Van Morrison – Remembering Now – Exile/Virgin 2025

Von Guido Dörheide (13.06.2025)

Von Van The Man zu Ivan The Horrible oder um nicht zu sagen „Schorsch Ivan, hör auf am sabbeln, die Leute gucken schon!“, so stellte sich der Werdegang des gerade mal knapp über anderthalb Meter großen Nordiren seit Corona leider dar. Nun bricht man nicht einfach mal so eben mit dem Schöpfer von „Gloria“ und „Brown Eyed Girl“ sowie dem Interpreten von „It’s All Over Now, Baby Blue“, nein, sowas macht man sich schwer und hadert mit sich und versucht, Künstler und Kunstwerk zu trennen. Was im Falle von Schorsch Ivan nicht ganz so einfach ging, weil er ja sein Geschwurbel auch in seine Texte hat einfließen lassen. Dazu höre man sich gerne mal „What’s It Gonna Take?“ aus dem Jahr 2022 an, Kotztüten verschicke ich gerne auf Anfrage.

Heuer legt Morrison ein neues Album mit einem scheußlichen Cover vor, „Remembering Now“ heißt es und ist länger als eine Stunde lang. Vorne steht nicht drauf „Hallo, ich bin der Van Morrison und es tut mir Leid wegen zuletzt“ oder sowas, aber das hat das Album auch gar nicht nötig:

George Ivan Morrison aus Belfast feiert in diesem Jahr – kurz nach meiner Mutter, die ebenfalls derzeit 79 Jahre alt ist – seinen 80. Geburtstag, und er ist gut bei Stimme und anscheinend bester Laune. Auf „Remembering Now“ (ein ganz schöner Titel eigentlich, denn an jetzt sollte man sich gerne immer wieder zurückerinnern) finden sich keine politisch fragwürdigen Schwurbeleien, die Produktion passt ganz wunderbar, die Instrumentierung ist reichhaltig (schöön viel Orgel), aber nie überfrachtet, und vor allem hat Morrison hier nicht entweder grantelig die Regierung (oder vielmehr alle Regierungen) verdammt oder alte Großtaten mit neuen Duettpartnerinnen neu vertont – nein, er hat sich 14 neue Lieder ausgedacht und dann in ganz hervorragender Art und Weise eingespielt. Seine Anhängerschaft liebt Van Morrison für seine einzigartige Stimme, seine Art, zu singen, und für die ihm innewohnende Fähigkeit, Blues, Soul und 2% Jazz zu dem zu verschmelzen, was wir seit „Astral Weeks“ (1968), „Tupelo Honey“ (1971) oder „Veedon Fleece“ (1974) gerne von diesem Interpreten hören wollen.

Mit „Down To Joy“ legt der Meister gleich ganz toll los – blueslastige Gitarren und ein unvergleichlich lässiger, aber nachdrücklicher Gesang nehmen uns gefangen, natürlich geht sowas nicht ohne eine Anzahl an Backgroundsängerinnen, diese halten sich hier aber noch eher zurück. „If It Wasn’t For Ray“ ist eine Lobhudeley auf Ray Charles, und was für eine! Sehr leichtfüßig setzt Morrison dem großen Amerikaner, der Soul, Blues, Rhythm’n’Blues, Rock’n’Roll und sogar Country and Western immer wieder neu erfand, ein Denkmal. Auch gut zu wissen, dass selbst ein Mega-Ego wie Van Morrison noch Vorbilder hat.

Auf „Haven’t Lost My Sense Of Wonder“ schlägt dann endlich die Stunde der Backgroundsängerinnen: Mit stimmungsvollem Schlagzeug, viel Bass und wundervoller Orgel beginnt der Song, Morrison singt, als wäre es 1971 (oder 1974 oder wann auch immer, auf jeden Fall früher und so), dann werden seine Worte von einem Chor aus weiblichen Stimmen wiederholt, man wechselt sich ab, lullt die Hörenden ein und alles ist gewaltig.

Es folgt Song auf Song, und es wird nie langweilig, nie beliebig, jedes einzelne Stück ist für sich genommen eine Rechtfertigung für dieses Album. Auf „Cutting Corners“ klingt selbst bei Morrison ein wenig Country und vielleicht auch ein bisschen Western durch, „Back To Writing Love Songs“ klingt so amerikanisch, wie ein Nordire nur klingen kann (und das klingt großartig), bei den längeren Stücken gegen Ende des Albums (wie zum Beispiel „Memories And Visions“) kann Morrison die Stärken seiner Stimme noch einmal toll ausspielen.

Das Titelstück „Remembering Now“ (das nach dem Album benannt ist, wie ich fast noch ergänzt hätte) ist dann ein tolles Klavierstück, unterlegt mit Streichenden, und Morrison singt abgehackt, beinahe atemlos, und das klingt toll! So eine richtige Melodie findet hier nicht statt, dafür wird Spannung aufgebaut ohne Ende, in der Mitte hagelt es gedämpfte Bläser und wieder einmal diese tolle Orgel – ich empfinde beim Hören ähnliche Glücksgefühle wie beim Hören von alten Sinatra-Klassikern. „Stretching Out“, das letzte Stück, ist mit knapp neun Minuten das längste auf dem Album, es beginnt ruhig mit Streichern und einem sehr ausgefeilten und nicht nach einem alten Mann klingenden Gesang. Die Streicher verfallen in eine Art Loop und Morrison singt einfach weiter und weiter und ich möchte nicht aufhören, seiner Stimme zuzuhören. Was ja auch bei der langen Laufzeit des Stückes gar nicht so schnell vonnöten ist. Hinzu kommen die besagten Backgroundsängerinnen, ein Klavier (ein Klavier!), aber George Ivan scheißt sich nix und singt einfach stoisch weiter. Ich gehe davon aus, dass er weiß, dass er selber es ist, auf den es hier ankommt, und in diesem Wissen singt er einfach alles an die Wand, was es an die Wand zu singen gibt. Alles an diesem letzten Song – sowohl der Gesang als auch die Instrumente – klingen sowas von entspannt und entfachen dennoch eine solche Wucht und lassen die Hörenden am Ende einigermaßen durchgeschüttelt zurück.

Van the Man is back again – Hell Yeah! Fuck Yeah! – und ich feiere das.