Von Matthias Bosenick (06.03.2025)
Mit vier Liedern mehr und auf einem Label bringt das Pariser Duo CandyCash sein drittes Album „L’ombre des Fauves“, im Jahr 2023 zuerst und nach über zehn Jahren Pause veröffentlicht, nochmal so richtig mit Nachdruck unter die Leute. Electrofrickler James Saucerfull generiert IDM-nahe, chillige und fantasievolle Grundlagen für den jazzig-soulig-chansonesken Gesang von Pandra Vox. Klingt alles viel skandinavischer, als es ist, und setzt gottlob eher fort, was es bereits gibt, als es zu kopieren. Das Schräge in der minimalistischen Musik tut dem Gesamtbild ausnehmend gut, das Album sprengt die Grenzen des Pop und eignet sich eher zum Zuhören, vielleicht in einem sehr aufgeschlossenen Straßencafé, als zum Tanzen, aber wenn doch, dann verträumt.
Es knarzt, glitcht, frickelt, blubbert, was Saucerfull da seinem Fuhrpark entreißt, während er eigentlich melodiöse Strukturen für die Songs liefert, dargeboten mit minimalem Besteck, also nicht opulent, aber dennoch effektiv, eher brüchig und reduziert, dennoch atmosphärisch, eher kühl, aber durchgehend reizvoll, insbesondere in der Mixtur aus Experiment und Zweck. Die Experimente à la Autechre, Mouse On Mars oder so bestimmen ja auch nicht jeden Song; „Contre-ordres, corps à corps“ etwa hat etwas von Vaudeville, von synthetischem Cabaret, „Là d’où je viens, les hommes dorment“ klingt nach Bambus-Marimba plus Trompete, „Délivrez-nous du vide“ versetzt mit Harfe und klassischen Blasinstrumenten in einen Fantasy-Film, bevor das Stück zu einer fröhlichen Mississippi-Beerdigung wird. „La lune à bout portant“ hat in den Strophen etwas Dunkel-Clubbiges, dazu an anderer Stelle Military-Drums. Akustikgitarre, synthetische Singende Säge und Spieluhr vermeint man in „Passeuse d’âmes“ zu hören, ein deformiertes Piano kommt in „Drama Queen“ kurzzeitig zum Einsatz.
Ist die Musik auch bewusst artifiziell, steht der Gesang dazu wie ein organischer Kontrapunkt. Vox, Schwester im Geiste von Herrn Bono?, singt in mittleren Lagen, ist zum Dunkel-Tiefen ebenso bereit wie zum ausdrucksstarken Anheben ihrer Stimme, singt ganz leicht rauh, stets freundlich, sympathisch, einnehmend. Ihr Gesang gibt den Tracks eine zusätzliche Struktur, auch wenn und gerade weil diese nicht vordergründig den klassischen Strophe-Refrain-Schemata zu folgen scheinen. Und weil die Stimme so gut passt, verwendet das Duo sie bisweilen auch gesampelt und verfremdet als zusätzlichen Soundeffekt. Referenzen schwingen mit: Gry Bagøien, Björk, No Hay Banda und Alison Moyet kommen beim Hören in den Sinn, also tatsächlich vornehmlich skandinavische Künstlerinnen.
Die ursprünglichen neun Song von „L’ombre des Fauves“ sind auf Französisch gesungen, die zusätzlichen vier dieser „Deluxe Edition“ kurioserweise auf Englisch. Noch kurioser ist, dass das Duo verlauten lässt, es handele sich um ein Konzeptalbum; das scheint dann im November 2023 bei der Erstveröffentlichung noch nicht ganz ausgereift gewesen zu sein. Thema ist Realität und was es darunter noch so alles gibt, das hört man durchaus heraus; eine Ahnung von „Alice im Wunderland“ erhält man durchaus zwischendurch.
Noch noch kurioser ist, dass sich das Duo mehr als zehn Jahre Zeit ließ, um sein drittes Album zu veröffentlichen. Startschuss war 2009 „Anticraft“, wahlweise auch „CandyCash“ getauft, gefolgt 2012 von „MindJam“. Dann war Pause. Vox veröffentlichte zwischendurch diverse Solo-EPs und –Alben, zuletzt 2021 „Aux invisibles l’essentiel“, und war Gast bei anderen Projekten, etwa 2020 bei der EBM-Band M.O.K.O. auf deren EP „Force“. Auch Saucerfull betätigte sich solo, von ihm gab es 2016 das Album „Obédience“. Jetzt also fanden sie wieder zusammen, und „L’ombre des Fauves“ ist der Beleg dafür, dass dies eine gute Entscheidung war.