Von Guido Dörheide (13.02.2025)
Grave Digger sind zurück, und mit ihrem aktuellen Album „Bone Collector“ nähern sie sich wieder mehr ihren Wurzel an, als sie das auf ihren letzten Werken taten. Nach viel schottischer Mythologie, die auf dem vorletzten Werk „Fields Of Blood“ nochmal auftauchte. Zu eigentlich großartiger Musik wurden da außerdem Dinge gesungen wie „We are Lions of the Sea, we are fighting to be free!“ Das erinnert mich an eine Folge der großartigen Serie „Futurama“, in der eine Gruppe mechanischer Seemannsfiguren „We’re whalers from the moon, we carry a harpoon“ sangen, in einem Vergnügungspark, dessen Gründer davon überzeugt war, dass es auf dem Mond Walfang gäbe, obwohl doch hinlänglich bekannt sein sollte, dass es dort keinen Walfang gibt, sondern auf seiner dunklen Seite Helium-3 hergestellt wird.
Aber so isser nu mal, unser Chris Boltendahl: Immer für ein lyrisches Kabinettsstückchen gut bzw. sich dafür nicht zu schade. Der textliche Kracher auf „Bone Collector“ ist eine Zeile aus „The Devil’s Serenade“, in der es heißt „A one way ticket from hell and back again“. Eine einfache Fahrt zur Hölle inkl. Rückfahrkarte – dass Deutsche Bahn da noch nicht drauf gekommen ist!
Nun aber genug des wohlwollenden Gelästers, denn mit „Bone Collector“ haben Grave Digger einen sehr ansprechenden Tonträger vorgelegt, wenn man einmal vom Cover absieht.
Die stilistische Rückkehr zu lange zurückliegenden Großtaten wie dem Debüt-Album „Heavy Metal Breakdown“ ist gelungen, nur dass Boltendahl heutzutage besser singt als damals. Der Sound des Albums ist roher und metallischer als alles aus den vergangenen paar Jahren, was zum einen Teil aufs Konto von Tobias Kersting, der Axel Ritt an der Gitarre 2023 abgelöst hat, geht und zum anderen Teil Boltendahls Idee zu verdanken ist, das Songwriting aus den 80ern mit dem Sound der 2020er zusammenzubringen, was wirklich gut gelungen ist.
Standen Grave Digger am Anfang ihrer Karriere immer unter anderem im Schatten von Accept, an denen im teutonischen Heavy Metal nicht nur wegen der musikalischen Virtuosität und der Präsenz Udo Dirkschneiders kein Weg vorbeiführt, nein, sie hatten auch die ikonischsten Songs, sind sie inzwischen die weniger langweilige der beiden Bands. Accept liefern seit dem Einstieg von Mark Tornillo vor knapp 16 Jahren ein wirklich gutes Album nach dem anderen ab, haben sich aber eine Erfolgsformel angeeignet, die dazu führt, dass man vorher genau weiß, was man kriegt, und hinterher genau das kriegt, was man vorher immer schon gewusst hat. Bei Grave Digger ist durchaus mehr Weiterentwicklung, bzw. Entwicklung überhaupt, drin. „Bone Collector“ ist – da muss man ja nun bei Grave Digger auch immer mit rechnen – glücklicherweise kein Konzeptalbum und macht ähnlich Laune wie alles von Motörhead seit den 90ern: Die Band rockt munter drauflos, wie gesagt ein wenig rauher als in den letzten Jahren, und Boltendahl lässt seiner aufgrund des Alters rauher und tiefer geworden Stimme freien Lauf und klingt dabei großartig.
Gleich das eröffnende Titelstück mit Stakkato-Riffs und schön schnellem Schlagzeug macht deutlich, dass hier Rock’n’Roll gespielt wird, und das folgende „The Rich, The Poor, The Dying“ setzt riffmäßig nochmal einen drauf: Sehr schön, schnell und aggressiv rattert die Gitarre, dann röhrt Boltendahl überzeugend wie nur was los und setzt ein primitives, aber eindringliches Statement gegen die Herrschaft der Gier und Korruption, wie es in ähnlich prägnanter Form nur Lemmy Kilmister hinbekommen hätte. Natürlich spielt Boltendahl gesanglich nicht in Lemmys Liga (die ohnehin nur von Lemmy bespielt wurde und von sonst keinem), aber das Gefühl ist annähernd dasselbe, und das ist toll, das ist großartig, und vor allem – das hält bis zum Ende des Albums an.
Bis zum Ende von „Bone Collector“ erlauben sich Grave Digger keine wirkliche Schwachstelle, das Album prügelt munter nach vorne los, Boltendahl gibt auf jedem Song alles, das Tempo ist durchweg schnell, was dem aktuellen Grave-Digger-Sound gut zu Gesicht steht und wie gesagt Laune macht. Allein der letzte Track „Whispers Of The Damned“ ist ein wenig langsamer als der Rest, und mit Formulierungen wie „The Banality of Evil“ auch teilweise arg plakativ, aber dann gibt es hier wundervolle, langsame, düstere und kreischende Gitarrensoli zu hören – alles gut bei Grave Digger. „Bone Collector“ ist eventuell nicht das Beste, was Grave Digger jemals rausgebracht haben, aber es ist verdammt nah dran und hört sich einfach großartig an.