Ektör – Ektöristan – Bitume Prods 2024

Von Matthias Bosenick (02.12.2024)

Die Musik auf dem Debüt „Ektöristan“ klingt ganz anders, als es der Bandname Ektör erwarten lässt: Hat sich was mit gruseligem Gruftmetal, das hier ist Avantgarde-Rockmusik, ernsthaft verspielt, mit einem Auge auf den Sound von Sleepytime Gorilla Museum oder Magma, einem weiteren in Richtung Drum And Bass, mit ganz viel Jazz, Experiment, Neoklassik und Rockmusik für Leute, denen Classic Rock deutlich zu unterkomplex ist. Dem Genuss dieses Albums zugute kommt, dass die Band aus Bordeaux bei allem Spaß am Anderssein die Zugänglichkeit nicht außer Acht lässt. Eine vielseitige Reise, bei der jeder Blick um die nächste Ecke aufs Neue beeindruckt.

Die verschachtelt-komplexe Eröffnung mit dem wegweisenden Titel „L’odyssée“ und der Nachfolger „Beluga“ lassen an Sleepytime Gorilla Museum denken, an Rockmusik, die sich der Stereotypen komplett entledigt, die den Rock entzerrt, auseinanderdröselt und kunstvoll wieder aufwickelt; man fühlt sich an Rockmusik erinnert, bekommt aber keine. Auch mag man an Mike Patton denken, an die unheavy Ausflüge von Mr. Bungle etwa, wenn sich Zutaten in einem Topf wiederfinden, die man nie zusammengerührt hätte, die aber eine wohlschmeckende Rezeptur ergeben. Ein Piano bestimmt den Opener, versetzt ihm eine Wucht, die die Gitarren selbst gar nicht haben, die stattdessen funky gniedeln, während der Chor die Unachtsamkeiten des Dirigenten chaotisch-harmonisch für sich ausnutzt. Nicht nur die auf Französisch gehaltenen Texte lassen zudem angesichts der Jazz-Prog-Melange mit dezidiert schrillem Gesang eine weitere Ahnung zu: Magma.

An vierter Stelle plötzlich erklingt mit „N’Kunter“ eine Art Drum And Bass, eine nervöse Frickelelektronik, auch noch mit Jazz versetzt. Das hätte man selbst bei den genannten Analogien so nicht bekommen du erstrecht nicht vorhergesehen. Hier denkt man am ehesten noch an „The Seduction Of Claude Debussy“ von The Art Of Noise, das Album, das Klassik und Electro mixte. Der zweistimmige Gesang, tief männlich und opernartig weiblich, verstärkt diesen Eindruck. Ein fettes Saxophon zwischendurch verändert den Blickwinkel abermals. Als Rauswurf gibt’s mit „Gobe“ Ambient-Frickel-Soundscapes. Mit Akkordeon, Maultrommel und manischem Gesabbel als Quasi- Bonus, eine Art derangierte Folklore sozusagen, da waren noch Ideen übrig, die mussten noch mit rein.

Bei Ektör handelt es sich um ein Quartett, bestehend aus: Schlagzeuger Benoît Michelena, Sänger und Keyboarder Guillaume Flamen (auch bei Un), Produzent „The Eraser“ Alain Marc Jacquemin sowie Sänger, Gitarrist und Bassist Guillaume Ringwald; alle vier haben zusätzlich „Programming“ hinter dem Namen stehen. Zusätzliche Stimmen, Saxophon und Darbuka übernehmen hier Gäste. Zwar stellt „Ektöristan“ das Debüt dieses Ensembles dar, doch trat es bereits 1994 auf der Compilation „Force Motrice“ als Ektor in Erscheinung, allerdings in anderer Besetzung, denn lediglich Michelena und Jacquemin waren damals bereits dabei, außerdem Bruno Baron und Alain Michel. 30 Jahre später also setzen die Initiatoren ihre Reise fort, nehmen noch einen Satz Umlaute mit und spielen eines der spannendsten Alben des Jahres ein. Und mit was für einer Energie! Track drei heißt nicht umsonst „Alarme“