The Cure – Songs Of A Live World: Troxy London MMXXIV – Polydor/Fiction Records 2024

Von Matthias Bosenick (16.01.2025)

Seit 2008 wartet die Gemeinde auf das nächste Testament nach „4:13 Dream“, auch der Tatsache ungeachtet, dass jenes bis dato letzte Studioalbum auch bei den Fans von The Cure nur wenig bleibenden Eindruck hinterließ. Aber hey, neue Mucke von The Cure! Wir nehmen ja alles, auch die „Songs Of A Lost World“, die Gothrockprediger Robert Smith und seine Kardinäle 16 Jahre später unter die Leute bringen. Und nicht etwa das damals angekündigte „4:14 Scream“. Aber wie damals ist auch jetzt wieder die Rede von Liegengebliebenem, das in Kürze das Licht der Welt erblicken soll. Also rund 2040. Diese neuen „Songs“ nun erwecken in der Studioversion sehr den Eindruck von Auftragserfüllung, weniger von brennender Inspiration. Wie das Album wohl vor Publikum klingen mag? Das verrät „Songs Of A Live World“, aufgenommen am 1. November 2024 im Londoner Troxy.

Der Eindruck indes bleibt weitgehend erhalten: Mehr Pflicht als Kür, ein Album wie Malen nach Zahlen, ein verträglich zusammengesetzter The-Cure-Bausatz. So richtig hängen bleibt kaum einer der acht neuen Songs, halt: Richtig neu sind nicht alle, einen Teil testeten The Cure bereits lang vorab live an. Die Schwermut, die man der Musik von The Cure größtenteils berechtigt nachsagt, haftet den meisten Stücken hier auf eine Weise an, die den Gedanken nahelegt, der Komponist selbst sei beim Erstellen vor lauter Kraftanstrengung schwermütig geworden. Neue Mucke muss ja sein, na guckemal, da liegen noch einige Elemente herum, die können wir doch neu verknüpfen, passt schon.

So tragen viele Stücke den Anschein von Musik um ihrer selbst willen, um eine Band, die einfach mal das spielt, was man von ihr erwartet, und sich so langstreckig eine für The Cure angemessen typische Musik aus den Rippen leiert. Am schlimmsten an „Songs Of A Lost World“ ist das Keyboard, das einerseits kitschig kleistert und andererseits, schlimmer noch, so gespielt ist, als beherrsche der Musiker sein Handwerk nicht, weil er zwischen den flächigen Tönen immer ruckartig absetzen muss. Dominant und amateurhaft, keine schöne Mischung. So startet auch das Live-Album mit „Alone“ und man knirscht mit den Zähnen.

Anstatt neue Signatursongs zu erstellen, bedienen sich The Cure bei vertrauten Bestandteilen. „And Nothing Is Forever“ beginnt mit den Klimper-Percussions, die man vom vorletzten Hitalbum „Disintegration“ bereits kennt. Naja, ist ja nicht alles schlecht hier, The-Cure-Musik an sich ist ja immer etwas Gutes, nech, so hat der Bass eine Durchschlagskraft, vor der man bereitwillig niederkniet, und auch das nicht die Synthieflächen generierende Piano kommt ganz nett rüber. „A Fragile Thing“ ist rhythmisch interessant, mit seinem Shaker erweckt er einen entschleunigten Madchester-Moment. Ein erster Lichtblick in diesem Fluss der Musik, die etwas uncatchy ist und der es an Charakter fehlt.

Mit der noisy Gniedelgitarre hebt sich der „Warsong“ danach etwas heraus, noch intensiver gerät „Drone: Nodrone“, in dem deutlich mehr Leben steckt, indem er ebenfalls shaky einen Synthie-Piano-Waverock-Mix mit Sonar-Ton und Gitarrensolo bietet. Schick! Dann kommt „I Can Never Say Goodbye“, und das wirkt wie eine Pianoballade für Anfänger, dem Kitsch nahe und immerhin im Mittelteil mit einer etwas psychedelischeren Passage. Hier behandelt Roberth Smith den Tod seines Bruders und singt: „Something wicked this way comes / To steal away my brother’s life“. Da gebärdet man sich 45 Jahre lang gruftmusikalisch dem Tode nahe, aber wenn er dann da ist, ist es auch wieder Scheiße. Im Grunde feiert Smith hier den Wert des Lebens, und das ist in Gruftikreisen ja schon fast rebellisch.

„All I Ever Am“ ist wieder etwas flotter mit seiner fuzzy Gitarre und dem Boogie-Piano, macht Laune. Der programmatisch betitelte finale „Endsong“ am Schluss des Albums häuft nun alles an, was zuvor zu hören war, langsam, warm, mit fuzzy Bass und einer melodiösen Gitarre, die eine minimalistische Melodie wiederholt. Selbst das Kleister-Keyboard scheint hier sinnig zu passen, vielleicht hat man sich auch nur einfach daran gewöhnt. Erst weit nach der Hälfte der elf Minuten setzt überhaupt Gesang ein, auch das ein bei The Cure nicht seltener Move. Insgesamt hat man hier endlich den Eindruck, das Rezept ginge auf, mit himmelsstürmender Opulenz und großen Gefühlen.

In dieser Live-Variante, deren Erlös übrigens an die Einrichtung War Child geht, ist der Sound nicht so vermeintlich flach, wie er häufig bei der Studioversion moniert wird. Dabei passte die Produktion zu der Musik, das war kein Widerspruch und vermutlich ohnehin Absicht. Das Personal auf der Bühne deckt sich mit dem im Studio: Neben Robert Smith an Mikro und Gitarre sind dies Bassist Simon Gallup, seit 1980 bei The Cure, Schlagzeuger Jason Cooper, auch schon seit fast 30 Jahren dabei, Ex-David-Bowie-Gitarrist Reeves Gabrels und Keyboarder Roger O’Donnell, seit 1987 immer mal wieder an Bord, sowie als Bonus-Musiker Perry Bamonte an Bass und Synthies, seinerseits seit über 30 Jahren im Boot.

Bleibt abzuwarten, ob das angekündigte Begleitalbum zu den „Songs Of A Lost World“, dessen rein instrumental gehaltene Bonus-Variante überdies ein merkwürdiger Witz ist, nun in diesem Jahr das Licht der Welt erblicken wird. Angeblich sortierte Smith die viel düstereren Songs aus dem Album aus und sah sie für das nächste Album vor, ebenso ein Stück namens „Bodiam Sky“. Damit spricht er quasi das Gleiche wie 2008, als er großmündig „4:14 Scream“ als Begleiter von „4:13 Dream“ fürs Folgejahr in Aussicht stellte und zusätzlich die Outtakes- und Remix-Compilation „4:26 Dream“. Nun, die Aussichten sind heute besser, da „4:13 Dream“ in Kritik und Verkauf wesentlich schlechter abschnitt als „Songs Of A Lost World“. Vielleicht haben die nächsten Songs of welcher world auch immer ja dann wieder etwas mehr Kontur.