Von Matthias Bosenick (06.11.2013)
Mit „Post Partum“ stellt die Belgische Regisseurin Delphine Noels beim 27. Braunschweiger Filmfest ihren ersten Langfilm vor. Darin erzählt sie, wie bei Luce aus einer Wochenbettdepression eine Psychose mit schädlichen Folgen für ihr Baby wird. Hauptdarstellerin Mélanie Doutey spielt die Rolle packend, allerdings wirft das Drehbuch einige Fragen auf.
Mit den Mitteln eines Psychothrillers begleitet Noels Luce von der platzenden Fruchtblase bis zum bitteren Ende. Luce findet weder einen Bezug zu ihrem Baby Rose noch zu ihrer Rolle als Mutter. Für sie ist alles abstoßend, fremd, nicht ihres. Sie eignet sich erforderliche Verhaltensweisen an, verinnerlicht sie aber nicht und erzeugt sie auch nicht aus ihrem Instinkt heraus. Diese hilflose Mutter wird automatisch zur Bedrohung für das natürlicherweise selbst hilflose Kind. Zwischenzeitig driftet Luce in verschwommene Wahrnehmungsstörungen ab. Zuletzt drückt sie Rose ihrer Mutter in die Hand – die allerdings bei Luce‘ Geburt starb
Diese Bedrohung vermittelt Doutey überzeugend. Von Anfang an zeigt sie Verhaltensauffälligkeiten, so wischt sie etwa das Fruchtwasser auf dem Boden einfach weg, nachdem ihre Fruchtblase platzte, und behandelt als Tierärztin stoisch den nächsten Patienten, bevor sie den Krankenwagen ruft. Sie lässt das Baby auf dem Holzboden schreien oder reinigt ihre Brustwarzen mit Chlor blutig. Umso mehr verwundert es, wie zurückhaltend und unbeteiligt Luce‘ Umfeld und Familie in der Folge reagieren. Als Beobachter ist es zwar schwer, eine Psychose bei jemandem zu erkennen; wenn es aber zulasten eines Babys geht und sich diese Psychose nicht mehr in der eigenen Persönlichkeit verstecken lässt, sollten Beobachter jedoch hellhörig werden und Maßnahmen ergreifen. In „Post Partum“ reagieren sie spät, manche Ärzte gar nicht. Womöglich ist das alles realistisch und nur der Zuschauer ist alarmiert, weil er die Hintergründe kennt. Doch gibt es Situationen im Film, die eher unwahrscheinlich sind: Als ihr Mann Ulysse Luce endlich in die Klinik fahren und Rose bei seinen Eltern lassen will, bekommt Luce einen hysterischen Anfall und will Rose noch einmal baden – und Ulysse gibt nach. Nicht zuletzt die Flucht aus der Kliniksbadewanne ist unmöglich. Es ist zudem wahrscheinlicher, dass eine Mutter mit solchen Verhaltensauffälligkeiten auch vom Geburtskliniksärzteteam unter Observation gestellt würde.
Flimisch orientiert sich Noels an den Dogma-Filmen. Damit schafft sie nur selten wirklich beeindruckende Bilder, sondern vermittelt vielmehr eine größere Nähe zu Luce. Die anderen Figuren bleiben dabei eher konturlos. Zwischendurch schneidet Noels dunkle Meeresansichten oder verschwommene Psychosemomente dazu.
Der Film geht sehr wohl unter die Haut, doch mit Blick auf die erzählerischen Versäumnisse fühlt man sich bisweilen betrogen. Nach diesem Muster funktionierte auch „Die Jagd“ von Thomas Vinterberg nicht. À propos dänische Filme: In Dänemark läuft kommende Woche „Sorg og Glæde“ (Trauer und Freude) an, der neue Film von Nils Malmros. Der behandelt ein ähnliches Thema, verlagert aber den Schwerpunkt auf die Zeit nach dem Tod des Babys. Was daran liegt, dass Malmros eigene Erfahrungen verarbeitet. Noels bringt in „Post Partum“ Erlebnisse aus ihrer Studienzeit und ihrer Arbeit in Psychatrien zusammen. Zehn Jahre lang habe sie an dem Drehbuch gearbeitet, verriet sie im Kino in Braunschweig, um es so überzeugend wie möglich auszugestalten. Darüber lässt sich diskutieren, ob ihr das gelungen ist.
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