Davide Pansolin – Kiss The Sun – Tsunami Edizioni 2024

Von Matthias Bosenick (18.11.2024)

„Die lange Reise des Heavy Psych 1980-2000“ ist das im Untertitel aufgedröselte Thema von „Kiss The Sun. Il lungo viaggio dell’heavy psych (Le tempeste)“, einem gigantischen Kompendium, zusammengetragen von einem, der sich auskennt: Davide Pansolin betrieb in Savona Plattenladen, Label und Magazin jeweils mit dem Namen Vincebus Eruptum, förderte zahlreiche lokale bis internationale Bands aus der psychedelischen Rockmusik und bündelt sein Fachwissen nun in diesem Buch. Das man bedauerlicherweise ausschließlich auf Italienisch bekommt, aber Google Translate kann helfen, und außerdem schmückt es den Raum ungemein, und man holt sich eben überhaupt das Fachwissen das sympathischen Auskenners nach Hause.

„Kein Stoner“, warnt Pansolin vorab, der Begriff sei zu modern, er treffe den Kern des Heavy Psych nicht mehr, und den anderen Begriff hält er einfach für passender. Über Musikvideos und Radio entdeckte seine Generation Musik, schreibt er einleitend, und tobt sich danach auf über 300 Seiten zum Thema aus, klar strukturiert in einer geographisch-chronologischen Betrachtung: Los geht es für ihn zu Beginn der Achtziger in den USA, genauer: in Kalifornien, in der Wüste, mit Bands wie Across The River und Dead Issue. Schon hier geht es los, dass man sich als den Heavy Psych nur marginal Kennender dazu ermuntert sieht, sich umzuhören. Viele Bands hat man als Nicht-Fachmensch noch nie wahrgenommen, umso mehr freut man sich über die Vertrauten, die Pansolin auflistet. Klar: Kyuss folgen bald, und an denen hat er ganz offensichtlich einen Narren gefressen, denn die nehmen einen großen Teil der kalifornischen Historie ein, mit allen Seitenarmen und Folgeprojekten, umringt von etwa Masters Of Reality, Fu Manchu oder Nebula.

Ein Drittel des Buches verbringt Pansolin in Kalifornien, erst auf Seite 115 springt er nach Texas, danach nach New Jersey mit den prominenten Vertretern Monster Magnet. Erst ein weiteres Drittel später verlässt er die USA in Richtung Europa und beginnt dort nicht mit seinem Heimatland, sondern mit Großbritannien und Irland, hier: Cathedral und Orange Goblin. Direkt danach folgt Deutschland, ausgehend vom Krautrock etwa mit Vibravoid und später Sula Bassana, beide jüngst erst auf dieser Plattform besprochen. Colour Haze ist eine weitere außerhalb der Szene bekannte Band. Weitere Stationen sind die Niederlande (35007, 7 Zuma 7) und Skandinavien (Spiritual Beggars, Grand Magus), dann erst widmet er sich Italien. Start ist hier die Band That’s All Folks und deren Projekt Colt.38, an denen Claudio Colaianni beteiligt war, der heute Anuseye betreibt, die Pansolin auf seinem Label veröffentlichte, aber hier nicht aufführt, da deren Debüt erst 2011 erschien. Aber Ufomammut und Paul Chain erwähnt er, beides Bands, die der Rezensent in Pansolins Laden mit ihm hören durfte. Das waren Zeiten!

Erst kurz vor Schluss wendet Pansolin sich dem Rest der Welt zu, etwa den Sons Of Otis aus Kanada oder Church Of Misery aus Tokyo. Es folgt der Appendix, in dem der Autor beispielhafte Compilations mit Tracklisten empfiehlt, die Prä-Zeit des Heavy Psych ausleuchtet, also die Sechziger und Siebziger, selbstredend mit Blue Cheer, nach deren 1968er-Album „Vincebus Eruptum“ er all seine Plattformen benannte, sowie eine Liste sämtlicher Kyuss-Auftritte zwischen Februar 1989 und September 1995 und der alphabetische Index.

Nicht allein die Geschichten der Bands erzählt Pansolin nach, er kennt deren Einflüsse – Black Sabbath und Hawkwind etwa –, die Chartplatzierungen der Alben, die Nebenprojekte, die Randerscheinungen und haufenweise Off-Topic-Geschichten weit über den Tellerrand hinaus. Zudem plaudert er als Teil dieser Szene auch aus dem Nähkästchen, und da wünscht man sich umso mehr eine übersetzte Ausgabe. Viel zu viel muss man erahnen, sofern man nicht wirklich alle 322 Seiten mit Google Translate lesen möchte. Die vielen Schwarzweißfotos zumindest sind eine schöne Entschädigung für fehlendes Verständnis.

Pansolin benannte sein zweites Buch nach „Veleno sottile. La storia degli Screaming Trees (Gli uragani)“ aus dem Jahr 2022, der ersten Biografie der Screaming Trees und Mark Lanegans überhaupt, nach dem Song „Kiss The Sun“ der Band Core, erschienen 1996 auf deren Album „Revival“. Da geht’s schon los mit der Recherche. Das Buch liefert noch unzählige weitere Anlässe dafür! Und einen Anlass, Material für die Zeit nach dem Jahr 2000 zusammenzutragen: Russland fehlt hier zum Beispiel noch, zum seit 2002 aktiven addicted label hat Pansolin engen Kontakt – schließlich brachte er „The Mighty Few“ von dessen Band The Grand Astoria exklusiv auf Vinyl heraus, nachzulesen ebenfalls auf krautnick.de.