Schule zunächst mit „In The Sky“, doch schon „Barbara Ann“, das nicht von den Beach Boys gecovert ist, bringt neue Aspekte ein, von denen das Album auf jeder der vier Seiten so einige bereithält. Die Gitarre klingt hier wie die von Led Zeppelin in „The Battle Of Evermore“, der Gesang ertönt mindestens zweistimmig weiblich und männlich. Spätestens ab dem Titellied fragt man sich, ob es angebracht ist, den Begriff Freak Folk anzubringen, nur weil diese Musik hier unkonventionell ist. Progressive Folk dürfte ebenfalls passend sein, denn geradlinig sind die Songs hier angenehmerweise nicht. Melancholisch aber, wenn nicht lediglich verträumt, entrückt, das wohl. Dazu tragen auch die Flöten bei, die vielen Songs eine psychedelisch schwebende Note verleihen. Spooky wird es mit „The Green Man“, nicht von Type O Negative gecovert, das Spoken-Word-Anteile mit einem ganz kurzen E-Gitarren-Solo und einer Rockmusik-Anmutung kombiniert; der progressivste Song bisher.
Die B-Seite „The Burning Side“ verleiht dem Saft mehr Fruchtfleisch, mit einem treibenden Shaker oder einem dezenten E-Gitarren-Lick wie in „Molly Mawkaby“. Sobald Herr Greygoose einen Song mal nicht komponiert hat, findet er sich in dessen Titel wieder: Das Instrumental „Greygoose“ ist das Werk von Icarus Peel, mit dem Bourne bereits das Parallel-Projekt The Honey Pot bestreitet und der hier den Großteil der Gitarren und gelegentlich auch Bässe einspielt. In den Harmonien findet sich in diesem Song das „Hotel California“ von den Eagles wieder, nur wie die meisten Songs hier ohne Schlagzeug, dafür mit dezentem Gegniedel und Chor-Samples. Teilt sich Bourne die Mikros auf dem Album zumeist mit Schlagzeuger Dick Terry, räumt dieser in „The Burning“ den Platz für den kalifornischen Psychedelik-Multiinstrumentalisten Jay Tausig; auch akustisch hat dieser Song einen erhöhten Druck und erinnert leicht an die Swans mit Jarboe.
Das Luftige dringt auf „The Wind Side“ tatsächlich in den Sound, allerdings auch ein erhöhter Anteil an Melancholie. Den unterstreicht die Geige, die in „Slow The Dark Wind Blows“ erstmals erklingt, gespielt von Leo O’Kelly vom irischen Folk-Duo Tír na nÓg, ebenso verhält es sich später mit „Tie Me To The Wind“. Auch das Mellotron ist im ersten Song der C-Seite hier erstmals zu hören, Mordecai Smyth, den Peel mitbrachte, bedient es. Kurioserweise konterkariert „Jenny Many Names“ den ersten Song mit Vogelgezwitscher und fröhlichen Flöten, aber es geht ja wieder dunkler weiter. „Kiss Me With Silence“ überrascht als vorletztes mit einer Hawaii-Slidegitarre.
Neu auf „The Elven Side“ ist das Piano, das Progger und ebenfalls Peel-Kumpel Rob Gould im ersten Song „Elven Boy“ einbringt. So schräge Synthies wie hier gab es zuvor auch noch nicht. Bournes Gesang und der leicht druckvolle Sound lassen die Erinnerung an Fairground Attraction aufkommen, nur ohne deren Jahrmarkts-Schmiss. Abermals neu auf dem Album ist der Bratz, den „The Grey Light“ plötzlich einfließen lässt, und der wird auch noch hervorgerufen von einer stark verzerrten Maultrommel, bedient von Phil Townsend, der bereits mit The Honey Pot wirkte. Ein cooler Effekt mit einem Rhythmus nach Art irischer Jigs’n’Reels, nur komplett ohne Schlagzeug. Ebenfalls aus dem Honigtopf zog Bourne für „Which Way Is The Wind?“ den Slide-Gitarristen Django Mangluki. Zum Abschluss singt das Ensemble „The Greygoose Lament“, abermals nicht vom Titelgeber komponiert. Piano, Mellotron, Flöten, Chor-Samples und ein volles Schlagzeug steigern das Epische angemessen.
Jetzt fragt man sich als Unbedarfter: Wer ist Crystal Jacqueline, was hat es mit diesem Album auf sich? Aus dem Nichts kommt es mitnichten, Bourne startete 2010 mit dem Album „Heal Yourself“ und nur zwei Jahre später als Teil von The Honey Pot mit „To The Edge Of The World“. Die Zahl ihrer Alben und EPs ist Legion, und nimmt man die Projekte ihrer Mitstreiter hinzu, hat man tagelang neues Material zu hören. Aber erstmal anderthalb Stunden „Smoke Road“, damit ist man schon hinreichend beschäftigt!