Von Guido Dörheide (12.11.2024)
Still und heimlich hat der Housemartins- und Beautiful-South-Mastermind und ehemals schwere Trinker Paul Heaton ein neues Album veröffentlicht. Leider ohne die mittlere Beautiful-South-Sängerin und Soloalbenmitstreiterin Jacqui Abbott (bekannt und gefeiert spätestens seit „Don’t Marry Her, Fuck Me“ von der 1996er Beautiful-South-Großtat „Blue Is The Coulour), dennoch sind mit Heatons regulärer Livekonzertkollaboratörin Rianne Downey und Yvonne Shelton zwei Sängerinnen dabei, um einige von Heatons neuen Kompositionen vorzutragen.
Heaton selbst sieht auf dem Albumcover aus wie Pettersson, nur hat er keine Katze dabei. Er singt aber, wie wir ihn seit seligen Housmartins-Tagen kennen und lieben, seine Stimme ist hell und leicht nasal wie eh und je. Mit „National Treasure“ beginnt das Album leicht und beschwingt mit einem fröhlichen Folk-Pop-Song mit dezent schrengelnder Gitarre und Streichern. Im Text beschäftigt sich Heaton mit dem Umstand, dass sein Land unbedingt Helden braucht (bzw. anfällig dafür ist, denjenigen auf den Leim zu gehen, die sich als solche darstellen, interpretiere ich hier mal vor dem Hintergrund, dass sich Heaton auf der Bühne erfreulich brexitkritisch darstellt – „die meisten Nationen wie unsere benötigt Narren als Helden“). Ein liebevoller, aber doch bissiger Blick auf Heatons Heimatland. Weiter geht es mit „Quicksand“, einem Ska-Stück mit hervorragendem Posaunenpart, gesungen von Downey, die stimmlich ebensogut mit Heaton und seiner Musik harmoniert wie weiland Jacqui Abbott.
Derart eingestimmt, läuft Heaton auf „After The Sugar Rush“ zu ganz großer Form auf: Der Song beginnt mit einer verspielten Akustikgitarre und sanftem Gesang Heatons. Nach gut einer Minute setzt das Schlagzeug ein, ein Klavier kommt hinzu und Heaton steigert seinen Gesang in eine Stadionmitsingmelodie hinein, um dann wieder ruhig und sanft zu werden, dann wieder laut und immer bleibt es schön.
„Fish’n’Chip Supper“ könnte auch gut von den Kinks stammen, es swingt, fühlt sich leicht an und strahlt dennoch Ernst und Würde aus, Heaton singt von sich gegenseitig enttäuschenden Liebenden, die mit dem Arsch alles einreißen, was sie vorne aufgebaut haben, schwören, von nun an alles anders zu machen, und daran scheitern. Und das alles vorgetragen mit Heatons wunderbarer Stimme und zu einer durchaus beschwingt-fröhlichen Melodie.
„H Into Hurt“ fügt ein wenig Country zur musikalischen Bandbreite des Albums hinzu, was Rianne Downey durch ihren Gesang unterstreicht.
Auf „Silly Me“, einer Ballade mit viel Akustikgitarre, singen Rianne Downey und Yvonne Shelton gemeinsam, Glasgow trifft Manchester, wunderbar, und eins meiner Lieblingsstücke auf diesem Album. Und auch hier fällt mir wieder die Sixties-angehauchte, nur leicht verzerrte Gitarre ins Ohr, die zur leicht altmodischen Soundgesamtanmutung beiträgt, gespielt von Heatons Co-Komponisten Jonny Lexus.
Mit „Small Boats“ erweitert Heaton dann wieder einmal mehr das musikalische Spektrum: Zusammen mit Danny Muldoon haut er einen Irish-Folk-Song auf die Bühne, der so von den Men They Couldn’t Hang in den 80ern nicht besser hätte dargeboten werden können. Ich bin hin und weg.
Ab jetzt könnte Paul Heaton das sprichwörtliche Telefonbuch von Kingston upon Hull mit verteilten Rollen vorlesen, schiet wat op, mich hat er auf seiner Seite. Und obwohl ich mich bisher ausdrücklich und mit voller Absicht nicht über zu wenig Abwechslung auf „The Mighty Several“ beklagt habe, geht Heaton bei und dreht die Abwechlungsschraube auf 11: Auf „Just Another Family“ kann Rianne Downey noch einmal die Country-und-Western-Seite ihres Gesangs betonen, dazu klappert ein schnelles Rock’n’Roll-Klavier und der Kontrast zwischen Heatons eher indiemäßigem Gesang und Downeys Country-Darbietung. Egal, welche Musik dazu spielt, Heaton bleibt immer Heaton und das finde ich toll und das unterscheidet ihn von vielen seiner Kollegen, die vom Alternative in mehr traditionelle Genres gewechselt sind und deren Gesangsdarbietung dann auf einmal alles verlor, was wir früher an ihr so sehr mochten, siehe Black Francis/Frank Black. Heaton enttäuscht hier nicht und bleibt im Kern immer der junge Mann, der bei den Housemartins hinterm Mikro stand. Wenn er den Gesang anders haben will, überlässt er ihn anderen – so zum Beispiel auf „Pull Up A Seat“, wo wieder Danny Muldoon dafür sorgt, dass sich das Lied akkurat Old School nach Country an der Grenze zum Kitsch oder zur Schnulze anhört, was zusammen mit dem Backgroundgesang der Damen großartig funktioniert, Heatons Stimme hätte hier nicht gepasst.
Auf „The Blues Came In“ kommt dann auch noch der Blues herein, hier toll gesungen vom Chef selber, das hätte auch toll auf eines der vielen von mir sehr geliebten Beautiful-South-Alben gepasst. Selbiges trifft auf „Couldn’t Get Dead“ zu, das Liebhaber von Orgelklängen und Rianne Downeys Gesang gleichermaßen zufriedenstellt, Heaton selber singt auch ein wenig und wertet damit den Song zusätzlich auf. Auf „Walk On, Slow Down“ bekommt zunächst der Bass, dann das Keyboard (irgendwie schliddert der Song am Anfang so richtig schön achtzigerjahremäßig und leicht schmalzig vor sich hin) und dann Heaton selber die Bühne, die er verdient. Das hier ist großer Pop, ein klein wenig Kitsch und viel Heatons Stimme.
Produziert wurde „The Mighty Several“ vom Lightning-Seeds-Frontmann Ian Broudie, und er hat seine Arbeit gut gemacht. Die Stimmen kommen großartig zur Geltung und jedes einzelne Instrument bekommt den Raum, den es benötigt. Ein auf den ersten Blick unspektakuläres, aber beim intensiven Hören sehr abwechslungsreiches und wunderschönes Album.