Von Guido Dörheide (21.05.2025)
Eine neue Band aus Deutschland, genauer gesagt aus Nordrhein-Westfalen, was wir im Gegensatz zu Mittelfranken oder Göttingen mal gelten lassen – „The Great Sea“ machen Black Metal und sind in der Musikszene keine Unbekannten: Janosch Rathmer (Schlagzeug, Keyboards, Bass) und Stefan Hackländer (Gitarre, Keyboards) wirk(t)en bislang in Bands wie Misery Speaks, Long Distance Calling, Steel Death, Black Horizonz und Ordeal & Plight. Bei The Great Sea bilden die beiden die Instrumentalfraktion, das Projekt (die Band?) ist jedoch keineswegs alleinig instrumental unterwegs, Phil „sG“ Jonas von den wunderbaren Secrets Of The Moon (falls Ihr die nicht kennt, gerne mal in „Sun“ und „Black House“ reinhören!) und Matthias „Azathoth“ Jell, ex-Dark Fortress und Gràb., machen den Gesang. Und wie!
The Great Sea kommen auf „The Water Remains“ erstmal als Post Black Metal daher, der Song startet langsam mit düsteren Gitarren und dann irgendwann einem Black-Metal-Grunz-Schrei und tollem Gesang, atmosphärisch, ruhig und nicht wehtuend. Derweil das Schlagzeug sich durchaus an typischen Black-Metal-Mustern abarbeitet, und irgendwann wird auch die Gitarre um einiges norwegischer, und dann sind wir mittendrin: Black Metal der zweiten Welle aus Norwegen, aber schön melodisch und mit einem Gesang, der extrem ist, aber nicht weh tut. So was Schönes! „The Water Remains“ dauert acht Minuten und vierzig Sekunden und ist damit echt nicht zu lang. Hätten The Great Sea nur dieses Teil veröffentlicht und behauptet, sie kämen aus dem Saarland und wären Teil eines missglückten Experiments der Regierung von Oberbayern, dazu noch ein wackeliges Super-8-Handkamera-Video, wer weiß, was aus dieser Band geworden wäre? Gegen Ende donnert „The Water Remains“ dann brachial vor sich hin, nix mit Post, und der Gesang ist großartig, dazu ein langsames, melodisches Solo, das jeder Dilettant spielen könnte, man sich aber auch erstmal ausdenken muss. „Eden Unfolded“ beginnt auch erstmal mit früher Metallica-Gedächtnis-Akustikgitarre, kommt dann aber schnell auf den Punkt: Das Schlagzeug hämmert, der Sänger krächzt, der Bass sorgt für Tiefe und Unwohlsein in der Magen-Darm-Gegend und dennoch hat das alles irgendwie Melodie. Black Metal ist eben doch mehr als Homizid, schlechte Laune und der Leibhaftige in Norwegen (Trucks, Regen, Bahnhof, Gefängnis, Mutter, betrunken werden? Dallas, Scheidung, tote Hunde??), man kann ihn auch mit viel Anstand, Spielfreude und Atmosphäre in die Neuzeit retten, wie The Great Sea hier beweisen. „The Maze“ haut weiter in dieselbe Kerbe und macht nicht weniger glücklich als die beiden Songs davor, zumal auch der Gesang wirklich sehr schön ist – es wird gekrächzt und geächzt, aber niemals so, dass es nervt, immer schöön songdienlich und dem Genre angemessen. Also quasi eine glatte 10 auf der nach oben offenen Tom-G.-Warrior-Messlatte.
„No Peace Among Men“ ist dann ein gaaaanz toller Song: Er beginnt düster-verheißend mit vielen Synths und einer sparsam eingesetzten Akustik-Gitarre, dann donnert es elektrisch los, das Schlagzeug stoisch und monoton, ebenso der Gesang, wie man soo krächzend singen kann, ohne zu nerven oder weh tu tun, ist mir ein Rätsel. Knapp 8 Minuten lang liefern The Great Sea hier einen Black-Metal-Epos ab, dem es an nichts mangelt, es wird lauter und leiser, akustischer und verzerrter, Melodie hamwa, extremen Gesang auch, perfekt, sarickma! Der Höhepunkt des Albums ist damit überschritten, was aber nicht bedeutet, dass jetzt nichts mehr kommt: „Fading“ klingt wie „Ich probiere mal den neuen Verstärker aus, der heute geliefert wurde“, aber auf „Upright In Nothing“ wird dieser dann gleich mal auf die 11 gedreht: Ein so hartes und gleichermaßen atmosphäregeladenes Intro hätte ich gegen Ende des Albums nicht mehr erwartet, grandiose Schlagzeugarbeit, über jeden Zweifel erhabener Gesang, Darkthrone trifft auf Fields Of The Nephilim – minnichstens! Wenn ich einen einzigen Black-Metal-Song mit auf die einsame Insel nehmen kann, dann bitte „Upright In Nothing“, bitte!
Mit „Walking At The Edge Of Death“ können The Great Sea dann nicht mehr viel kaputtmachen – was soll auch in knapp über 8 Minuten auch noch schiefgehen, zumal bei einer nur sieben Songs umfassenden Langspielplatte? Ja nee, nun mal im Ernst: Knapp über 8 Minuten bei 7 Songs und knapp 42 Minuten Gesamtspielzeit bedeutet mehr als ein Fünftel des Gesamteindrucks, oder? Aber keine Sorge – mit „Walking At The Edge Of Death“ machen The Great Sea nicht nur nichts kaputt, im Gegenteil, sie beenden das Album sehr stilvoll, ruhig und dennoch krachig, mit tollen Melodien, prima Gesang, Vehemenz und hinterlassen die Hörer:innenschaft in dem sehr festen Glauben, dass Black Metal weder tot ist noch komisch riecht. Hoffentlich kommt noch ganz viel von The Great Sea, ich bin gespannt drauf und vertraue darauf.