Von Guido Dörheide (18.06.2025)
Ich hatte ja in letzter Zeit keine Hehl daraus gemacht, dass mir Neil Young mit seiner Veröffentlichungswut/-flut so ein ganz kleines bisschen auf den Sack geht – aber mal ehrlich, ein Jahr ohne minnichstens drei neue Young-Veröffentlichungen (eine neue Aufnahme plus zwei aus den Archiven in exzellenter Tonqualität herausgebuddelten Liveaufnahmen aus den 1970ern, die sich in etwa so anhören wie die Studio-Aufnahmen von damals, wobei es da ja auch immer noch Studioaufnahmen aus den 1970er Jahren gibt, die damals nicht veröffentlicht wurden, aber dafür dann auf anderen Studioveröffentlichungen aus der damaligen Zeit, die sich fast genauso anhören wie das, was jetzt als nicht veröffentlichtes Album von damals nun doch veröffentlicht wird – gengan’s scheeßn, Mr. Young) ist nun auch aus meiner Sicht ein verlorenes Jahr, und so sei es drum, dass Young heuer außer dem „Coastal Soundtrack“ mit wirklich guten und rewiederneuveröffentlichungswerten Rewiederneuveröfffentlichungen alter Songs nun auch noch ein Album mit neu ausgedachten Liedern heraushaut.
„Talkin’ To The Trees“ heißt es, und Neil Young hat es zusammen mit seiner neuen Band „The Chrome Hearts“ eingespielt. Diese besteht außer aus Young selber aus Spooner Oldham, der Young schon als Mitglied der International Harvesters (ein wahrhafter Welt-Name für eine Begleitband), der Stray Gators und auch sonst schon oft unterstützte, so zum Beispiel an der Orgel auf dem ganz wunderbaren „Harvest Moon“, Corey McCormick und Anthony LoGerfo, die schon zu Zeiten von „Neil Young and Promise Of The Real“ mit Neil Young zusammengespielt haben, nämlich als Teil von „Promise Of The Real“, sowie Micah Nelson, der sich auch schon als Begleitmusiker für seinen Vater Willie (sowie als dessen Co-Songwriter) mehr als nur einen Namen gemacht hat.
Erste Dinge zuerst: Youngs Stimme klingt auf diesem Album immer noch genau so, wie wir sie hören wollen: Hoch, teils schneidend, manchmal aggressiv, aber irgendwie auch immer die Hörenden warm und gefühlvoll umschmeichelnd. Und ein neues Young-Album begrüße ich immer nochmal mehr als eine neue Veröffentlichung aus des Meisters 1970er-Jahre-Archiven. Weil ich bei neuen Alben des mittlerweile 79jährigen immer wieder aufs Neue mitbekomme, dass Young es noch drauf hat, dass er toll Gitarre spielt, dass er toll singt und vor allem, dass er immer noch Wichtiges zu sagen hat.
So zum Beispiel bei „Let’s Roll Again“ (wir erinnern uns noch alle an „Let’s Roll“ vom 2002er, zusammen mit Booker T. & The MG’s aufgenommenen Album „Are You Passionate“, auf dem sich Young in die Passagiere des Fluges hineinversetzte, der im World Trade Center endete), ein Stück, das melodisch sehr nach „This Land Is Your Land“ klingt und in dem sich Autofreak Young an die drei großen amerikanischen Autobauer Ford, GM und Chrysler wendet und sie dazu auffordert, endlich etwas zu bauen, das nicht die eigenen Kinder tötet und sauber läuft. Auch, dass China sowas inzwischen besser kann, erwähnt Young in dem Song. Und Faschisten sollen ruhig Tesla kaufen, scheißegal, ob der elektrisch fährt. „Over in China, they’re way ahead / That’s hard to swallow, they’re way ahead“ ist schon mal eine Ansage von einem Kanadier, der sich die USA als seine Heimat ausgesucht hat.
Die ersten drei Songs des Albums sind sehr familienbezogen. „Family Life“ beispielsweise ist ein wunderschön herzerwärmender Song, in dem Young für jedes Kind und Enkelkind eine eigene Zeile übrig hat, und das alles zu wunderbarer fröhlicher Folk-Musik. Nicht mal Zeilen wie „Singing for my best wife ever – The best cook in the world“ kann man ihm übelnehmen, außerdem erfährt man so ja auch, dass Darryl Hannah wohl recht gut kochen kann.
„Dark Mirage“ klingt dann schon sperriger – Youngs Vortrag hört sich irgendwo nach „Freedom“ oder „Ragged Glory“, also 1989 bis 1990 an – und er singt über einen Konflikt mit seiner Tochter („Well I lost my little girl to the darkness inside / Her mama’s gone now, and there’s nowhere to hide“), den er aber nur andeutet und nicht eindeutig beim Namen nennt. Jedem Vater einer Tochter, dem Konflikte nicht fremd sind, stehen hier die Tränen in den Augen.
Auf einigen Songs kommt Young von wegen so der Musik und der Stimmung und so an „Harvest Moon“ von 1991 heran – beispielsweise auf „First Fire Of Winter“. Schöön mit Mundharmonika, sehr hohem Gesang und trauriger Melodie.
Musikalischen Krach, für den Neil Young ja ebenfalls bekannt ist, gibt es glücklicherweise auf „Talkin’ To The Trees“ ebenfalls zu hören. Nämlich auf „Big Change“. Youngs Stimme röhrt beinahe heiser und vor allem aggressiv, die Gitarre dröhnt und rückkoppelt, wie man es von Young hören will, und der Text macht deutlich, dass „big change“ mit dem derzeitigen Präsidenten wohl nicht so schnell kommen wird. Dann wieder Folk, auch sehr schön mit Mundharmonika („Talkin’ To The Trees“, der Titelsong) und sehr gefühlvoll-sentimentalem Vortrag. Hier höre ich all das heraus, was ich damals, als ich mir Young als Künstler meines Vertrauens erschloss, nämlich zu Zeiten von „Harvest Moon“ und „Unplugged“ in den frühen 1990ern, so großartig und einzigartig an ihm fand und immer noch finde.
„Movin’ Ahead“ ist dann nochmal ein Bluesrockkracher, bei dem Young gefühlt drei Meter hinter dem Mikro steht und in es hineinschreit, „Bottle Of Love“ ist dann nochmal ein wunderbarer Appell, alle Menschen zu lieben (hätte vom Sound auch gut auf „Harvest Moon“ gepasst), und handelt davon, alle Tränen in einer Flasche der Liebe aufzubewahren (und der Verlierer muss sie dann austrinken, hätte ich fast in Erinnerung an ein ähnlichlautendes Weinprobenzitat meines Herausgebers aus 2005 gesagt, zum Glück bleibe ich manchmal einfach stumm und spreche meine Gedanken nicht aus) – und der Abschlusssong „Thankful“ haut nochmal einmal mehr in die „Harvest Moon“-Kerbe und lässt uns Hörende dann doch recht dankbar dafür zurück, was Neil Young auf seine alten Tage noch an toller Musik so raushaut. Aus autobiografischer Sicht muss ich dann noch anfügen, dass Young, als ich ihn 1993 mit „Unplugged“ für mich entdeckte, mit 47 Jahren deutlich jünger war, als ich es heute bin, seine richtig großen Zeiten mit „After The Gold Rush“, „Harvest“, „Rust Never Sleeps“ und sogar „Freedom“ dennoch schon irgendwie hinter sich hatte, und es trotzdem immer wieder geschafft hat, weltbewegende Musik zu veröffentlichen, wie zum Beispiel „Mirror Ball“, zusammen mit Pearl Jam 1995, „Greendale“ 2003, „Living With War“ 2006 – eins der apseluten „Wir-sind-durch-mit-George-W“-Alben aller Zeiten, unglaublichen Noise-Experimenten wie „Le Noise“ (2010, produziert von Daniel Lanois) oder auch „A Letter Home“ (2014), aufgenommen unter der Produktion von Jack White in einer Vinylaufnahmebox aus den 1940er Jahren. Nun hier also eine Rückbesinnung auf musikalische Zeiten vor knapp 40 Jahren mit aktuell bewegenden Themen in den Texten – perfekt!