Von Guido Dörheide (06.04.2025)
Wäh? Das sollen Black Country, New Road sein, klingt zwar ähnlich wie die, aber warum singt da nicht Isaac Wood, wie bisher gewöhnt? Ach so, ja, er ist ja bereits 2022 bei dem bisherigen Septett aus London ausgestiegen, und den Gesang übernehmen seitdem die Keyboarderin May Kershaw, die Bassistin Tyler Hyde und die Violinistin Georgia Allery. Kann das hinhauen?
Ja, kann es und tut es. Und das haben Black Country, New Road auch schon auf dem 2023er Live-Album „Live At Bush Hall“ unter Beweis gestellt (mit einer kleinen Hilfe von Saxofonist Lewis Evans am Gesang). Und so sehr ich Isaac Woods Gesang auf den ersten beiden BCNR-Studioalben „For The First Time“ und „Ants From Up There“ auch feierte und schätzte – auf „Forever Howlong“ fehlt er an keiner Stelle. Das Eröffnungsstück „Besties“ beginnt mit dem typischen BCNR-Mischmasch aus Gitarren, Bässen, Geigen, Saxofonen, Keyboards und einem Schlagzeug, die ganze Gemengelage klingt manchmal schräg und anstrengend, nicht so aber hier, da sich die Hörenden nicht noch zusätzlich mit Isaac Woods eigenartiger Stimme anfreunden müssen. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich Isaac Wood als Sänger nicht gut fand – ganz im Gegenteil, er war großartig, aber der Schwenk zum nunmehr durchweg weiblichen Gesang verleiht der multiinstrumentalen Vielfalt, die sich auf jedem BCNR-Album über die Hörenden ergießt, zu einer ganz neuen Qualität, mit der man erstmal klarkommen muss: Ich habe bislang alles geliebt, was von dieser Band kam, brauchte aber auch immer erstmal mindestens ein Vierteldutzend Durchläufe, um mich reinzuhören. Bei „Forever Howlong“ gelang es mir schon beim zweiten Durchhören, das Album komplett ins Herz zu schließen, und ich denke, der Gesang hat da einen gewichtigen Anteil daran.
Immer noch begeistern Black Country, New Road mit ihrem obwaltenden Pandämonium auf mehr gleichzeitig gespielten Instrumenten, als der durchschnittlich gebildete weiße Mann zu benennen imstande ist. Und auch das Songwriting ist weiterhin über jeden Zweifel erhaben. Dennoch denke ich: Das hier und Isaac Wood vielleicht bei jedem dritten Song am Mikro, das wäre das Optimum.
Aber Optimum her und Wurscht alles: Was kann „Forever Howlong“ und macht es Spaß oder was?
Ja, tut es definitiv und es kann eine Menge:
Über „Besties“ hatte ich mich ja schon ausgelassen, hier will ich nur noch ergänzen, dass es mich an die späten Beatles erinnert, irgendwie aus dem Bauch heraus. „The Big Spin“ geht in eine ähnliche Richtung, aber mit „Socks“ bekommt das Album eine andere Richtung: Um die zwei Minuten baut das Stück ausschließlich auf dem wunderbaren Gesang auf, keine instrumentalen Pandämonien nirgends, zur Mitte des über sechsminütigen Stücks spielen dann wieder alle Instrumente um die Wette, Queen treffen auf Siouxsie And The Banshees, der Gesang bezaubert, und dann wird es wieder ruhiger, bleibt aber großartig.
„Salem Sisters“ wird vom Klavier eingeleitet, ein bei NCBR gerne genommenem Instrument, und zu einem, wie ich als Banause sagen würde, Tango-Rhythmus nimmt es munter seinen Lauf. „Two Horses“ ist dann mit seinen knapp sechseinhalb Minuten eins der längsten Stücke auf dem Album. Und eventuell auch das beste. Georgia Ellery singt heiser, hauchend und überaus mitreißend über James Dean und irgendwelche Blutsauger, die einem die Pferde töten.
Das darauf folgende „Mary“ mit allen drei Sängerinnen ist noch berührender: Es handelt von einem Mädchen, das in der Schule gemobbt wird, was in eindringlichen Worten und sparsam instrumentalisiert in Szene gesetzt wird, hauptsächlich sind hier die Gitarren am Werk, und die Stimmen, und wie!
Auf „Happy Birthday“ bleibt es ruhig, klavierlastig, zumindest zunächst. Gegen Ende setzen alle anderen Instrumente ein, und wenn ich dann in den Text hineinhöre, scheint der Birthday, der hier besungen wird, nicht so wirklich happy zu sein. Die Besungene wird beschuldigt, jemanden des Geldes wegen geheiratet zu haben und nun auf seinen Tod zu warten, während viele andere einen Arm und ein Bein (im Text „an arm and a limb“ oder wie meine Freundin Katja aus Schottland immer sagt „costs you an arm and a leg“) gegeben hätten, um dort zu leben, wo die Besungene lebt. Alles ist aber nicht die Schuld der Besungenen, sondern diejenige der Welt, in der sie hineingeboren wurde, was die ganze Gemengelage nicht einfacher macht. Anstrengender zu verstehen als „I’ve Come To Wish You An Unhappy Birthday“ von den Smiths, aber schöner und differenzierter.
Generell lohnt es sich bei Black Country, New Road immer, in die Texte reinzulesen, und ich gebe zu, sie nicht immer so richtig oder zumindest nicht auf den ersten Blick zu verstehen oder mir nicht so manches Mal wütend an den Kopf zu fassen. Ein Beispiel dafür ist „Nancy Tries To Take The Night“, es geht um die Beschimpfung einer Frau, die wohl Nancy heißt und an der die Beschimpfende zu wunderschönen Saxofonklängen kein gutes Haar lässt. Muss was Persönliches sein, irgendwann kommt ein wunderschön monotones und hartes Schlagzeug dazu, der Gesang bleibt lieblich, obwohl die Beschumpfene immer fieser beschimpft wird. Nancy hat irgendwie die Nacht weggenommen, mehr verstehe ich nicht. Hmpf.
Anschließend kommt das Titelstück des Albums, wieder einmal mehr ruhig beginnend und sich dann steigernd und abgesehen vom apselut beeindruckenden Gesang bekommen wir Streicher geboten. Und das ist gut. Mit „Goodbye (Don’t Tell Me)“ schließt das Album, ein weiterer ruhiger Song über Schmerz und große Verwirrung (zumindest geht es mir so beim Hören des Textes).
Das klingt jetzt vielleicht alles nicht sehr überzeugend, aber „Forever Howlong“ ist bislang das Album von Black Country, New Road, das mir am besten gefällt, einerseits wegen des wundervollen Gesangs, und andererseits, weil es mich sehr oft an die anstrengenden Stellen bei den Beatles erinnert, ohne dabei kompliziert oder inhomogen zu wirken.