Guided By Voices – Universe Room – Guided By Voices Inc. 2025

Von Guido Dörheide (12.02.2025)

Manche Musikgruppen sind wie nach Hause kommen, und das oft schon seit 1.000 Jahren. OK, im Fall von Guided By Voices gilt das bei mir erst seit 29 Jahren, nämlich seit „Under The Bushes Under The Stars“ (1996) mit dem für Guided-By-Voices-Verhältnisse Überhit „Bicycle Repair Man“. Nein, so hieß er nicht. Mal überlegen, „Under Assistant West Coast Promotion Man“? Auch nicht. Scheiße.

Ich habe auf der Albumcoverrückseite nachgesehen: Es war „The Official Ironmen Rally Song“. Der Titel enthält also nichtmal „Man“. Sowas kann man sich auch nicht merken. Müsste man aber, weil der besagte Song so ziemlich eine gesamte „Sgt. Pepper’s Dark Side Of The Queen Is Dead“ in nur einem Song abbildet, und das in Lo-Fi und nur echt aus Dayton, Ohio.

Verdammt, über GbV habe ich hier schon dreimal geschrieben (2023, die Kurz-Rezi zum 2024er Album „Strut Of Kings“ – wieso eigentlich nur ein einziges GbV-Album 2024??? – gibt es dann in der demnächst erscheinenden Rubrik „Guido Dörheides Rest von 2024 oder ‚Alben, über die ich nicht geschrieben habe, aber gerne hätte‘“), ich hoffe deshalb, ich wiederhole mich nicht. Da ich meine eigenen Artikel nicht lese, weiß ich nicht, was ich seinerzeit über die letzten Alben dieser großartigen Band aus Dayton, Ohio, schrieb. Robert Pollard heißt der Spaßvogel, der dem ganzen Unternehmen vorsteht, und soweit ich weiß, ist er auch mittlerweile der einzige, der es die ganze Zeit in der Band durchgehalten hat. GbV machen seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Lo-Fi (jahaa, immernoch Lo-Fi, obwohl sie einmal, nämlich auf dem 1999er Album „Do The Collapse“, schon vom großen Ric Ocasek produziert wurden) Indie Rock, und das auf eine ganz eigene, sehr charmante Art und Weise. Die Stimme und der Gesang des gebürtigen Berufsschullehrers Pollard sind derart einzigartig und wiedererkennbar, dass man sie überall heraushört. Leicht rauh, lässig, dabei warm und willkommenheißend wie „Gut & Günstig Erdnuss Asia Style mit Wasabi gewürzt“. Manchmal ereilen einen in der eigenen Küche die besten Vergleiche. Robert Pollard hat sich schon so angehört wie der wohlwollende Onkel von Michel Stipe, als er noch jünger war als Michael Stipe zu Zeiten von „Losing My Religion“ (was kaum Sinn macht, da Pollard nur ca. zwei Jahre älter ist als Stipe, aber immer noch mehr Haare hat, und den R.E.M.-Vergleich wollte ich unbedingt nochmal anbringen).

Nun gehen wir aber endlich in medias r.e.m., also res meine ich, und wenden uns vom allgemeinen einleitenden Rumgewitzel ab und dem neuen Album zu:

Von den beiden Vorgängern aus dem Jahr 2023, „Nowhere To Go But Up“ und „Welshpool Frillies“ sowie vom einzigen in 2024 veröffentlichten und vom Autor dieser Rezension noch zu besprechenden Album „Strut Of Kings“ unterscheidet sich „Universe Room“ schon einmal dadurch, dass es nicht nur bloß 11, sondern satte 17 Stücke enthält, und das bei annähernd gleicher Länge. Wobei „Welshpool Thrillies“ gar nicht nur 11, sondern 15 Stücke enthielt, das mit den ebenfalls nur 11 war „La La Land“, ebenfalls aus dem Jahr 2023. Da soll einer nur mal durchblicken.

17 Stücke also in 39:29 Minuten. Das ist GbV-typisch und das verspricht, dass es ob der Kürze der Stücke nicht langweilig wird.

Und das tut es auch nicht: Mit „Driving Time“ steigt Pollard sehr schön typisch ein, mit schrammeliger Akustikgitarre und einem Gesang, der sich anhört, als sei sich der Vortragende nicht sicher, dass sein Mikro eingestöpselt ist und daher befürchtet, dass ihm noch niemand zuhört. Dabei lohnt sich genau das: Das Lied wird lauter und lauter, hinter der Gitarre, dem Bass und dem Schlagzeug beginnt es, elektronisch zu pfeifen, und gerade, bevor man denkt, nun ginge es endlich richtig los, ist der Song zu Ende. Textlich befasst sich Pollard – so wie ich es verstehe – mit Pferderennen, einer „Hairspray Party“ im „Universe Room“ und irgendwie Stress zwischen wer weiß wie vielen Leuten – ich kann es anhand dessen, was er singt, nicht ausmachen.

„I Couldn’t See The Light“ klingt bereits zu Anfang voller und satter als der Opener, zumindest, bis Pollard mit ungewohnt dünner Stimme lossingt – was sich aber auch im Laufe des Songs wieder gibt, irgendwann klingt er wie immer. Der Song ist ein schönes Geschrammel mit R.E.M.-verdächtigen Gesangsmelodien (also ich meine die frühen R.E.M. von vor „No. 5 – Document“) und toller Gitarre. Soli in Lo-Fi-Songs sind ja immer besonders, und da macht Pollard hier keine Ausnahme.

Auf „I Will Be A Monk“ zeigen GbV, wie man in nur anderthalb Minuten einen Song sich gitarretechnisch entwickeln lassen kann, dabei noch mehr als nur ein Stooges-mäßiges Solo einzubauen weiß und das im GbV-Signature-Sound, Hammer!

Der nächste Song nimmt mich musikalisch sehr gefangen: Anstatt der typischen Schrammelgitarre, die aber (keine Sorge, das ist GbV hier) dennoch am Rande auftaucht, bestimmen sägende Keyboards die Szenerie und Robert Pollard singt von einem großartigen Mann: „Er verteidigt seine Rechte. Er betrachtet jede Seite. Und er ist überzeugend (überredend???). Wie ein großartiger Mann. Er ist sehr aktiv und berufen. Und er lügt. Dann schaut er hart und steht seinen Mann und gibt nicht klein bei. Rede und gib nicht klein bei, dann kannst Du auch ein großartiger Mann sein.“ Das klingt nach Donald T., dem großartigsten Mann im Raum. In JEDEM Raum. Der vollständige Songtext klingt so, als wäre es keine gute Idee, diesem großartigen Mann zu folgen.

Bei allen GbV-Songs lohnt es sich, auf die Texte zu achten, Pollard sagt nie einfach so etwas daher und textet mit viel Witz und Hintergründigkeit. Auch musikalisch machen Guided By Voices nie etwas einfach so, vieles klingt beim ersten Hören hingeklimpert und dann stellt man fest, gerade beinahe einen einzigartigen Moment auf einem tollen Album verpasst zu haben. Hören Sie also gerne mal aufmerksam in den „Universe Room“ hinein. Meine persönlichen Highlights sind das nur knapp über eine Minute lange „Hers Purple“, das mit der ihm zugrundeliegenden Klavier-Gitarre-Kombination sehr nach den Beatles klingt, „Independent Animal“ mit seiner Ohrwurmmelodie und dem schönen Indierocksound der 90er Jahre mit einem kryptischen Text, der in 6 Zeilen Platz findet, und natürlich „19th Man To Fly An Airplane“, das sich langsam aufbaut, dann der Beat-Musik des Englands der 60er Jahre huldigt und ab knapp über der Hälfte so richtig schön schrammelig wird und dabei gefühlt alle 20 Sekunden den Stil wechselt. Mit 3:44 Minuten ist es auch das längste Stück auf dem Album. Alles, was dann noch kommt, ist 100 % Guided By Voices, dennoch von Song zu Song anders und ebenso unverwechsel- wie wiedererkennbar, also quasi wie es nur eine Band hinbekommt, die einem trotz über 40 veröffentlichen Studio-Tonträgern alles andere als zu den Ohren herauskommt.

Am Ende noch einen ganz großen Châpeau an den mittlerweile 67 Jahre alten Robert Pollard, dass er es jedes Jahr (und in guten Jahren sogar mehrere Male) schafft, die Hörenden mit dem ehrlich empfundenen Gefühl zurückzulassen, soeben das beste GbV-Album aller Zeiten gehört zu haben.