Horsegirl – Phonetics On And On – Matador 2025

Von Guido Dörheide (21.02.2025)

Horsegirl aus Chicago, IL, haben 2022 mit „Versions Of Modern Performance“ ein großartiges Debüt hingelegt und, um die Spannung gleich im Vorhinein wegzuspoilern, heuer hauen sie mit „Phonetics On And On“ ein ebenso begeisterndes Zweitlingswerk raus.

Konzeptionell gehen die drei Freundinnen Penelope Lowenstein (git, voc), Nora Cheng (git, voc) und Gigi Reece (dr) anders vor als auf „Visions Of Modern Performance“: Während sie 2022 ein Gutteil ihres Pulvers schon auf dem ersten Song „Anti-Glory“, einer Mischung aus schrammeligen und teils sägenden Indie-Gitarren und sehr schön lässig-beiläufigen Gesang, die an die poppigere Phase von Sonic Youth, die Breeders, Elastica und wen noch alles erinnert, verschossen und, weil der Rest des Albums gar nicht unbedingt schlechter war und mit „Option 8“ auch im Verlaufe noch mit einem DER Alternative-Hits des Jahres aufwartete, mit ihren Kolleginnen von der Isle of Wight, Wet Leg, in die Schlacht um das beste Indie-Debüt des Jahres 2022 eintraten, beginnen sie das neue Album mit „Where’d You Go?“ erstmal mit viieel Understatement: Guided-By-Voices-mäßige Gitarrenarbeit trifft auf mehrstimmigen Gesang, das ist toll, aber haut einen nicht um. Bis dann gegen Ende ein herrlich altmodisches Dingeldangledonglejinglejanglegitarrensolo ertönt und dann nochmal schöön mehrstimmig gesungen wird, da wird den Hörenden klar, das sie mit „Phonetics On And On“ durchaus rechnen können. „Rock City“ liefert wunderschönen hohen Gesang zu einer Gitarrenbegleitung, die sich weniger vertrackt anhört, als sie ist. Und im Refrain dann ausschließĺich mehrstimmiges „Woo-hoo, uh, woo-hoo“ und dergleichen, das muss man erstmal bringen und ehrlich: wat schöööön! Der Text handelt von einem Schäfer mit 100 Freunden zuhause, der einen Blumen-Truck fahren will, und wenn er nicht einschlafen kann, gibt er seinen Schafen die Schuld.

„In Twos“ ist wieder ein ruhiger Song, die Horsegirl-typische Gitarrenarbeit, irgendwo zwischen Folk, Indie-Folk und Indie, hat man inzwischen nicht nur sehr lieb gewonnen, sie ist wirklich großartig und harmoniert mit diesem weltentrückten, leicht geleierten und stimmlich großartigem Gesang auf das Wunderbarste. Man muss das wirklich selbst gehört haben, um es von anderen (wie in diesem Fall dem Schreiber dieser Zeilen) auch nur ansatzweise verständlich in Worte gefasst zu kriegen. Zu diesem Behufe lesen Sie bitte am Ende dieser Rezension meinen Anspieltipp (Früher konnte man, beispielsweise bei Kaufhaus Döpke in der Schallplattenabteilung im Keller oder in der „Plattenkiste“ nur wenige Häuser entfernt im Gifhorner Steinweg, sich den Tonträger in ein eigens zu diesem Zwecke bereitgestelltes Abspielgerät einlegen lassen und vor dem Kauf hineinhören. Es gab einen in den Tresen, an dem man saß, eingelassenen schwarzen Druckknopf, mit dem man Song für Song weiterskippen konnte. Ein „Anspieltipp“ verkürzte damals das Reinhören bis zur finalen Kaufentscheidung wesentlich; heute hingegen ist er zu einem schwer verständlichen Relikt aus längst vergangenen Zeiten verkommen. Exkurs Wehmütiges-Historisieren ENDE). Der Text ist ebenfalls wieder Horsegirl-typisch reduziert, besteht aus nachdenklich machenden hingeworfenen Zeilen („Every car that passes by drives to you / Every good thing that I find, I find I lose“), gefolgt von einem Refrain, der ausschließlich aus „And I try“ besteht.

Das folgende „2468“ beinhaltet außer der typischen Gitarrenarbeit auch noch tolle Synths

und wer sich angesichts des Titels an Marschmusik erinnert fühlt, die/der liegt richtig: „2, 4 ,6, 8, they walk in twos“ lautet beinahe der einzige Text und bildet somit einen Querverweis zum Song davor. Die Musik ist ein schwindlig machendes Konvolut aus Gitarrengeschrammel, erratischen Synths und hypnotischem Rhythmus. Großartig.

„Well I Know You’re Shy“ ist ein Song mit für Horsegirl-Verhältnisse richtig viel Text. Dieser ist auch irgendwie voll süß, außer „La-da-da-da-dye-dow“ enthält er tolle Zeilen wie „Well, I know you’re shy, if you listen to me, you’ll know I wanna say ‚Hi‘ in your window“.

Kommt jetzt schon der Anspieltipp? „Julie“ – da, da, da, da – ist auf jeden Fall einer meiner mehr favorisierten Favoriten auf einem an Favoriten nicht eben armen Album. Ein ruhiger Song, der der Gitarre viel Raum zum Quietschen und im positiven Sinne gemeinten Herumnerven im Hintergrund lässt.

Anschließend lassen es Horsegirl richtig rocken, also so, wie Guided By Voices es rocken lassen würden, wenn man ihnen das Verzerrungsgerät wegnähme, die Gitarre schrammelt wie gewohnt, nur schneller, der Gesang lässig wie gewohnt, ich höre inzwischen auch noch eine leichte Sleater-Kinney-Ähnlichkeit heraus, ach so ja, „Switch Over“ heißt der Song, beginnt mit ca. 20x hintereinander „Switch over (switch off)“ und dann „Ooh, say say say“, bevor auch nur ein einziges vernünftiges Wort gesungen wird. Was dann gottlob im Refrain („Da-da, da-da, da-da, da-da, da, da (La), La-da, da-da, la-da, la-da, da, da“) nachgeholt wird.

In „Information Content“ wird das eben Erlernte vertieft und perfektioniert, das Album macht einfach Laune und hört niemals damit auf. „I’ll play you out, ‚Ah-hoo, ah-hoo, ah-hoo‘. You hate the sound, ‚Ah-hoo, ah-hoo, ah-hoo‘“. Nein, natürlich nicht. Wie LIEBEN diesen Sound.

Und dann folgt – DER ANSPIELTIPP – „Frontrunner“: Die erste Strophe lautet:

„In the morning when you’re sleeping

I can’t wait and I can’t wait to compromise

And in the morning when you’re sleeping

I can’t wait and I can’t wait and I can’t wait

And I can wait for you

Duh-duh-duh-duh, duh-duh-duh, duh-dah, da-dah

Duh-duh-duh-duh, duh-duh-duh, duh-dah, da-dah“

und die Lyrics alleine vermitteln keine Vorstellung davon, wie toll das alles ist: Erst macht eine der beiden Gitarren total glaubwürdig auf Bass, während die andere im Hintergrund die Begleitakkorde schrammelt, der Gesang klingt wie ein Engel, der nach durchgezechter Nacht mit dickem Kopf, aber lieblicher Stimme in seinen ersten Pott Kaffee hineinsingt, und das zu einer Melodie, die, so simpel sie sein mag, einem niemals aus dem Kopf geht und fortan die Tage versüßt immerdar. Soo geht unspektakulär und soo geht unglaublich ohrwürmig, unkritisch und überaus liebenswert.

Anschließend könnten Penelope und Nora auch den Flyer von Bauer Ewald aus dem Münsterland vorsingen, während Gigi dazu auf das Schlagzeug haut, das Album bliebe eine meiner apseluten Kaufempfehlungen, weil es a) gut ist und man es sich b) so gut wie nicht überhören kann.

Die beiden Rausschmeißer-Songs „Sport Meets Sound“ („They go around and they say, ‚Da, da, da, da, da, da Da, da, da-da, da-da‘. And they sing, ‚Da, da, da, da, da, da da, da, da-da, da-da‘“) mit tollen Guided-By-Voices-Gitarrenharmonien und „I can’t stand to see you“ („Do you want to go home now? Da, da, da, da, da. The night’s almost through. Da, da, da, da, da. Let’s sit on the floor now. Da, da, da, da, da. And talk, me and you. Da, da, da“) legen beredtes Zeugnis davon ab.

Mit „Phonetics On And On“ beweisen Horsegirl, dass ihr tolles Debütalbum wohl nur der erste Streich war, und wer nicht bei Kaufhaus Döpke Tonträger kauft, in die er vorher reingehört hat, sondern sein Endgerät mit Playlisten füttert, dem sei „Phonetics On And On“ auf das Herzlichste zur unreingehörten Komplettindieplaylistaufnahme anempfohlen.

P.S: Odin, Lilly und Fritz, falls Ihr Krautnick lest (wovon ich selbstverständlich ausgehe): Wenn ich einen Artikel schreibe, schreibe ich einen Artikel, und wenn ich die Katzen füttere, füttere ich die Katzen. Was ich vor ca. 15 Minuten erst getan habe. Es hat also überhaupt gar keinen Sinn, jetzt fortwährend an meine Zimmertür zu hämmern. Ich liebe diese Katzen.