Von Matthias Bosenick (17.07.2024)
Wenn man mit dieser Sorte US-amerikanischen Humors nicht allzuviel anfangen kann und das wesentlich größere Vergnügen darin besteht, Kino-Begleiter einer Elfjährigen Minion-Verehrerin zu sein, hat man umso mehr Gelegenheit, die interessanteren Aspekte am vierten Teil der vermutlich bis ins Unendliche reichenden Animationsfilmreihe mit dem bekloppten deutschen Titel „Ich – einfach unverbesserlich“ inmitten des kreischigen Unsinns wahrzunehmen. Allem voran die neue Figur, Nachbarstochter Poppy, sowie den Mut zum heavy Soundtrack und die grandiosen 3D-Effekte. Damit kann man beinahe vergessen, dass die eigentliche Haupthandlung so gut wie gar keinen Raum einnimmt und dass die Witze reichlich flach sind.
„Superschurke“. Was ein Wort. Überhaupt, dass Kindern und Jugendlichen seit Jahren medienübergreifend das Wort „Schurke“ für negativ besetzte Antagonisten implantiert wird, ist schon kurios genug, weil reichlich veraltet und überhaupt nicht glanzvoll. Villain klingt da für Nicht-Native-Speaker glanzvoller. Gru, mit vollem Namen Felonius Gru Sr., als Grau-Schwarzer Kontrapunkt im Zuckerwattebonbonuniversum der auch optische Schmutzfleck, vom stereotypen slawischen Akzent ganz zu schweigen, hier performt von Oliver Rohrbeck alias Justus Jonas, ist ein solcher Superschurke, zumindest war er das 2010 in der Erstausgabe von „Ich – einfach unverbesserlich“ noch, wechselte 2013 im zweiten Teil aber die Seiten, heiratete die sympathische Lucy und etablierte sich 2017 im dritten Teil als Guter. Sieben Jahre später nun zwingen ihn Umstände dazu, abermals seine schurkischen Fähigkeiten auszuspielen, ohne jedoch ernsthaft wieder Schurke zu werden.
Diese Umstände führen gleich zur ersten Besonderheit dieses Films, nämlich Poppy. Sie ist die Tochter der neuen Nachbarn der Eheleute Gru und Lucy sowie deren inzwischen vier Kindern (ohne Ziege). Neue Nachbarn, weil Gru auf dem Klassentreffen seiner früheren Schurkenschule („Lycée pas bon“) seinen früheren Gegenspieler Maxime Le Mal (ein Name, knapp so einfallsreich wie Cruella de Vil) vor aller Schurken und der Direktorin Augen verhaftet. Da jener, der sich selbst mit einer Kakerlake fusionierte, ausbricht und – natürlich – auf Rache schwört, zwingt Grus früherer Arbeitgeber, die AVL, Anti-Verbrecher-Liga, was effektvoller klingt als Anti-Schurken-Liga, was nach o.g. Logik die korrekte Übersetzung von Anti-Villain League wäre, die ganze Familie in ein Zeugenschutzprogramm in der pastelligen Reichenstadt Mayflower. So kommt Gru zu neuen Nachbarn, den schmierigen Tennisspielern, und deren Tochter Poppy. Deren Nase schon der von Gru ähnelt, da ist also der Fortgang der Story an jener abzulesen: Sie will selbst auf die Schurkenschule gehen und zwingt Gru per Erpressung dazu, mit ihr einen Empfehlungs-Coup zu landen, indem sie das Schulmaskottchen stehlen, einen lebenden Honigdachs. Sollte er sich nicht fügen, würde sie seine wahre Identität aufdecken – ja, sie ist durchtrieben, sie ist nüchtern, hochnäsig, kalt, technisch versiert und klug. Und somit alsbald eine grandiose Verbündete, die sich sogar mit den Kindern nebenan anfreundet. Und am Ende – man sieht es für drei Sekunden – tatsächlich auf die Hogwarts-artige Schurkenschule geht, was ihren schnöseligen Eltern vermutlich etwas weniger gefallen dürfte, aber das bleibt offen.
Zweite Besonderheit ist der Soundtrack, also nicht der Score von Pharrell Williams, der ist öde und nach vertrauter Hollywood-Art funktional, sondern die Songs, die in die Handlung eingebaut sind. Darunter finden sich einerseits die größten Hits der Siebziger, Achtziger und Neunziger, weil man den die Kinder begleitenden Eltern ja etwas zum Wiedererkennen bieten will, wie „Karma Chameleon“ von Culture Club, „Word Up“ von Cameo oder das in der Synchronfassung auf Deutsch gesungene „Everybody Wants To Rule The World“ von Tears For Fears, am Ende im Knast wie bei den „Blues Brothers“ dargeboten. Dazu gibt’s „Unbelievable“ von EMF in einem modernisierten Dance-Mix, Right Said Fred – und „Hot For Teacher“ von Van Halen, das in Tempo und Aggressivität beim besten Willen nicht familientauglich ist. Als wäre das nicht genug, amüsiert sich Poppy in ihrem Baumhaus mit ihrer Katze bei einem Videospiel, für das sie auf einer Art elektronischer Twister-Matte „Through The Fire And Flames“ von DragonForce nachhüpfen muss – ein speediges Power-Metal-Stück, ebenfalls trotz leichter Chartserfolge kaum massentauglich. Überraschend!
Als drittes die Bilder: Einige Elemente sehen nicht nur für einen Animationsfilm überwältigend realistisch aus, Gebäude oder Einrichtungsgegenstände etwa. Oder das Fahrzeug, mit dem Maxime und seine Frau die Jagd nach Gru aufnehmen, nämlich eine knallrote überdimensionale Kakerlake mit Düsenantrieb und schlagkräftigen Extremitäten; sobald die fliegt oder zuschlägt, kracht’s optisch. Manche Bestandteile sind dabei etwas creepy, was im Rahmen eines solchen Familienfilms erstaunt, nicht nur Zuschauende, sondern auch Gru, der das dann stets meta-humorig anmerkt. Und dann die 3D-Version, es ist ein großes Vergnügen, wie die Filmemacher die zusätzliche Dimension in die Darbietung einbauen, mit Gesten in Richtung Betrachter, Dingen, die durch die Gegend fliegen, oder dynamischen perspektiven, etwa der Kletteraktion am Kronleuchter in der Schurkenschule. Man kann sich kaum ausmalen, wie diese Sequenzen in 2D aussehen mögen.
Zuletzt das Reichen-Bashing, das man an den verkorksten, oberflächlichen Nachbarn und anderen Stadtbewohnern festmachen kann. In Zeiten von zunehmendem Mega-Reichtum bei noch schneller wachsender, weil darauf basierender Mega-Armut und der Glorifizierung von Geld und geldbedingtem Scheißverhalten (Tik Tok, Instagram, Sylt) ist dies ein eher nonkonformistischer Standpunkt. Für Gru und Familie zählen andere Werte. Tränenrührig, aber nett.
Und dann der Rest. Sei mit der Handlung begonnen: Zentral scheint es ja um die Rachemotive von Maxime zu gehen, doch der dümpelt mit seiner Flugkakerlake sinnlos in der Gegend herum und scannt aus der Luft irgendwelche beliebigen Straßenzüge nach Gru ab. Erst zum Ende hin bekommt er wieder den Schub, den er zu Anfang aufnimmt – dazwischen übernimmt sinnloser Quatsch die Geschehnisse. Also, noch sinnloser als diese Rachesache. Und zwar eine Menge: Zunächst die neuen Lebensumstände, in denen sich Gru als Familienvater falsch benimmt, Lucy ihren neuen Job in einem Edel-Frisörsalon vergurkt (und in einer „Terminator 2“-Sequenz von ihrem Styling-Opfer durch einen Supermarkt gejagt wird; das sah bei „Shaun, das Schaf – UFO-Alarm“ lustiger und dynamischer aus) und die Kids beim Karatekurs irgendwas erleben. Da resultiert der Witz zumeist aus Fremdscham, das ist nicht besonders einfallsreich.
Auch nicht das, was die gelben, pillenförmigen, Schlumpf-Italienisch quasselnden, dümmlichen Minions veranstalten, die – bis auf die drei wichtigsten – nicht mit nach Mayflower ziehen dürfen, sondern in der AVL-Zentrale Quatsch machen. Müssen. Fünf von ihnen werden zu Mega-Minions, die eigentlich Maxime suchen sollen, aber – das musste der Rezensent nachlesen – tatsächlich lediglich auf ihre übliche ignorant-respektlose Weise Marvel- und DC-Superheldenfilme karikieren sollen. Wer die nicht kennt, bekommt eine unendliche Abfolge müder Gags, wer die kennt, ja, keine Ahnung, ob man dann wacher bleibt. Immerhin ist der Detailreichtum bei Fahrten durch die schlumpfige gelbe Menge insbesondere in 3D beachtlich. Dieses Mega-Programm wird jedoch abgeblasen, und was die fünf Ex-Superhelden danach so treiben, man ahnt es, bekommt im Finale noch eine mehrsekündige Reprise zum kurzen Aha-effektiven Wiedererkennen. Also lauter Kram, der mit einer Handlung nicht viel zu tun hat. Die Heist-Szene mit Poppy ist auch nur drin, damit die Schulleiterin Übelschlecht, die auch im Original so heißt, Maxime auf den Aufenthaltsort von Gru hinweisen kann, und dabei ist dieser Erzählstrang der beste im ganzen Film. Auf den Rest hätte man gut verzichten können. Oder ihn anders verteilen. Wie auch immer: Schlechte Scherze und schlechte Handlung kombiniert mit guten Effekten und einer guten Idee machen keinen guten Film, aber so läuft es eben in Hollywood.
Nun haben also Lucy und Gru zusätzlich zu den drei Adoptivmädchen noch einen Junior, der dem Vater sehr ähnelt – und der neben den Minions sicherlich Material für Spin-Offs bietet. Es darf auch davon auszugehen sein, dass man nicht nur die parallelen „Minions“-Lang- und Kurzfilme fortsetzen wird, schließlich macht inzwischen sogar Volkswagen Werbung mit den nervigen Krakeelos, und auch ein fünfter Teil von „Ich – einfach unverbesserlich“ lässt sich angesichts einer solch dünnen und trotzdem auf anderthalb Stunden ausgeblähten Geschichte wie hier sehr gut imaginieren. Solange das Geld fließt, ist alles gut. Aber Obacht: Wenn’s zu viel Geld wird, kommen die Minions und stellen euch auf dem Tennisplatz bloß!
PS: Jens „Knossi“ Knossalla hat jüngst mit Mickie Krause dessen „10 nackte Frisösen“ neu herausgebracht. Hier spricht er Maxime. Der Sprecher ist mehr Schurke als die Figur.
PPS: Für den Rezensenten gilt: Wenn Animation und Humor, dann Aardman. Wenn Animation, dann Ghibli. Mal so platt-pauschal. „The Lego Movie“ hat aber auch Spaß gemacht, sogar der zweite Teil noch.