Von Matthias Bosenick (14.11.2024)
Filmfest in Braunschweig! Zum persönlichen Einstieg in die 38. Cineastenparty gibt’s „Universal Language“, einen Film, der in einem Kanada spielt, in dem vornehmlich Farsi gesprochen wird, sofern nicht Französisch, der vor öder brutalistischer Kulisse stattfindet und der mit aberwitzigen Absurditäten nur so gespickt ist, die im Finale dramatisch zusammenlaufen. Experimenteller Zitatepop mit originärem Kern.
„Universal Language“ spielt in einem Winnipeg, Kanada, das von Iranern bewohnt ist. So einige normale bis kuriose Menschen treten bereits in den ersten Sequenzen auf: Der rauchende Hippie-Lehrer, der die missratenen Schüler im Kabuff einsperrt. Zwei Schülerinnen, die einen Geldschein im Eis finden, von dem sie ihrem Mitschüler eine Brille kaufen wollen, damit der Lehrer sie nicht länger aus der Schule aussperrt, und die an einen Mann mit pinken Ohrenschützern geraten, der ihnen rät, sich bei einem Freund von ihm eine Axt zu borgen, um das Eis zerschlagen zu können. Ein Mann, der den Job kündigt und mit dem Bus – neben jenem Lehrer sitzend – seine Mutter besuchen fährt; dieser Mann heißt wie der Regisseur und wird auch von ihm dargestellt. Der Truthahnsammler, dessen Traumtier abhandenkommt. Der Kleenextücherladenbesitzer, dessen Sohn der Kurzsichtige ist. Die Trauertränensammlerin. Der Geburtstagstortenverkäufer. Der Schneeschipper. Der Truthahn. Der wandelnde Weihnachtsbaummann. Der Touristenführer. Und und und, eine Figur absurder und rätselhafter als die nächste.
Man begleitet diese Figuren eine Weile lang durchs winterliche Kanada und verliert alsbald den Bezug zur Geschichte, während man zwischen absurdem Humor und visueller Ödnis dem Film zu folgen versucht. Man sieht großflächige, nahezu öffnungsfreie Häuserwände in Beige, Braun oder Grau, die zur Touristenattraktion werden, so sie denn einmal ein Klinkermuster aufweisen. Man lauscht den verrücktesten Wortwitzen und Einfällen („Das war der neutralste Arbeitsplatz, den ich jemals hatte“). Man sieht verschlungene Autobahnen, deren Verkehrslärm Sehenswürdigkeiten, Friedhöfe und Shopping Malls erschüttert und umtöst. Man sieht die bunte Welt der Kleenexshops, Bingocafés, Truthahnläden, den monochromen Schnee über allem, die unendliche Leere um die Personen herum, und versucht, sich zurechtzufinden.
Denn Regisseur und Hauptdarsteller Rankin hat erzählerisch ein sprunghaftes Gemüt: Eine Geschichte reißt er an und haftet die Kamera dann vermeintlichen Nebenfiguren an, die wie zufällig das Bild kreuzen. Er nimmt scheinbar willkürliche Fäden auf und begleitet sie für eine Weile. Doch Aufmerksamkeit und Erinnerungsvermögen werden belohnt: Im Verlaufe des Filmes kehrt Rankin zu den unerwartetsten Details zurück, offenbart zuvor lediglich angedeutete Identitäten, entwirrt das Knäul der Seitenstränge – und lässt alles in einem Raum zusammenkommen, inklusive David-Lynch-Effekt.
Nun heißt es, dass sich Rankin am klassischen iranischen Kino orientiert, um diese kulturelle Mischung zu gestalten. Wer da indes nicht sattelfest ist, findet dennoch Analogien, da ist der Film wie ein Zitateraten: Roy Andersson und Aki Kaurismäki kommen einem in den Sinn, für die statischen Bilder zwischendurch und die Tristesse. Die pastellige Farbgebung lässt an Wes Anderson denken, Umsitzende verweisen zudem auf Jacques Tati und Andrei Tarkowswki. Aber eine solche Geschichte hat von denen niemand erzählt.
Nun baut Rankin einige weitere Finessen in den Film ein. Der Soundtrack etwa ist überwiegend an traditionelle iranische Musik angelehnt. Inmitten des Reigens an tristen Außen- und mattfarbigen Innenaufnahmen zeigt er in einer psychedelischen Sequenz eine innige Familienkonstellation beim Kuscheln, in fetten Farben und komplett vom Rest abweichenden Schnitten, Blenden und Schwenks. Einige Episoden, so ist zu lesen, sind autobiografisch grundiert. Was muss das für ein Leben sein!