Von Guido Dörheide (30.09.2024)
Einst unterhielt ich mich mit meinem damaligen Kollegen Manfred über die Schenker-Brüder aus Sarstedt bei Hildesheim, Niedersachsen, Germany. Und Manfred war voll des Spottes über Michael, den jüngeren Schenker, ob seines Ausstiegs bei ihm seinen Bruder seinen Scorpions nach dem ersten Album, und meinte, „Ah höhöhö, der ging dann zu UFO (das Manfred etwa „Ufo“ aussprach) und meinte, er könne da was werden. Ah höhöhöhö!“ Ja klar, Michael Schenker hätte natürlich auch mit den Scorpions Mitglied der größten deutschen Stromgitarrenmusikkappelle (ja genau, das ist nämlich genau nicht die peinliche Tippfehlercombo „Rammstein“) werden können, aber in wessen Schatten hätte er da wohl auf Dauer gestanden? Raten Sie mal! „You’re no good, can’t you see, brother Rudi, Rudi, Rudi“ ist das Stichwort.
Meiner Erinnerung ist Michaels Nachfolger Uli Jon Roth auch nicht bei den Scorpions ausgestiegen, weil er da so zufrieden war, und das, obwohl er für manchmal bis zu 40 Prozent der Musiken auf den zu seiner Zeit veröffentlichten Tonträgern als Komponist verantwortlich zeichnen durfte. Und wenn man sich dann noch zeitgenössische Interviews durchliest, in denen sich die Schenker Brothers gewissermaßen gegenseitig mit dem Kopp in den Schnee stecken, nee Scheiße, das wäre nie gutgegangen mit der gemeinsamen Karriere und Michael hat alles richtig gemacht, indem er nach dem Ausstieg bei UFO eine eigene Band mit wechselnden Mitmusikern gründete (MSG – Michael Schenker Group) und anscheinend immer genau dann, wenn er Bock darauf hat, ein Album rauszuhauen. Sei es mit MSG, sei es mit „Michael Schenker’s Temple Of Rock“, sei es mit „Michael Schenker & Friends“ auch mal rein instrumental. Auf jeden Fall einen Haufen mehr Alben als sein Bruder Rudolf hat er veröffentlicht, der kleine Schenker. Und auch wenn man immer wieder hört, dass er aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur und seiner Substanzengebrauchskarriere auch immer ein unsicherer Kantonist gewesen sein soll, seinen Ruf als „the Beethoven of lead guitar players, man!“ (soweit das Zitat aus „Anvil. The Story of Anvil“) hat er sich hart erarbeitet und scheut nicht davor zurück, Jahr um Jahr zu untermauern, dass er weit und breit der einzige Beethoven in dieser Liga ist.
Und pünktlich zum 50. Jahrestag seines ersten Erscheinens als Lead-Gitarrist und Songschreiber auf einem UFO-Album (dem Drittlingswerk „Phenomenon“ von 1974, damals war Michael gerade mal 19 Jahre alt) haut Michael Schenker nun „My Years With UFO“ raus, auf dem er die großen Jahre der Band (ja, wirklich, die großen Jahre von UFO waren die Jahre mit Michael Schenker, da gibt es nichts zu beschönigen) von 1974 bis 1979 nochmal Paroli laufen lässt, indem er elf großartige und großartig gealterte musikalische Eigenkompositionen mit neuen Mitmusikern neu einspielt. Und galt bisher der Grundsatz „Wenn man eine Best of von UFO hören will, greife man zu ‚Strangers In The Night’“, kann man nun zwischen dem legendären 1979er Livealbum und Schenkers „My Years With UFO“ wählen. Witzigerweise sind alle auf dem aktuellen Album vertretenen Songs auch auf „Strangers In The Night“ enthalten, so dass man sich den durchaus unterhaltsamen Spaß machen kann, alle Songs des Albums in der ursprünglichen UFO-Album-Fassung, als großartige Liveversion und dann nochmal vom Komponisten höchstpersönlich gecovert direkt hintereinander anzuhören. Und dabei festzustellen, dass Michael Schenker seine alten Großtaten nicht nur immer noch überaus virtuos zu spielen weiß, sondern durch ein beeindruckendes Großaufgebot von Gaststars auf eine völlig neue und zeitgemäße Höhe zu heben in der Lage ist.
Und das geht gleich mit dem Opener „Natural Thing“ los. Kein Geringerer als der unvergleichliche Twisted-Sister-Frontmann Dee Snider singt hier alles an die Wand und lässt die tolle Instrumentierung ziemlich in den Hintergrund treten (OK, Schenkers Solo ist dann wieder eine Klasse für sich und sollte schöön laut mit Kopfhörern gehört werden), was für ein Albumeröffnungsstück aber absolut OK geht und einem Ursympathen wie Snider auch herzhaft gegönnt sei. Für „Only You Can Rock Me“ reicht Snider das Mike an Joey Tempest weiter. Ja genau, der Mann mit der rasierten Mannesbrust, den meine Generation bereits seit „The Final Countdown“ als Leadsänger von Europe in Erinnerung hat. Und ja, der Mann kann singen, mit mittlerweile 61 Jahren auch sehr viel angenehmer als damals auf dem Europe-Drittlingswerk. Zwischendurch gibt es 80er-Jahre-Marillion-verdächtige Keyboardeinlagen und – natürlich – tolle Soli des Meisters zu hören. Und (bei mir läuft tatsächlich gerade ein Mix mit immer erstmal der 2024er-Schenker-Version und dem Studiooriginal von UFO hinterher) Tempest kommt gesanglich ganz ganz nah an Phil Mogg von UFO ran, Hammer!
Auf dem folgenden „Doctor Doctor“, dem Song, den Iron Maiden auf jedem ihrer Konzerte vom Band laufen lassen, bevor sie die Bühne betreten (wenn man sich dieses Intro mal aufmerksam anhört, weiß man, warum – es ist eine wirkliche brillante Hölle von einem Hardrockintro), tritt dann endlich Joe Lynn Turner aus Hackensack, New Jersey hinter das Mikro, der legendäre ehemalige Frontmann von Rainbow, Deep Purple und Yngwie Malmsteen’s Rising Force, der bislang bei MSG nur als Gast dabei war, stimmlich aber perfekt hier hereinpasst. Weshalb ihn Schenker auch später noch beim UFO-Überhit „Too Hot To Handle“ singen lässt. Bei „Doctor Doctor“ klingt Turners Gesang verglichen mit Moggs Original zu wenig rotzig und rauh, was aber nichts macht, weil auch Schenkers Gitarre 2024 weniger rotzig und rauh klingt als 1974. Und das ist genau ein Teil, der die Faszination des Albums ausmacht: Schenkers Gitarre klingt immer sehr weich und warm, egal wie hart er sie spielt. Und – daher die Kopfhörerempfehlung vorhin – alles, was Schenker macht, klingt leicht und mühelos, obwohl es technisch sehr anspruchsvoll ist, was er da macht. Und obwohl technisch anspruchsvoll, verfällt Michael Schenker niemals in technikverliebtes Betongegniedel, das um nur seiner selbst Willen existiert, nein, alles, was er macht, ist ausgesprochen songdienlich, geht in die Beine und wird bei zahlreichen Luftgitarristen zu Sehnenscheidenentzündungen führen.
Aber kommen wir zurück zu einem Phänomen, dass bei Schenker niemals ausbleibt: Namedropping. Auf Stück 4, „Mother Mary“, gönnt sich Schenker einen Gastgitarristen, mit dem er sich auf das Wunderschönste duellieren kann: Saul Hudson aus London, UK. Les Paul trifft Flying V, gewissermaßen.
„This Kid’s“ wird dann von Biff Byford von Saxon gesungen, die backing Vocals steuert Michael Voss bei, der die Schenker-Alben der letzten 15 Jahre („Temple Of Rock“, „Michael Schenker Fest“, „MSG“, „Schenker Barden Acoustic Project“) produziert hat. Hier zeigt Schenker, dass er auch im 12taktigen Bluesschema zuhause ist wie kaum jemand sonst.
Danach folgt der Hauptgänsehautmoment des Albums: „Love To love“, mit dem superschönen Keyboard-Gitarrenintro und Gesang von – na klar, nach Slashs Auftritt zwei Stücke vorher ahnte man es vielleicht schon – Axl Rose. Sein Gesang passt perfekt zu „Love To love“, er hat es auch immer noch drauf, auch wenn er nicht mehr aussieht wie zu Zeiten von – sagen wir mal – „November Rain“, für das „Love To Love“ zumindest partiell Pate gestanden zu haben scheint. Auch wenn jetzt nichts mehr kommen sollte, alleine für die sechs Songs bis hierher kann die Anschaffung von „My Years With UFO“ auf das Allerwärmste anempfohlen werden.
Aber es ist ja nicht so, dass nun nichts mehr kommt: „Lights Out“ besticht durch den rauhen Gesang von Jeff Scott Soto (den ich persönlich auf „A Heavy Metal Christmas And A Headbanging New Year“ kennen und schätzen gelernt habe) und die Gastgitarre von John Norum. Neben Joey Tempest ist hier also ein zweites Europe-Mitglied vertreten.
Mal ehrlich, bis hierher habe ich gedacht, virtuoser und gesangstechnisch besser besetzt könnte man sein eigenes Frühwerk nicht in Szene setzen, aber erstens geht es immer noch besser und zweitens hatte ich das apselute Albumhighlight bis dahin noch nicht gehört: Nämlich „Rock Bottom“ in der 2024er Version mit Kai Hansen am Mikrofon. DEM Kai Hansen, Vorgänger von Michael Kiske bei Helloween (und gleichzeitig Mitbegründer der legendären und stilprägenden Band) und Gründer und inzwischen auch Sänger von Gamma Ray. Hansen singt hier gewohnt Hansen-mäßig, also kraftvoll, aber weder stimmlich zu irgendwelchen Großtaten fähig noch sich irgendwie aufspielend, also eigentlich großartig, und lässt Schenker Platz, sich auf der Gitarre mal so richtig auszutoben. Und das macht Michael Schenker nicht, indem er permanent 500 Töne gleichzeitig spielt, Gläser zum Zerspringen bringt oder irgendwas in der Art, nein, er nimmt sich so richtig Zeit, kloppt erstmal schöne Powerchords runter und entwickelt daraus Soli, die einerseits im Blues und im Hardrock verwurzelt sind und andererseits klassische Elemente beinhalten, um die ihn ein Wolf Hoffmann sicherlich beneidet. Gegen Ende des Stücks wechselt Schenker vom Solo zu einer für ihn typischen vorantreibenden und dabei superverspielten Leadgitarre und überlässt Hansen nochmal das Feld, der sich selbst und den Refrain wieder ins Gedächtnis ruft und das Stück zu einem Ende bringt, bei dem man sich fragt, wo die 11:05 Minuten nun eigentlich geblieben sind.
Auf „Too Hot To Handle“, auch ein legendärer UFO-Standard, singt wieder einmal mehr Joe Lynn Turner, und das macht er wieder großartig, ohne dem Original etwas hinzuzufügen oder wegzunehmen. Auf „Let It Roll“ darf Michael Voss auch mal alleine singen, während Schenker seine Gitarre mit höherer Geschwindigkeit bearbeitet. Auch dabei klingt er an keiner Stelle angestrengt, aber wie er hier zwischen oberverfrickelten Ohrwurmriffs und in der Geschwindigkeit extrem variierenden Soli hin- und herwechselt, das ist schon mal ein genaueres Hinhören wert.
So viele tolle Soli machen schwindelig, und so findet das Album seinen Abschluss mit einem recht straighten Rock-Song, nämlich „Shoot Shoot“, gesungen vom Ratt-Frontmann Stephen Pearcy. Der zieht seinen Gesang routiniert und gekonnt durch, zwischendurch brilliert Schenker wieder an der Gitarre, und so endet ein grandioses Album mit einem Stück, dass den Hörer weniger fordert als die vorherigen, aber ebenso begeistert.
Allen Hörenden, die UFOs Klassiker in der hier vorliegenden Form zum ersten Mal hören, möchte ich das Studium der Originale wärmstens ans Herz legen. Und dann selbst zu entscheiden, ob es eine gute Entscheidung war, die Scorpions zu verlassen, um UFO beizutreten. Wobei sich die Frage hier eigentlich selber beantwortet: Beginnend mit den fünf (plus ein Hammer-Live-Album) bahnbrechenden UFO-Alben zwischen 1974 und 1979 hat sich Michael Schenker auf allem, was er veröffentlicht hat, mehr verwirklicht und zur Musikgeschichte mehr beigesteuert, als er ihm jemals als Scorpions-Leadgitarrist unter dem Pantoffel von Rudi und Klaus möglich gewesen wäre. Also hat er alles richtig gemacht.