Von Matthias Bosenick (16.09.2025)
Erstmal ist „Rothko Spaces, Volume 4“ ein Album voller Drones und Soundscapes, doch wie der Schweizer Stephan Thelen unter Zuhilfenahme der von Gitarrist Markus Reuter generierten Improvisationen zu diesen sechs Tracks zusammenfügt, das ist eine Kunstwissenschaft für sich und ergibt eben mehr als nur Drones und Soundscapes – die Tracks sind voller Leben, voller Details, und obschon voller dunkler Momente, sehr einladend, sich in diesen unberechenbaren Räumen zu bewegen. Bleibt die Frage: Was hat es mit diesem Rothko auf sich?
Bei dem handelt es sich um Mark Rothko, den lettischen Maler, der von New York aus den abstrakten Expressionismus auf den Weg brachte und für seine flächigen Farbbilder bekannt wurde. Somit dürften die „Rothko Spaces“ der Versuch einer akustischen Annäherung an ein optisches Phänomen sein: Flächen aneinanderzufügen und ineinander übergehen zu lassen. Kann man nur feststellen: Passt, nur dass es hier weniger farbig zugeht. Die Grundstimmung auf der vierten Ausgabe dieser „Rothko Spaces“ ist eher in Grau, Anthrazit, auf jeden Fall gedimmt gehalten. Was nicht schlimm ist, im Gegenteil: Sich auf diese Stimmung einzulassen, fällt leicht, zumal sie ja trotzdem schön ist.
Zwar lässt sich das Album auch ohne Hintergrundkenntnisse mehr als genießen, doch erweitern diese den Genuss noch: Thelen lud Reuter dazu ein, in einem sehr großen Raum seine Gitarre zu spielen, und zwar seine selbsterfundene Touch Guitar, zu deren Beschaffenheit man den Musiker selbst befragen müsste. Die Verstärker waren jedenfalls auf 11 gedreht und Thelen schnitt jede Verzerrung, jeden Noise und jedes Feedback mit. Doch dieses Material bildete lediglich die Ausgangsbasis für dieses Album, denn Thelen sichtete es akustisch (haha), pickte sich die vielversprechendsten Passagen heraus, loopte sie, jagte sie einmal mehr durch Manipulationsprogramme und reicherte sie mit Sounds aus Sampledatenbanken an, Streichorchestertönen und Percussions zumeist; letztere indes hört man nicht, weil „Rothko Spaces, Volume 4“ keine Beats, Takte, Rhythmen hat.
Liest sich geil, klingt geil: Atmosphärische Flächen bilden die Basis aller Tracks, sich verändernde Soundscapes, und auf denen passieren die Details. Da kann es schon vorkommen, dass man den Anschlag eines Gitarrenriffs identifizieren kann, auch wenn es hier um klassische Gitarrenmusik gar nicht geht, jedenfalls nicht im Sinne des Rock’n’Roll. Referenzen schimmern dennoch gelegentlich durch, schöne Melodien wie von Mark Knopfler oder Distortions wie von Neil Young zu Zeiten von „Dead Man“ oder „Le Noise“ etwa. Und ja, so abstrakt sich das auch lesen mag, die Musik hier ist sehr wohl eine solche und sie ist schön. Und wenn Thelen dann in die Gemengelage seine Streicher einfügt, bekommt der Sound Opulenz, etwas Cineastisches gar.
Für die vierte Ausgabe der „Rothko Spaces“ trafen sich zwei Vielbeschäftigte. Nicht nur, dass sie im vergangenen Jahr bereits „Volume 2“ miteinander erstellten, veröffentlichten sie zwischendurch noch das Album „Promise Of A Better World“. Zudem sind beide auch außerhalb gemeinsamer Kopfreisen im Minutentakt mit neuen Veröffentlichungen dabei. „Volume 1“ erstellte Thelen 2024 mit David Torn, „Volume 3“ mit Jon Durant, beides Experimentalgitarristen aus den USA.