









Von Matthias Bosenick (06.07.2025)
Ein Live-Comeback nach 38 Jahren, das dürfte an Rekorden kratzen: 1987 gaben die Wave-Rocker Clockwork Orange aus irgendwo zwischen Gifhorn-Leiferde und der ganzen Welt ihr letztes Konzert, seit etwas über drei Jahren arbeiten sie an der Neubelebung – und nun war es so weit, endlich. Und was für eine furiose Rückkehr! Sofort wähnte man sich wieder in den Achtzigern, gleichzeitig weder im überkommenen Gestern noch unter Epigonen – die fünf spielten schließlich die Musik, die sie damals schon spielten, indes um Jahrzehnte gereift. Wann auf Schallplatte?
Hier stimmte alles. Die Songs: Der Großteil des Gigs bestand aus Eigenkompositionen, und zwar solchen von damals, von den Tapes, die die Band seinerzeit herausbrachte. Die erste Idee, sie zeitgemäß zu arrangieren, hatte die Band schnell wieder verworfen, und das war gut so. Die ersten Töne am Bass erinnerten an „Waterfront“ von den Simple Minds, doch schwenkten Gitarre, Schlagzeug, Keyboard und Gesang in eine völlig andere Richtung ein. In keine, die man vorhersehen konnte, und so sollte es bleiben: Die Songs schlugen Haken, verliefen nicht nach dem üblichen Radioformat Strophe-Refrain-Brücke und gingen aus dem Stand ins Ohr und ins Herz. War das schon Progrock?
Damit einher ging natürlich die Qualität der Musiker: Wie er begonnen hatte, setzte Bassist Hardy „Crueger“ Krüger sein Bassspiel fort, punktiert, detailreich, mit beim Jazz abgeguckten Auslassungen den Groove befeuernd und ohne schlicht zu achteln. Was Co-Rhythmiker Niko Papendorf an seinem Schlagzeug vollführte, sprengte alle Vorstellungskraft: Was er alles an Fills und Breaks unterbrachte, stand in Sachen gefühlter Vielarmigkeit einem Oktopus bestens zu Gesicht. Bei einem Song kloppte er einen komplizierten regelmäßigen Beat auf den Toms – während er mit seinem Zweitkörper den regulären Rhythmus weiterspielte. Alles ohne einen Fehler. Rock’n’Roll!
Dann Christoph Thiem an der Gitarre: Er gab den Songs den Wave-Anstrich, spielte mal flächig, mal ultraschnelle Licks, mal Riffs, und zumeist Figuren, die den Songs eine Kontur verliehen, die die des Rhythmus’ erweiterte, ergänzte, vervollständigte. Sein Keyboard setzte Morten Schröder auf zwei Arten ein: Mal als Instrument der Fläche, das zu den Songs Atmosphären hinzufügte, und mal mit Sampler-Presets, die bereits einen Rhythmus vorgaben. Als zweite Stimme ergänzte er zudem Sänger Daniel Pieper, der dem Ganzen die Krone aufsetzte: Er schickte seine Texte nicht einfach als Begleitton in die Musik, er war selbst Musik, er sang keine einfachen Liedzeilen, sondern komplexe Melodien, und er bauten Abweichungen in seine Gesänge ein, er verlieh den Songs noch mehr Leben, als sie ohnehin längst hatten. Einmal ergänzte er das Schlagzeug mit punktierten Einlagen an E-Drums – und weil dies tatsächlich nur während eines Songs geschah, wirkte der Effekt noch intensiver.
Alles zusammen ergab Songs, die im Sound felsenfest in den Achtzigern verankert waren, aber in denen mit dunklerem Anstrich und trotzdem mit Lebensfreude. Mit ihren vier ins Set eingebauten Coversongs setzten Clockwork Orange möglicherweise Eckpfeiler für das Publikum, das ahnen durfte, woher die fünf seinerzeit ihre Inspiration zogen: „The Saints Are Coming“ von den Skids, jedoch viel punkrockiger als Clockwork Orange selbst, „Change“ von Tears For Fears, das sehr mutige, weil komplizierte „Psycho Killer“ von den Talking Heads mit humoriger Mitmach-Einlage sowie „Reformation“ von Spandau Ballet. Alles gute Songs, alle gut dargeboten – doch waren die eigenen Songs von Clockwork Orange durch die Bank besser, das muss man auch erstmal hinbekommen.
Klar, man konnte bei Clockwork Orange bisweilen ganz gut heraushören, wo sie abseits der Coversongs ihre Einflüsse hatten: Die Simple Minds von kurz vor der Stadionzeit waren ja bereits Thema. Der Offbeat in „Borderline“, das sie dem verstorbenen Saxophonisten Dietmar Lügger widmeten, erinnerte an The Police oder Fischer-Z. Der Rest verteilte sich uneindeutig im Hinterkopf klingelnd auf Martha And The Muffins, The Cure, Joy Division, U2, The Alarm, aber hey, damals klangen einfach viele Bands so, den Unterschied machten die Songs, und mit denen hätten Clockwork Orange seinerzeit neben den genannten Helden absolut bestanden. Vor drei Jahren hatten sie angekündigt, diese alten Songs neu einspielen zu wollen, und 2027 scherzhaft als Ziel ausgegeben. Bitte: Die Platte muss unbedingt her!
Als Vorprogramm war eigentlich das Duo Marisa vorgesehen, doch stand die Hälfte nicht zur Verfügung, weshalb sich die verbliebene Maria Grigoriadis ein halbes Dutzend Gäste zusammensuchte, mit denen sie in wechselnder Besetzung akustische Songs performte. Das Meiste entstand ohne große Vorarbeit quasi über Nacht und Nebel, und wie es eben ist, wenn man mit Profis arbeitet, hörte man dies den Songs nicht an. „Smooth Operator“ von Sade war in dieser kraftvollen Version sogar besser als das Original. Und weil das so spontan vonstattenging, übernahm die Multiinstrumentalistin und Sängerin eben für dieses Projekt das, was auf den Plakaten stand, als Namen: Special Guests. Ein entspannter Auftakt für ein bombiges Comeback.