Von Matthias Bosenick (24.02.2025)
Man muss bis zum letzten Song warten, um auf „Stellar Season“ tatsächlich etwas zu bekommen, das dem Etikett Prog Rock einigermaßen nahe kommt – der Rest dieses Debüts des aus zwei Männern aus Brighton bestehenden Duos Fifth Daughter verliert sich angenehm eskapistisch zwischen Folklore, Ambient, Yacht Rock, Psychedelic und entrücktem Hippietum. Nicholas Whittaker und James Howarth fanden während der Corona-Lockdowns zusammen, um in der Isolation Isolationsmusik zu generieren, mit exotischen Instrumenten, die die übliche Rockgerätschaft vertiefen.
Mit allerlei Holzblasinstrumenten startet das Duo seine Reise durch die Jahreszeiten; ja, hinter „Stellar Season“ steckt eine Art Konzept. Es flötet und trötet dazu ätherisch, dazu fallen Howarth und Whitaker in einen entrückten Duettgesang, man mag Simon & Garfunkel als Referenz herbeizitieren, aber nicht so hektisch, bitte. „The Eternal Dance“ ist ein transparent-transzendentaler neunminütiger Auftakt, in dem erst nach sieben Minuten überhaupt eine Art Schlagzeug zum Einsatz kommt. Nein, von Rockmusik ist hier nicht wirklich zu sprechen. Noch nicht: Die Intensität steigert sich noch, bleibt aber watteweich; wenn schon Rock, dann so etwas wie MOR, AOR oder Yacht Rock, aber Fifth Daughter haben es trotz des selbstgewählten Prog-Rock-Labels nicht wirklich auf Rock’n’Roll angelegt.
Daher generieren die beiden Musiker im zweiten Song „Become Sun“ auch vielmehr eine Art Psychedelic Folk, mit der Akustikgitarre als Zuwachs zu den omnipräsenten Blasinstrumenten. Bis zur Hälfte bleibt das Stück eher Ambient, wie eine Art Score zu einem melancholischen Film, möglicherweise einem, in dem ein Wikinger stirbt, dessen Trauer-Lure einsam über die Schären weht. Nach der Hälfte verfällt das Duo dann in das oben Genannte, was es unter Rock versteht. Erfreulicherweise liegt den Musikern überdies auch der Hang zur Kakophonie inne, das verleiht den folgenden Stücken etwas Überraschung und noch mehr Spannung, obschon sie es damit nicht übertreiben, die Watte bleibt trotzdem der verträglichste Aggregatzustand. Aber dieses leicht Pandämonische setzen Fifth Daughter immer wieder mal dezent in den Songs ein.
Nun verändern sich Jahreszeiten, und daher ergibt sich in „House Of Ra“ plötzlich ein verhältnismäßig wilder Tanz, dennoch gleichbleibend zurückhaltend, mit der Rock’n’Roll-Gerätschaft wie aus der zweiten Reihe heraus musiziert, unterhalb der dominierenden Fanfaren. Man hat in bunte Wallekleidung gewandete tanzende Hippies mit Tamburinen auf einer Wiese vor Augen. Diese Mixtur aus zurückhaltendem Rock und eskapistischer bis anästhesierender Exotik behält das Duo über die Spielzeit des Albums bei, bis zum letzten Song „Even Winter“, der, anders als es der Titel ahnen lässt, richtig wohlig warm klingt. Ein flackernder Kamin am Ende des Jahres quasi.
Die beiden Protagonisten hinter Fifth Daughter fanden sich aus anderen Bands zusammen: Whittaker spielt hauptamtlich bei der Prog-Rock-Band Diagonal, als deren Seitenarm man Fifth Daughter beinahe auffassen kann, weil der Saxophonist gleich mal einige seiner Bandkumpane als Unterstützung für „Stellar Season“ mitbrachte, nämlich Gitarrist David Wileman und Schlagzeuger Luke Foster. Whittakers Ambient-Kollege Will Howes guckte ebenfalls im Studio vorbei. Das zweite Haupt-Standbein Howarth war Bassist bei der Britpop-Band Running Dogs, die es 2013 auf eine von Killing-Joke-Bassist Martin Glover aka Youth produzierte EP brachte. Die Info erzählt außerdem, dass Howarth im Kontext von KLF in Erscheinung trat; darauf muss man sich dann wohl verlassen, dass das zutrifft.
Zu haben ist das Album als Stream und auf Vinyl. Beides ist bei Fruits de Mer nicht immer gegeben, vieles aus dem Katalog ist ausschließlich physisch über das Label erhältlich. Etwa die Best-Of-plus-Raritäten-Doppel-CDs der Reihe „An Introduction“, jüngstens etwa zu den Düsseldorfern Vibravoid oder zu den US-Psychedelikern Sidewalk Society, jeweils gekrönt mit haufenweise obskuren Coverversionen, sowie zu Schizo Fun Addict, ohne die es das Label in dieser Ausprägung offenbar nie gegeben hätte. Gibt’s alles nicht digital, da muss man Kontakt nach England aufnehmen.