Von Matthias Bosenick (14.05.2025)
Irgendwie scheinen die alten Schotten ihre Spielfreude zurückgewonnen zu haben. Der dritte Teil der „Live In The City Of“-Reihe mit dem Amsterdamer Schwerpunkt „Diamonds“ zeigt die Simple Minds agiler als der zweite, „Angels“, der 2019 den ersten, „Light“, aus dem Jahr 1987 fortsetzte. Besser als jener wird’s eh nicht mehr, aber dennoch darf man an diesem Best-Of-Potpourri mit prominenter hervorgehobener Gaststimme und eingearbeiteten Abweichungen seine Freude haben. Die sehr geilen Post-Punk-Synthie-Wave- und die sehr erfolgreichen Stadionrock-Zeiten der Achtziger bilden hier den bekannten Schwerpunkt, die eingeflochtenen neueren Stücke belegen, dass dies auch die beste Zeit der Glasgower war. Es lohnt das Mediabook mit sechs zusätzlichen Stücken.
„Let me see your hands“, sagt Roland-Kaiser-Lookalike Jim Kerr gleich in der ersten Phase des Openers „Waterfront“. So schlimm wird’s dann aber doch nicht. Im Gegenteil sogar: Kerr schart eine Gruppe versierter Mitmusizierender um sich, die Bock auf die Songs haben und ihnen sogar etwas Rauhheit einhauchen, sie also längst nicht mehr so stromlinienförmig glattpoliert darbieten wie auf der „Angels“-Sammlung. Gott sei’s gelobt! Zu der gesteigerten Lebendigkeit trägt ganz überraschend Charlie Burchill bei, neben Kerr einziges verbliebenes Urmitglied der 1977 gegründeten Band, der seine Gitarre mehr als nur zweckdienlich einsetzt, indem er gniedelt, was die Apparatur hergibt, und diese auch mal räudig bedient. Scheiß auf Erwartungen und Erfüllung!
Es war eine grandiose Idee, Sarah „Gorgeous“ Brown 2009 zum festen Bandmitglied zu machen: Ihr Gesang bereichert die Songs ungemein, nicht nur die, die zu Stadionrock-Zeiten ohnehin mit weiblicher Co-Stimme besetzt waren, sondern auch die anderen, die sie dezidiert und songdienlich mal mehr, mal weniger ausgeprägt bereichert. Sie weiß Maß zu halten und damit den positiven Effekt noch zu verstärken. Ein Jahr später kam Bassist Ged Grimes zur Band, und der lässt hier zwischenzeitig dermaßen den Groove los, dass man staunt, was die Band alles noch in sich hat. Noch mehr Groove steuert die 2017 dazugekommene Schlagzeugerin Cherisse Osei bei, die egal bei welchem Stück die Felle und die Becken gerbt, dass Kerr und Burchill beinahe alt aussehen. Ach, tun sie ja eh. Zeitgleich mit ihr kehrte Gordon Goudy als zweiter Gitarrist zur Band zurück, die er um die Jahrtausendwende bereits unterstützt hatte, und der kennt sich mit Waverock ganz gut aus. Erst neu im Team ist Erik Ljunggren, der in Norwegen den Synthiepop erlernte und seit 2023 bei den Simple Minds die Erinnerungen an die geilen Zeiten mit Michael McNeil zurückruft.
Ein Großteil der Aufnahmen entstand in Amsterdam, was den Titel rechtfertigt, obwohl er nicht exklusiv sein dürfte, aber egal, klingt schön. Erstaunlicherweise lassen die Simple Minds diese Songsammlung ausgerechnet mit dem am wenigsten massentauglichen Stücken beginnen, nämlich einigen von den ersten fünf Alben, als sich die Band gerade vom Punk in den monotonen Synthie-Wave-Bereich entwickelt hatte. Nachdem die Simple Minds diese Zeit noch in den Neunzigern als naive Frühwerke abtat, besann sie sich gegen Ende jenes Jahrzehnts dieser wahrhaftig grandiosen Musik und flocht nicht nur wieder synthetische Elemente in den jeweils aktuellen Sound ein, sondern brachte die alten Songs mehr und mehr in die Livesets unter, was 2012 zu „5×5 Live“ führte, einem Live-Doppel-Album mit ausschließlich Songs dieser Ära. So beginnt dann auch dieser Mitschnitt, nach dem Opener folgen „Love Song“, „Sons And Fascination“ – geil begonnen mit enorm ausgeprägtem Bass und kalten Synthies, zur Hälfte dann mit dem Restinstrumentarium überzeugend in Richtung Rocksong gedrückt –, „Sweat In Bullet“ und das extrem monotone „This Fear Of Gods“, zwar etwas kürzer als die über sieben Minuten auf „Empires And Dance“, aber mutig genug, ein so unzugängliches Stück überhaupt und dann noch so prominent nach vorn im Set zu bringen. Auch hier baut die Band bald ungewohnte Gitarrenbretter ein, die sogar richtig gut passen.
Anstatt chronologisch vorzugehen, nehmen sich die Schotten nun die Neunziger vor, mit „Let There Be Love“ und einem „She’s A River“, das man mit seinem Synthie-Intro nicht einmal sofort erkennt, das dann aber mächtig losrockt, was Kerr dann auch feststellt: „That’s Rock’n’Roll“. Es folgen die Mitt-Achtziger, kurz vor dem Stadion, darunter „Glittering Prize“, das die Band mit Gitarrensolo und Zweitstimme aufwertet und das das Publikum einmal mehr zum Mitsingen animiert. „New Gold Dream (81*82*83*84)“ erinnert in dieser Darbietung sogar an die Version der Utah Saints, so kraftvoll und dynamisch, und dann noch mit einem Schlagzeugsolo, in dem sich Osei richtig geil austobt. Die erste CD endet mit einem zehnminütigen „Belfast Child“, das die Intensität dieses Liedes über den Nordirlandkonflikt noch verstärkt.
Auf der zweiten CD erst verschiebt sich der Altersdurchschnitt der Songs etwas mehr in Richtung Gegenwart. „See The Lights“ aus den Neunzigern entwickelt sich zu einem vollmundigen Gospelrock, „Book Of Brilliant Things“ überrascht als anfängliche Synthie- und Pianoballade, komplett allein vorgetragen von Brown, die den Song mit in einen Rocksong zu überführen hilft. Die Mittachtziger-Stadion- und -Radiohits „Don’t You (Forget About Me)“, „Alive And Kicking“ und „Sanctify Yorself“ bekommen zusammen über 20 Minuten ausgiebiger Huldigung. Hier endet die reguläre Version, ab jetzt folgt der Bonus des Mediabooks.
Zuletzt kehren die Simple Minds wieder zum Frühwerk zurück und gönnen sich den Spaß, dieses mit ihrem Spätwerk zu durchmischen: „Vision Thing“ (nicht von den Sisters) und „Solstice Kiss“ sind von „Direction Of The Heart“, dem jüngsten Studioalbum aus dem Jahr 2022, eingebettet in „The American“ und „Premonition“ von „Sister Feelings Call“ 1981 sowie „Real To Real Cacophony“ 1979. Hier wird besonders deutlich, wie weichlich die neuen Songs im Vergleich erscheinen, obschon sie hörbar versuchen, an die alten Experimente anzuschließen. Aber das gelingt der Band hier live weit besser – diese Energie sollten sie ins nächste Studioalbum übernehmen, die Experimentierfreude ebenso. Nach „Hunter And The Hunted“ und „Colours Fly And Catherine Wheel“ endet dieses Livealbum – also mit zwei eher unbeachteten Songs von „New Gold Dream“ 1982. Heißt außerdem: Die Studioalben zwischen „Néapolis“ 1998 und „Walk Between Worlds“ 2018 bleiben, ebenso wie das 1979er Debüt, komplett unberücksichtigt.
Der Unterschied in der Songauswahl ist zu „Live In The City Of Angels“ also gar nicht so groß, aber die Darbietung ist hier um Längen überzeugender. Man darf als alter, zwischenzeitig mehrfach leicht bis mittelschwer enttäuschter Fan wieder Freude am Oeuvre der Simple Minds entwickeln. Es lohnt sich. Auch wenn „Live In The City Of Light“ aus dem Jahr 1987 natürlich ungeschlagen bleibt.