Whitechapel – Hymns In Dissocance – Metal Blade Records 2025

Von Guido Dörheide (07.03.2025) „Hnymms“, scheiße, nein, „Hynms“, Kacke, auch nicht, „Hymns In Dissonance“ heißt das neue Album von Whitechapel, dem Stadtteil von London, UK (Former Proud Member of the EU), in dem Jack the Ripper einst sein Unwesen trieb. Whitechapel machen Deathcore, also eine Musikrichtung, die ich eigentlich verabscheue. Dennoch mag ich Whitechapel (klar, nach „The Valley“ muss man diese Band ja – trotz der zahlreichen Klargesangseinlagen – auch lieben, weil sie wirklich großartige Musik macht), und auf ihrem aktuellen Album machen sie es mir noch leichter als bisher, sie zu mögen. Weil nämlich Phil Bozeman darauf verzichtet, Klargesang darzubieten, also mehr Death als Irgendwas-Core abliefert. Den Vorgänger „Kin“ aus 2021 habe ich schon klasse gefunden (jahaa, auch wegen der toll untergebrachten Klargesangpartitionen), obwohl Bozeman da auch Klargesang darbot, aber auf dem neuen Album verzichtet er komplett darauf (auf Klargesang, erwähnte ich das?) und ich feiere das. Was ich hiermit ausdrücklich erwähne.

Der Opener „Prisoner 666“ startet wenig hart und dafür mehr düsterlich und verwaschen klingend – bis Phil Bozeman die Bühne betritt und sich die Lunge aus dem Leib kotzt, als gelte es, sein Leben zu retten, das Schlagzeug beginnt am Hämmern, Gitarren und Synths bleiben düster und die Hörenden finden sich an die Wand eines dunklen Kellergewölbes geklatscht. Dann irgendwann ein Gitarrensolo, das schön ist, die Hörenden aber nicht genießen können, weil Bozeman weiter kotzt. Söööx, sööööx, sööööx. Chröööstöönpflöööcht quasi. Ein toller Einstieg in ein – wie ich hoffe – toll weitergehendes Album.

Ja, und das tut es. Track zwei ist der Titeltrack, er eröffnet mit Geballer, Gekotze, wie schnell kann ein Schlagzeug gespielt werden und Gekeife. „Hymns In Dissonance“ ist tatsächlich mehr Dissonanz als Hymne, Bozeman growlt, keift und kreischt in schneller Folge, der Mann hat den Gesang wirklich drauf und könnte Werbung für Reizhustenmedikation machen. Und der Verzicht auf Klargesang ist wirklich toll. Auf „Diabolic Slumber“ wird das nochmal verdeutlicht: Bozeman keift, kreischt und growlt, dass einem einerseits übel wird und man andererseits feiern möchte, was da veranstaltet wird, dazu gibt es einen Wechsel von ganz ruhigem Getrommel hin zu Blastbeatgebratze, unterbrochen von Gegröhle, und das alles in virtuoser Könnerschaft dargeboten, wahrhaft vortrefflich.

Auf „A Visceral Retch“ treibt Bozeman dann sich selbst quasi vor sich her: In einer Zeile screamt er, dann growlt er wieder, und das alles immer im Wechsel – großartig!

Auf „Ex infernis“ (was auch immer das bedeuten mag) gibt es dann eine kleine instrumentale Ruhepause, bevor Bozeman auf „Hate Cult Ritual“ dann wieder deutlich machen kann, welches Instrument bei Whitechapel die erste Geige spielt – es ist der Gesang. Dieser Typ ist wirklich unglaublich, und dass er heuer auf den Klargesang verzichtet, ist wahrhaft ein Geschenk.

„The Abysmal Gospel“ beginnt dann wahrhaft hymnisch, düster, sägend (The saw is the law?), bis Bozeman mal wieder klarstellt, wer hier das Sagen (Sägen?) hat: Er. Der Gospel im Titel beschränkt sich darauf, dass der Ich-Erzähler auf den Schädeln gefallener Götter und abgeschlachteter Propheten steht, das Buch des Heiligen Vaters aus Lügen, Lügen, Lügen und Lügen besteht, am Ende ist er das Alpha, während das Omega von seinem Kopf (hier wird nicht wirklich deutlich, von wessen Kopf) gerissen wurde. Das ist mal ne Aussage.

Auf „Bedlam“ wird es nicht besser – Zähne mahlen auf irgendwelchen Knochen, am Ende ist wer auch immer da besungen wird tot und wird niemals wiedergeboren.

Den nächsten Text („Mammoth God“) sollten sich die Zuhörenden mal selber durchlesen, er passt vom Gewaltpotenzial prima zum allen bisher Gehörten – „Suffer, suffer, suffer, suffer and die“. Musik wie immer klasse, Gesang vom Allerfeinsten.

Das Album wird beschlossen vom längsten Song – „Nothing Is Coming For Any Of Us“ – und auch hier ist der Name wieder mal Programm. Bozeman spuckt eine Wagenladung an Hass und Abscheu in das Mikrofon, das Schlagzeug ballert Blastbeats und die Gitarren machen einen wirklich guten Job, sogar recht melodisch. Bei ca. Minute 3 gibt es ein ruhiges Zwischenspiel, das von Bozemans Gesang und dem Schlagzeuggeballer geradezu zerschmettert wird, anschließend spielt Ben Savage ein schönes und sehr langes Solo, dann fadet der Song mit repetitiven Wiederholungsmustern aus und ein einziges Mal gönnen Whitechapel den Hörenden so etwas wie Ruhe.

Diese Band braucht wahrlich keinen Klargesang, um ihre Position im Deathcore zu untermauern, Whitechapel aus Knoxville, Tennessee (Schauplatz der Weltausstellung 1982, Heimat der Sunsphere und Ankunftsort des Last Train to Knoxville – ups, sorry, das war Clarksville, nicht Knoxville, Schauplatz der Weltausstellung 1982 und Heimat der Sunsphere, in Clarksville gibt es nichts dergleichen) sind eine der großartigsten Bands im zeitgenössischen Metal, Death Metal, Progressive Deathmetal, zeitgenössischen Progressive Deathcore und der Popmusik überhaupt, und Dissonanzen klingen nirgendwo so hymnisch wie bei Whitechapel. Die Säge ist und bleibt das Gesetz bei Whitechapel.