Von Matthias Bosenick (18.01.2025)
Nerdwissen, könnte man auch sagen, sammelt Karsten Weyershausen in seinem neuen Kompendium „FHELERKULTUЯ“. Doch es ist ein Nerdwissen, das uns trotz seiner vermeintlich nerdigen Tiefe alle angeht, weil es Themen unseres Alltags nicht nur tangiert, sondern häufig auch erklärt. In seinem zweiten Buch der Edition Wortmax bündelt der Braunschweiger Zeichner und Autor Aha-Momente en gros und blickt mit warmherziger Ironie hinter die Kulissen. Man lernt so viel bei der Lektüre, über Comics, Filme, Bücher und allerlei weitere Themenfelder, und selbst der nostalgische Blick in die (eigene) Vergangenheit hat nicht durchgehend etwas Verklärendes, sondern nicht selten etwas Erklärendes. Zu dem man bei der Lektüre oft sehr laut herauslacht. Und mit dem Schreiber über seine Themen weiterdiskutieren möchte.
Es mag wie ein fremder Planet wirken, wenn man oberflächlich wahrnimmt, dass hier der Allgemeinheit unbekannte Filme, Comics und Fernsehsendungen wesentliche Themenschwerpunkte einnehmen, aber sobald man nur wenige Zeilen gelesen hat, stellt man gefesselt fest, wie sehr es den eigenen Betrachtungshorizonzt berührt, was Weyershausen hier an Informationen zusammenträgt. Wie war das mit den ersten eigens fürs Fernsehen produzierten Sendungen, wer kennt sich damit aus? Jeder guckt in die Röhre, als wäre sie schon ewig da, aber was Weyershausen, dem ein knappes Pseudonym – ein weiteres Thema, nebenbei – noch fehlt (wie wäre es mit Kar Wey?), hier für uns herausfindet, lässt staunen. Das trifft auf sehr viele Themen in diesem Buch zu. Wie ging das los mit der Synchronisation damals bei der Erfindung des Tonfilms? Höchst aufschlussreich, was der Autor da weiß!
Und der Mann weiß! Man könnte annehmen, dass Weyershausen hier enorme Recherchen anstrengt, um die Texte mit Inhalt zu füllen, aber wenn man mal mit ihm Zeit verbringt und, noch besser, ihm und einem weiteren Menschen mit dieser Nerdtiefe beim Diskutieren zuhört, stellt man fest, dass er all diese Infos, Namen, Titel und Begebenheiten jederzeit abrufbar parat hat. Er musste sie bestimmt einfach nur sortieren und aufschreiben. Und das vollbrachte er mit Liebe, bei aller Ironie.
Denn dass ist ein weiterer wesentlicher positiver Aspekt an der „FHELERKULTUЯ“: Auch wenn es um Weyershausens unendlich geliebte Steckenpferde geht, macht er doch keinen Halt davor, sie nötigenfalls zu demaskieren, ohne sie dem Spott auszusetzen und ohne seine Leidenschaft abzukühlen. Dabei geht er nicht wie ein handelsüblicher Comedian vor, der einfach nur das abbildet, was sowieso jeder sieht, sondern er geht mit analytischen Werkzeugen um die Sujets herum und präsentiert entlarvende Blicke hinter die Kulissen. Er legt die Mechanismen offen, mit denen vielerlei Kulturgut seine Anhängerschaft zu blenden versucht, auch ihn selbst.
Dabei empfiehlt sich Weyershausen außerdem als Wortspielmeister, der die Sprache, mit der er arbeitet, als Vehikel für rhetorische Jonglage einsetzt. Ein Lokaljournalist, so hatte er als desillusionierter Heranwachsender festzustellen, berichtet nicht aus Kneipen, und so handeln Lokalkrimis ebenso wenig von Mordfällen aus der Gastronomie. Wie er nach dieser Einleitung dann aber die Elemente eines typischen Lokalkrimis zerlegt, bringt auch den Fan solcher Genre-Lektüre zum Lachen, denn man merkt, dass Weyershausen zwar schonungslos vorgeht, aber doch behutsam und mit Zuneigung.
Das betrifft auch seine eigene Vergangenheit, zumindest die des Ich-Erzählers, da seien Autor und Erzähler vorsichtshalber separiert: Auch als später Geborener teilt man mit ihm bestimmte Erinnerungen, an Werbefiguren, Fernsehgrößen, Filmtitel, Carl-Barks-Comics und dergleichen mehr. Hier geht Weyershausen bei aller Schwärmerei ebenfalls ehrlich vor und deutet, wenn es sein muss, auf Misstöne. Und er blickt ebenso schonungslos auf sich selbst, auf seine eigene Biografie, auf Irrwege – und auf das Positive, das ihm wiederfuhr und für das er explizit Dank ausdrückt. Dieses Warmherzige zieht sich durch das gesamte Buch, mal mehr, mal weniger deutlich, und wärmt die Seele beim Lesen.
Die Texte für „FHELERKULTUЯ“ sind teilweise recyclet aus längst gelöschten Beiträgen für seinen eigenen Blog und für Wortmax und teilweise aus der Schublade gezogen. Alle Geschichten erfuhren eine akribische Generalüberholung, so dass man es hier durchgehend mit exklusiven Arbeiten zu tun bekommt. Praktisch ist dies die Fortsetzung des Bandes „Ist Götterspeise Blasphemie?“, dem 2019 erschienenen ersten Buch der Edition Wortmax.
Ach ja, die „Fehlerkultur“ ist der Titel eines der Texte hier, in dem Weyershausen die Nachteile des Erfolgs und die möglichen positiven Wendungen des Scheiterns anhand prominenter Beispiele gegeneinanderhält. Wie hier möchte man dem Autoren das gesamte Buch über weitere Beispiele zurufen, etwa, wenn es um Filmtitel aus den Büros deutscher Verleihe geht, da fehlen die ganzen „Hilfe“-, „Stop“- und „Liebling“-Verwurstungen, oder Filmexperimente, die zwar technisch spannend sind, aber bald aus dem allgemeinen Gedächtnis verschwinden, da gibt’s als One-Shot noch „Victoria“, und … Ach ja, und man möchte außerdem einige der Themen googeln, wie die nackten Brüste in „Bernhard & Bianca“, und dann möchte man gleich noch das letzte aufgenommene Mixtape nochmal durchhören, und und und…