Von Guido Dörheide (09.02.2025)
Sharon van Etten & The Attachment Theory sind SvE (voc, g), Jorge Balbi (dr und andere technische Maschinen), Devra Hoff (b, voc) und Teeny Lieberson (synth, piano, g, voc), und anders als bei den bisherigen SvE-Veröffentlichungen ist hier erstmalig eine richtige Band am Songwriting beteiligt, was bisweilen in richtig schönes gemeinsames Herumgejamme ausartet. Sharon van Ettens ohnehin schon tolle Stimme wird an vielen Stellen von Devra Hoff und Teeny Lieberson unterstützt, und dazu gibt es hauptsächlich Folk und manchmal Indie-Rock mit bisweilen elektronischen Beats und haufenweise großartigen Synths – etwas, dass Sharon van Etten auf ihrem 2019er Album „Remind Me Tomorrow“ schon gemacht hat (das mit dem wunderbar chaotischen Kinderzimmer auf dem Cover) und jetzt hier mit Band perfektioniert.
Folk und Elektronik ist ohnehin etwas, dass eigentlich gut zusammengeht und sich auf Tonträger oft besser anhört als in der Theorie, und so ist es auch hier. Das erste Stück, „Live Forever“, wird von van Ettens Gesang und 80er-Jahre-Synths sowie einem elektronischen Schlagzeug, ebenfalls 80er Jahre, getragen, hat eine tolle Melodie, die Stimme ist richtig toll, mal eher gelangweilt und dann wieder voller Elan, Pathos und Energie, und allein schon die Textzeile „Who wants to live forever? It doesn’t matter“, immer wieder wiederholt, derweil die Synths an zu jaulen fangen, ist Weltklasse. Am Ende des Songs driftet van Ettens Gesang dann irgendwo ins Nicht-mehr-von-dieser-Welt-Kate-Bush-mäßige ab und ich frage mich, wie die Attachment Theory dieses Niveau halten will.
Scheißen egal (wie meine Mudda sagen würde, wenngleich auch auf plattdütsch „schieten egol“) wie – sie schaffen es: „Afterlife“ beginnt mit wunderschön dudeligen Synths und Elektroschlagzeug, der hohe Gesang lullt die Hörenden zuerst ein und schubst sie dann in einen richtig schön indiefolkrockig gesungenen Refrain hinein.
Und so starten wir gespannt in den dritten Song, „Idiot Box“. Und dieser beginnt mit treibendem Schlagzeug und dezent schrengelnder Gitarre, etwas Synth im Hintergrund – wenn nicht unverkennbar SvE singen würde, dächte ich, hier seien The War On Drugs am Werk. Großartig, das!
Das folgende „Trouble“ beginnt ruhig mit dunkler Gitarre, hallendem Schlagzeug und wieder mal sehr schönen Keyboardsounds. SvE erzählt den Zuhörenden von „All the trouble I’ll get you in, uh huh“ und sagt im Refrain „I don’t want to lose your love against your will, blow you kisses and takе a pill to kill“. Das alles klingt weniger verzweifelt als viel mehr resigniert, gibt zu denken und zu rätseln, klingt aber wunderschön.
Umso überraschender wird dann auf „Indio“ richtig losgerockt. Treibendes Schlagzeug, melodische und schrammelnde Gitarre, sehr hoher Gesang, in den man sich sehr verlieben kann, und ein kryptischer Text – yess, soo muss Indie-Rock. Die Überraschungsschraube wird auf „I Can’t Imagine (Why You Feel This Way)“ nochmal um ein paar weitere Umdrehungen angezogen: Disco! Basslastige Synthesizer, ein Beat, dem man sich nicht entziehen kann, und gniedelige Soli von allerley Instrumentarium (Keyboards, Gitarre, Bass, um nur einige zu nennen) laden zum Verweilen und sich erstaunt an die Stirn Fassen ein.
Derart eingestimmt, können wir uns nun dem ersten richtigen Oberhammer des Albums zuwenden: „Somethin’ Ain’t Right“, ein Song, auf dem wirklich alles, aber auch alles, passt. Ein Synthesizer fängt mit einer sich immer wiederholenden und dabei scheinbar weiterspinnenden Tonfolge an, dann setzt das elektronisch klingende Schlagzeug ein, SvE stellt fest „somethin’ ain’t right“ und fragt sich und die Hörenden dann „What you want for your friends, what you want for your family, what you want for your loved ones to make the amends?“, wobei die Stimme beinahe schon in den Ohren der Hörenden klirrt. In der Zwischenzeit hat sich ein Bass zu den übrigen Instrumenten hinzugesellt, der irgendwo zwischen 70er-Jahre-Disco und Frühe-80er-Indie munter vor sich in blubbert, irgendwann kommt dann noch ein Tom-Verlaine-verdächtiges Gitarrensolo – unglaublich, was SvE und ihre Band hier in nur viereinhalb Minuten alles abziehen.
„Southern Life (What It Must Be Like)“ entführt uns dann wieder in die farbenfrohe Indie-Welt der 80er Jahre, SvE lässt ihrer Stimme freien Lauf, als gelte es, in einem Stadion von der Bühne zu gröhlen. Dazu passt der Refrain „Why can’t you see it from the other side? We must imagine what it must be like – The southern life. It’s such a fucking lie.“
In den auf diese knackige Aussage folgenden dreizehn Minuten leisten sich SvE & The Attachment Theory den Luxus, zwei lange, ruhige Stücke in Folge zu präsentieren, die allerdings nicht für Langeweile sorgen, sondern das Album wirklich stimmungsvoll ausklingen lassen. „Fading Beauty“ enthält eine der es-einem-kalt-am-Rücken-hinunterlaufen-lassenden Gesangsperformances des gesamten Albums – die Musik pluckert und klagt schlagzeuglos im Hintergund laut herum, derweil der Gesang das Stück trägt und in einer der wunderbaren Lana del Rey alle Ehre machenden Art und Weise die dem Licht innewohnende Schönheit sowie die verblassende Schönheit des Lebens beweint.
Noch ruhiger wird es auf „I Want You Here“, einem sehr düsteren Song, in dem sich die Erzählerin wünscht, dass die/der Besungene hier wäre, am Rande des Ozeans, auch wenn es wehtut, auch wenn es schlimmer wird, auch wenn es sich wie ein Fluch anfühlt – inzwischen schreit sie und fragt sich, was auch immer es wert sei, dazu wummert ein dumpfes Schlagzeug und gegen Ende des Songs überlagert eine klirrende Gitarre den zuvor vorherrschenden Synthesizer und mit zurückgenommenem, an U2s unvergessliches Feuer gemahnendem Kreischen klingt das Album dann tatsächlich aus. Bislang die schönste Musik, die ich in diesem Jahr gehört habe.