Von Matthias Bosenick (01.08.2025)
Mittlerweile ist der Post-Rock ja auch eine Art alter Kumpel geworden, reichlich ausformuliert und ausdefiniert. Das stellt man auch beim Hören von „A Single Flower“ fest, dem fünften Studioalbum des Sextetts We Lost The Sea aus Sydney: Die Parameter sind vertraut, die Strukturen, Harmonien, Emotionen, da muss man sich schon etwas einfallen lassen, um besonders zu bleiben. Festzustellen ist, dass es der Band bestens gelingt, ihre Musik genregemäß zu spielen; es ist eine Freude, „A Single Flower“ zu hören. Für die größere Unterscheidbarkeit müssten aber mehr Abweichungen her.
Post-Rock, das bedeutet, geachtelte flirrende Gitarren, die sich auf Wiederholung fußend harmonisch emporschrauben und die Hörerschaft auf dunkelgrauen Schwingen in die Höhe reißen, die eine Emotionalität triggern, die ganz ohne Texte auskommt. Und das, obwohl We Lost The Sea zu sechst sind, aber die sechs sind mit anderen Aktivitäten befasst als mit dem Singen, zur Hälfte mit Gitarrespielen nämlich. Gemächlich errichten die Australier ihre Tracks, lassen sie sich aus dem Staub der Welt erheben, türmen sie euphorisch auf und verleihen ihnen alsbald sogar eine gewisse Härte, an der alle Instrumente beteiligt sind, indem sie ihre Spielweise intensivieren, wirbeln die Sounds umher, verorten die Hörerschaft in der Mitte dieses Orkans und lassen den Rocktsunami dann wieder auslaufen. Eine dem Ambient nahe Stille wechselt sich mit der intensiven Seite dieser Musik ab.
Eine Eigenständigkeit ist, dass We Lost The Sea diese Ambientpassagen am Schluss des Openers „If They Had Hearts“ so weit ausdehnen, dass von Rock schon gar keine Rede mehr sein kann; eine leichte Ahnung von Sigur Rós macht sich breit, die sich mit den frühen Toundra abklatschen. Diesen Effekt, das Stille, Kontemplative auszuwalzen und sich den euphorisierenden Post-Rock daraus entwickeln zu lassen, wenden die sechs häufiger an. Im letzten Track „Blood Will Have Blood“ lassen sie sich dafür sogar satte 27 Minuten Zeit, vollführen diesen Trick dann aber auch gleich zweimal.
Es gibt noch weitere Exklusivitäten, etwa den manipulierten Snaresound am Anfang sowie die fuzzy Orgel am Ende von „Everything Here Is Black And Blinding“. Den unerwartet heftigen Schlag inmitten der Ruhe zu Beginn von „Bloom (Murmurations At First Light)“, der also von dem ansonsten behutsamen Wechsel der Gezeiten abweicht. Der Track entwickelt sich zudem noch zwischenzeitig ganz chillig in so eine Siebziger-Psychedelik-Softrock-Richtung. Wenn dann „The Gloaming“ als soundtrackartige traurige Piano-Streicher-Ballade beginnt, ist man reichlich verwundert.
Ihr Debüt „Crimea“ veröffentlichten We Lost The Sea 2010, mit dem dritten Album „Departure Songs“ weckten die Australier 2015 international einige Aufmerksamkeit. Das bis dato letzte Album „Triumph & Disaster“ hat mittlerweile satte sechs Jahre auf dem Buckel, mit „A Single Flower“ reagiert das am Schlagzeug neu besetzte Sextett auf die Coronapandemie. Auf dem Schemel folgte nämlich Alasdair Belling auf Nathaniel D’Ugo, der Rest blieb wie beim Vorgänger: Synthies und Piano spielte Mathew Kelly, Bass Kieran Elliott und die drei Gitarren Matt Harvey, Mark Owen und Carl Whitbread. Fürs nächste Album sei zu wünschen, dass We Lost The Sea das inzwischen doch recht starre Korsett des instrumentalen Post-Rock aufbrechen und um mehr unerwartbare, eigene Elemente erweitern.