Hardy Crueger – Der Bootsmann – CW Niemeyer 2025

Von Matthias Bosenick (12.09.2025)

Man kann nur im Wasserthema bleiben: „Der Bootsmann“ entwickelt einen Sog, in den man kontinuierlich schneller rotierend hineingezogen wird. Mit diesem Buch setzt Hardy Crueger seinen Thriller „Der Flussmann“ fort, und abermals ereignen sich haarsträubende Dinge am Rande von Gewässern im Großraum Braunschweig. Während die Witwe des Opfers aus dem ersten Teil versucht, ihre Traumata zu bewältigen, bahnt sich etwas Unfassbares an. Crueger saugt die Leserschaft in dieses nautische Katz-und-Maus-Spiel hinein und lässt den Strudel sich immer rasanter drehen.

Der titelgebende Haupttäter offenbart sich schnell: Wahlweise am Rande von Gewässern oder von einem Kajak aus attackiert ein Mann vornehmlich Frauen, ausgehend davon, dass er sich selbst als Incel auffasst. Für Denise, deren Gatte im ersten Buch von einem Serienmörder umgebracht wurde, sind diese Ereignisse Erinnerungen an jene Zeit, doch sie hat Beistand von den Freundinnen, dem Privatdetektiv und der Polizistin aus dem „Flussmann“ und mit ihrem kleinen Sohn eine Aufgabe, die sie an den Boden bindet. Doch die Schwerelosigkeit wieder setzt ein, sobald die unwahrscheinliche Idee aufkommt, der „Flussmann“ könnte aus der Haft entflohen sein.

Wie Crueger hier die Fäden zusammenlaufen lässt, sie immer enger bindet und sie auf ein gemeinsames Ziel zulaufen lässt, das intensiviert die Lektüre. Man taucht in der Geschichte ab und bleibt bis zum Finale im Fluss. Es ist wahlweise eine Freude, wie die Ermittelnden die Erkenntnisse zusammentragen, Rückschlüsse ziehen und die Falle um die Täterschaft immer enger ziehen, oder ein Entsetzen, wie das Böse, Brutale, Abscheuliche mit den Protagonisten blutiges Wasserschach spielt. Seine Fäden findet Crueger in den Blickwinkeln der Beteiligten, sowohl der Opfer als auch der Ermittelnden sowie der Täterschaft. So schildert er Ereignisse aus wechselnden Perspektiven und vergenauert so das sich darstellende Bild der blutigen Ereignisse. Dazu entwickelt Crueger für jeden der Beteiligten eine spezifische Herangehensweise, und das erstaunt immer wieder, dass der Autor es auch schafft, das Innenleben von Arschlöchern überzeugend abzubilden. Wie er selbst die unterschiedlichen Täterschaften gegeneinander ausspielt und ihnen in dezidierten Punkten auch noch Sympathien abringt: krass.

Wieder einmal belegt Crueger zudem, dass er komplexe Sachverhalte, ausgeprägte Charaktere und spannende Handlungen zusammentragen kann, ohne dafür den Platz von New Yorker Telefonbüchern einnehmen zu müssen. Damit, dass er seine Handlung präzise und knapp darlegt, intensiviert er den Spannungsverlauf noch. Der steigt behutsam, aber dann stark an, und man wundert sich, wie viel präzise Action am Schluss in wie wenig Seiten passt. Man kommt bei der Lektüre regelrecht außer Atem, als wäre man selbst unter Wasser gedrückt.

Zur Auflockerung integriert Crueger hier einige humoreske Aspekte, vornehmlich auf Seiten der Polizei. Die kommt hier dieses Mal besser weg, kompetenter, zielgerichteter, klarer als im ersten Teil – bis auf die Personalie Deppe-Kleinschmidt, jetzt nur noch Deppe, die mit ihrem Charakter für einige Grotesken sorgt, aber eigentlich weniger die Ermittelnden diskreditiert, sondern eine scharfe Ckarakterzeichnung darstellt, die sich vergleichbar in jedem Arbeitsumfeld finden dürfte. Dabei fällt der Leserschaft dann auf, dass Crueger nicht nur die herausragenden Exoten exakt zu zeichnen in der Lage ist, sondern eben alle Figuren, auch die Guten mit ihren Zweifeln, Ängsten und beeindruckenden Stärken.

Obwohl „Der Bootsmann“ ein zweiter Teil mit übernommenem Personal ist, hat der Roman einige veränderte Aspekte. Crueger strukturiert seine Perspektiven hier anders, weil die Mehrteilung in „Ich“, „Er/Sie“, „Du“ wie im „Flussmann“ hier nicht erforderlich ist. Die beteiligten positiven Personen bekommen trotz differenzierter Ausprägung eine angenehme Nähe zueinander, was den Zweig mit den Ermittlungen effektiver erscheinen lässt und die Bindung der Lesenden erhöht. Die Zweifel an dem Gefühlen und Wahrnehmungen ausgewählter Figuren, die im ersten Band noch handlungrelevant waren, verfliegen hier schnell und machen Platz für andere spannungsfördernde Inhalte.

Überdies gestaltet Crueger den „Bootsmann“ so, dass man ihn auch ohne Kenntnis des ersten Buches verstehen kann, indem er relevante Aspekte punktiert erläutert, ohne den Ablauf zu bremsen und ohne dabei Fragen offen zu lassen, und doch soll hier natürlich denen, die ihn noch nicht kennen, „Der Flussmann“ feuchtwärmstens empfohlen sein. Die richtige Reihenfolge ist aufgrund einiger Spoiler vonnöten.