Bissesvinet – Blodager – Bissesvinet 2024

Von Matthias Bosenick (19.11.2024)

Was aus einem einmaligen Gastbeitrag so werden kann: Sänger Bisse war vor zwei Jahren Feature auf „Intruducing SVIN“, dem siebten Album der dänischen Avantgarderockband Svin, und zwar im Song „Bøn“. Der gefiel beiden Beteiligten – und allen Hörenden – so gut, dass sich Sänger und Band zu Bissesvinet zusammentaten. „Blodager“ ist das Debüt dieser Kombination, und es überwältigt mit einer eigensinnigen Musik, die weniger Avantgarde ist als kunstvoll rätselhaft, energetisch ohne Gewalt, dennoch pandämonisch, zudem generiert zuvorderst mit Blas- und Tasteninstrumenten und mit zwingendem Gesang versehen. Für dieses Debüt mussten beide Parteien von ihrer gewohnten Arbeitsweise abweichen und Kompromisse finden – und es gelang ihnen vortrefflich.

Aus dem Stand entwickelt die Musik einen Sog, auch ohne Krawall: Der Opener „Blodpenge“ zieht die Hörenden sofort in sich hinein, mit fiebriger Musik und ebensolchem Gesang, und es lässt sich gar nicht so leicht bestimmen, aus welchen Zutaten diese Musik überhaupt besteht. Da entwickelt sich eine Kraft, die unwiderstehlich ist. Ein Bisschen meint man, Düreforsög herauszuhören, noch mehr im nächsten Song „Bud“, der als zerbrochen scheppernder Walzer beginnt und in der Mitte einen wunderbaren Lärm generiert. So halbwegs klassische Rockmusik bekommt man erst mit dem dritten Song „Dødsklage“, der wie ein heruntergedimmter Indierocksong in Lauerstellung wirkt, allzeit bereit, wieder loszubrüllen – und stattdessen ertönt eine sanfte Orgel. „Shulamit“ ist beinahe jazzig, mit ganz viel Hall auf dem Saxophon und einem schamanisch-rituellen unendlichen Getrommel, das „Judasevangeliet“ ist ein mit Talk-Talk-Sounds zu „Laughing Stock“-Zeiten unterlegtes Spoken-Word-Stück.

„Veråb“ endlich bereitet mit angedeuteter Energie den Ausbruch vor, der sich erst in der Mitte ereignet du doch anders ausfällt, als erwartet, als notwendig, nämlich mit beinahe sakralem Gesang zu Drones und eher rasselnden Drums. Man wähnt sich im Mittelalter, jedoch in einem unbequemen, obschon reizvollen. Allmählich macht es sich die Band im Lärm und im Chaos gemütlich, die „Svinehyrden“ kombiniert Getröte, Gerumpel und Geschepper zu einem langsamen, aber quälenden Pandämonium. Für „Grædemuren“ fahren Bissesvinet den Noise zurück, das Kakophonische indes nicht, die Band wird manischer, steigert sich ins ebenso zerfahrene, leicht industrialartige „Samson“ hinein und lässt abschließend das „Harmageddon“ ertönen, ein desolater Bluesversuch, waschecht mit Saxophonen.

Bisse singt nicht einfach, er klingt wie ein wahnsinniger Prediger, er steigert sich in seine Liturgie hinein, beschwört seine Gemeinde, belässt es nicht einfach dabei, vom Ende der Welt zu mahnen, er ruft es gleich selbst herbei, auf dem „Blodager“, dem Blutacker, stehend, in die dräuenden dunklen Wolken rufend, die sich über ihm auftürmen und den ohnehin schon kargen Bewuchs um ihn herum gewaltsam zerrütten. Er lässt keine Ruhe, er erzwingt die volle Aufmerksamkeit, und obschon ihm dies auch solo bereits gelingen würde, schart er seine Heilsarmee hinter sich, die drei verbliebenen Musiker von Svin.

Deren Instrumentarium fällt angenehm ungewöhnlich aus. Gewöhnlich ist hier gerade noch das Schlagzeug, das spielt Thomas Eiler. Das Pandämonium entfachen die anderen beiden: Freejazzer Henrik Pultz Melbye mit Saxophon, Blaswandler, Klarinette und Synthies sowie Noisemusiker Lars Bech Pilgaard mit Pedal-Orgel, Celesta und Gitarren. À propos Klarnamen: Bisse heißt eigentlich Thorbjørn Radisch Bredkjær, der Sänger spielt außerdem auch Synthies. Sie alle haben zudem eine üppige Liste an weiteren Projekten in petto, einige davon mit personellen Überschneidungen. Einen Blodager gibt es offenbar wirklich in Dänemark, irgendwo bei Randers findet sich wohl ein solcher heidnischer Platz.