Von Guido Dörheide (01.07.2025)
Eine neue Band mit einem bekloppten Namen – und zu allem Überfluss nennt sich der Sänger und Bediener sämtlicher Instrumente mit Ausnahme des Schlagzeugs auch noch Azaziel – hieß so nicht der Kater von Gargamel bei den Schlümpfen? Also so viel vorweg: Gasbrand hat nichts mit dem gefürchteten Gefrierbrand zu tun, auch nicht mit flackernden Gasbeleuchtungen, sondern meint im pschyrembelschen Sinne eine mit Gasbildung einhergehende nekrotisierende Infektion der Weichteile, die hauptsächlich auf eine Wundkontamination mit dem Bakterium Clostridium perfringens zurückzuführen ist, auch bekannt als clostridiale Myonekrose, eine im Ersten Weltkrieg unter Soldaten sehr verbreitete Todesursache. Der vermeintlich reißerische Bandname hat also einen ernsten Ursprung, wer sich in seinen Texten mit den Schrecken des Krieges beschäftigt, darf sich auch einen martialisch anmutenden Bandnamen zulegen und unter den Pseudonymen Azaziel und F.N. firmieren, von mir aus.
„Fading Away In Nothingness“ ist das erste Album von Gasbrand aus früher einmal Marburg, Hessen, und jetzt Coburg, Oberfranken (meine Mudda stammt aus Neustadt bei Coburg, somit haben Gasbrand und ich (was ein schöner Titel für eine neue Netflix-Sitcom wäre, wie ich – und sicher nur ich – finde) schon mal was gemeinsam). 2020 und 2022 veröffentlichte die Band die EPs „Of Death And Despair“ (mit dieser Kombination kann man nichts falsch machen, finde ich) und „Dishonor, Madness And Calamity“ (da waren sie wieder, meine drei Probleme).
„Dishonor“, „Madness“ und „Calamity“ sind nicht ganz unwitzigerweise auch die Titel dreier Songs auf „Fading Away In Nothingness“.
Und nun habe ich schon genug an Band- und Songnamen herumgekalauert und wende mich der Musik Gasbrands zu. „Ich wende mich nun Gasbrands Musik zu“ – das hat Tiefe, das hat Klang, das muss raus.
Gasbrand machen Black Metal, und zwar so richtig, ohne Post und glücklicherweise auch ohne Blastbeats. Das hat Schlagzeuger F.N. auch gar nicht nötig – der Drumsound von Gasbrand ist hart, knochentrocken und immer präsent, was mich schon einmal gleich für die Band einnimmt. Es rattert, klackert und ballert, dass es eine wahre Freude ist, und Gasbrand können sowohl schnell als auch langsam richtig toll klingen, und das oft innerhalb ein und desselben Songs. Dazu singt Azaziel auf eine krächzende Art und Weise, die nie nervt, sondern immer perfekt zu Melodie und Instrumentierung passt und wirklich echt stimmungsvoll ist. Würde ich Black Metal bisher nicht mögen, könnten Gasbrand mich tatsächlich umstimmen. Das brauchen sie aber nicht, ich mag Black Metal, und das gerade, wenn er so überzeugend gemacht ist wie hier.
Das Album besteht nur aus acht Songs, läuft aber dennoch länger als eine Dreiviertelstunde, und das trotz zweier rund einminütiger Zwischenspiele („Dishonor“ – mit einem gesprochenen Text des aus dem Computerspiel „Gothic“ bekannten und beliebten Sprechers Bodo Henkel – und „Madness“, womit wir schon mal zwei Drittel von „Dishonor, Madness And Calamity“ abgehandelt hätten). Die Songs sind also lang und nehmen sich Zeit, und das ist wahrlich gut.
„Der Abgrund“ eröffnet das Album mit ziemlich exakt genau sieben Minuten Spielzeit, wir hören melodische Gitarren, das harte Schlagzeug, das Krächzen Azaziels und bekommen Abwechslung geboten, denn nach knapp zwei Minuten wird auch der Gesang melodiöser als zuvor und das Stück beginnt mich mitzureißen (ich hatte gerade das Gefühl, hinter „beginnt“ oder nach „mich“ gehöre ein Komma hin, kann mich aber nicht entscheiden, setzen Sie es daher gerne selbst, liebe Lesenden. Hier ist es: ,). Dann Dishonor mit dem bereits erwähnten Henkelbodo, und dann – „Stille“! Was im vorliegenden Kontext nicht wirklich Stille bedeutet, sondern ein richtig tolles Stück Black Metal, auf dem Azaziel seine Stimme als zusätzliches Instrument zu den betörenden Gitarren einsetzt und kotzt und krächzt, wie es schöner nicht sein könnte. Nach knapp zweieinhalb Minuten setzt dann ein wunderbares Schlagzeuggeballer ein – ist das jetzt schon ein Drum-Solo oder immer noch die Rhythmusfraktion? – man weiß es nicht, aber es gefällt. Und dann – nach knapp dreieinhalb Minuten – ist auf einmal nur noch eine zart hingetupfte Akustikgitarre zu hören, die nach anderthalb Minuten von einem wirklich hingebungsvollen Geröchel des Sängers abgelöst wird, dann zunächst wummernde und dann ratternde Drums – hier kommt keine Langeweile auf, und Stille schon gar nicht. „XVII – I Have Lived“ ist dann mit ein wenig weniger als neun Minuten das bis dahin längste Stück auf der an langen Stücken nicht armen Langspielplatte – ein athmosphärisches Intro wird von trocken ratterndem Schlagzeug abgelöst, hypnotische Rhythmik nimmt die Hörenden gefangen und auch wieder mal röchelndes Gekrächze macht den Gesangspart aus – und das, ohne zu nerven, sondern überaus songdienlich und irgendwie auch echt schön. Und wieder einmal mehr zwischen langsam und schön schnell changierend. Dann „Madness“, eins der vorhin schon abgekündigten Zwischenspiele, und dann gibt es das Titelstück, das es wieder einmal mehr in sich hat: Es beginnt ruhig mit Akustikgitarre, danach baut sich ein brachiales, aber ruhiges Riff auf, bis Gesang und Schlagzeug gleichzeitig wahrlich explodieren. So mäandert sich das Ganze dann abwechselnd bis zum Ende (wieder einmal mehr nach ca. 7 Minuten) hin und die Zeit vergeht wie im Flug. „Calamity“ ist dann wieder ein instrumentales Zwischenspiel (ich finde das irgendwie nicht unwitzig, die drei Begriffe der zweiten EP als Songs auf ein Album zu packen, und dann sind alle drei Stücke nur Überleitungen), und anschließend folgt „Downfall“, das letzte und längste Stück des Albums. In zehn Minuten und vierzig Sekunden nehmen uns Gasbrand mit auf eine Reise in das Herz des Black Metal: Das Stück baut sich langsam auf, die Gitarrenmelodie wieder einmal mehr betörend, dann ratterndes und knochentrocken produziertes Schlagzeug, dann wieder tolle Melodien auf der Gitarre und endlich röchelt Meister Azaziel aufs Neue drauflos, instrumentale Akustik-Zwischenspiele fehlen ebenfalls nicht und unterm Strich entsteht ein hypnotischer Effekt, der die Hörenden in den Bann zieht und eine knappe Minute vor Ende wieder fallen lässt. Ein kurzes Nachspiel auf der akustischen Gitarre und wir sind entlassen – das ist Black Metal in seiner schönsten Form und – wie ich finde, untypisch für das Genre – verbreiten Gasbrand mit ihrer Musik nicht nur Härte, sondern auch Wärme. Black Metal zum Knuddeln, könnte ich sagen, aber das tue ich nicht, weil Black Metal und Kuscheligkeit, das geht nun wirklich nicht zusammen. Außer vielleicht in Oberfranken.