Von Matthias Bosenick (26.09.2024)
Mit großer Geste umarmt Nick Cave die Welt wieder. Gospel, Orchester, Piano, Flöten, eine dezente und kaum als solche wahrnehmbare Rockband, raumgreifende schönste Melodien, überkopfgroße erbauliche Songs, kein Kitsch, oh Lord! Alles sehr anspruchsvoll und inbrünstig, aufgekratzter Rock’n’Roll war früher, heute sind wir closer to God, da springen wir wie Super Mario von Wolke zu Wolke, ab ins Nirvana. Die opulente Wucht haut einen um, und hinterher braucht man unbedingt irgendwas Dreckiges. Gern auch etwas Älteres von Nick Cave oder gleich Grinderman.
Natürlich ist „Wild God“ geil, es ist schließlich ein Album von Nick Cave, und nicht nur von ihm, hier sind The Bad Seeds wieder dabei, sie folgten des Boatman’s Call: Martyn P. Casey am Bass, Thomas Wydler am Schlagzeug, natürlich Warren Ellis an so ziemlich allen anderen Instrumenten, Jim Sclavunos an Percussion und Vibraphon sowie George Vjestica an der Gitarre. Caves vor drei Jahren verstorbene Ex und Muse Anita Lane findet über einen gesampelten Anruf Einlass in das Album, und er betont, wie gut seiner jetzigen Gattin dieses posthume Liebeslied mit dem eindeutigen Titel „O Wow O Wow (How Wonderful She Is)“ gefällt. Ach ja, Radiohead-Bassist Colin Greenwood guckt auf eine Stippvisite vorbei.
Nach den etwas konturlosen zurückliegenden Alben, deren Stimmung verständlicherweise stark vom Tod beeinflusst war, schließlich verlor Nick Cave in kurzer Zeit gleich zwei Söhne, nimmt der Finsterfürst™ diese Ambient-Watte nun und verleiht ihr mehr Struktur. Ihm steht schließlich eine Rockband zur Seite, die verwendet er dafür, dass sie die Orchester- und Gospelstrukturen rhythmisch kanalisiert. Okay, in „Conversion“ hört man sie deutlicher heraus, ansonsten stehen sie der Opulenz nicht im Wege, sondern begleiten sie angemessen. Was Cave indes gelegentlich von den jüngeren Schmerzensalben beibehält, ist sein in die Höhe getriebener Gesang, der dann in seine Inbrunst und Gequältheit seinerseits quält, aber darin verfällt er hier gottlob seltener.
„Push The Sky Away“ markierte 2012 die Hinwendung in diese Fahrwasser, es unterschied sich erheblich vom rumpeligen „Dig!!! Lazarus Dig!!!“ vier Jahre zuvor. Dabei hatte Cave auch schon vor seiner Grinderman-Expressivität ruhigere Alben gemacht, das könnte also bedeuten, dass er alsbald einmal mehr die Richtung wechselt und mal wieder Bock auf amtliche Schweinereien hat. Aus irgendwelchen Gründen gilt Cave längst als dergestalt sakrosant, dass die Welt ihm für jeden Ton anbetend analytisch zu Füßen liegt, vergleichbar mit Bob Dylan. „Wild God“ ist mitnichten schlecht, auf keinen Fall, nur möchte man hinterher dringend wieder mehr Dreck auf der Schippe haben.