Von Guido Dörheide (01.07.2024)
Freida McFadden aus New York City ist Besitzerin einer schwarzen Katze und arbeitet hauptberuflich als Ärztin, spezialisiert auf Schädel-Hirn-Traumata. Neben dem Job hat sie schon über 20 Romane geschrieben. Drei davon bilden die „Housemaid“-Reihe, die so heißt, weil deren Heldin Wilhelmina („Millie“) Calloway nach dem Ende einer zehnjährigen Haftstrafe wegen Totschlags verschiedene Jobs als Haushälterin antritt, während derer sie regelmäßig von ihrer Vergangenheit eingeholt wird (wie es zu dem erwähnten Totschlag kam, will ich hier nicht verraten, falls Sie die Bücher noch lesen wollen, auf jeden Fall hatte Millie gute und nachvollziehbare Gründe dafür). Im Zuge der wechselnden Beschäftigungen in verschiedenen Haushalten wird Millie wiederholt Zeugin von Manipulation, Unterdrückung und sexueller Gewalt, wobei nie etwas so ist, wie es zunächst scheint, was in den ersten zwei Bänden immer dann deutlich wird, wenn der erste Abschnitt (erzählt aus Millies Sicht in der Ich-Perspektive) endet und der zweite beginnt (erzählt aus der Sicht einer anderen Person aus deren Ich-Perpektive). Dabei gibt es immer Tote mit ordentlich viel Blut und am Ende fügen sich alle Puzzleteile aufs Wunderbarste und Überraschendste ineinander.
Die Liebste schenkte mir den ersten Band der Reihe, „The Housemaid“, in deutscher Übersetzung („Wenn sie wüsste“) zum Geburtstag und ich war so begeistert, dass ich mir zwei Tage später den zweiten Band, „The Housemaid’s Secret“, ebenfalls auf Deutsch („Sie kann Dich hören“) bestellte und ebenso schnell verschlang wie den ersten. Bei Buchreihen kann es ja immer so oder anders sein: Manche haben nur die identischen Protagonisten gemeinsam und jeder Band kann auch für sich allein bzw. alle Bände in egal welcher Reihenfolge gelesen werden, andere beschreiben die Weiterentwicklung der Charaktere, jedes Mal eingebettet in eine andere Rahmenhandlung, weshalb sie chronologisch gelesen gehören. Die „Housemaid“-Reihe gehört zur zweiten Kategorie, wobei Band 1 und Band 2 auch noch die Gemeinsamkeit aufweisen, dass sie exakt identisch aufgebaut sind und einen sehr ähnlichen Inhalt haben. Was zunächst nach Schema F klingt, funktioniert aber erstaunlich gut, weil beide Plots trotz aller Ähnlichkeiten so viele Unterschiede und Überraschungen aufweisen, dass es mir am Ende schier die Sprache verschlug, wie man mit ein und demselben Rezept für soviel Spannung und Abwechslung sorgen kann.
Im November dieses Jahres soll nun auch der dritte Band der Reihe unter dem Titel „Sie wird Dich finden“ in deutscher Sprache erscheinen. Nun ist der November noch weit, und ich war so gespannt, wie es mit Millie und den ihren Weg pflasternden Leichen wohl weitergehen mag, dass ich bereits im Mai die Buchhandlung meines Vertrauens (Benno Goeritz in der Breiten Straße 20 in Braunschweig) damit beauftragte, mir den am 11. Juni erscheinenden dritten Band in der Originalsprache zu beschaffen. Am 14. Juni schellte der Apparat und mir wurde mitgeteilt, dass das Buch eingetroffen sei. Gleich am nächsten Tag machte ich mich an die Lektüre und fühlte mich gleich wie zuhause: Seit der Handlung des zweiten Teils sind gut zehn Jahre vergangen, Millie hat geheiratet und zwei Kinder bekommen, zieht am Anfang der Geschichte mit ihnen und deren Vater, ihrem Ehemann, von der Bronx in ein Eigenheim auf Long Island (nicht IN Long Island!). Nico, 9, und Ada ,12 Jahre alt, werden gleich mit Namen genannt, während der dazugehörige Vater und Ehemann erst einmal ausführlich beschrieben wird, ohne Nennung seines Namens. Dann kommt er um die Ecke, Umzugskartons tragend und – jahaaa! (freu!) – es ist tatsächlich Enzo, der den Lesenden in Band 1 und 2 bereits ans Herz gewachsen ist. Keinen anderen hätte hier für würdig befunden, diese Rolle mehr als auszufüllen.
Die neue Nachbarschaft ist gelinde gesagt beschissen: Zwar handelt es sich um ein sehr gepflegtes Viertel, Millies Haus befindet sich mit zwei anderen in einer Sackgasse, aber eben deren Bewohner:innen sind das Problem: Da ist zum einen Janice, eine allen und jedem misstrauende Psychosomatin, die ihren Sohn Spencer sicherheitshalber an einer Leine zur Schulbushaltestelle führt, und zum anderen das kinderlose Paar Suzette und Jonathan, eine schleimig-freundlich Giftpfeile verschießende, extrovertierte Immobilienmaklerin und ihr farb- und eigenschaftsloser Mann, der irgendwie als Finanzfritze das große Geld nach Hause trägt. Eben dieses ist bei Millie und Enzo immer knapp, und so dreht Millie jeden Cent mehrere Male um und Enzo arbeitet bis kurz vorm Umfallen als Landschaftsgärtner.
Bereits im ersten Kapitel (das ist so Brauch bei der „Housemaid“-Reihe) wird knietief durch Blut gewatet, ohne dass die Lesenden erfahren, wer die Leiche ist und wer die Person, aus deren Sicht dieses Kapitel verfasst ist. Bis aufgeklärt wird, wie es zu der beschriebenen Situation kam, werden Millie, Enzo und die Kinder in ein Dickicht aus Misstrauen, Vorwürfen, Herablassung und weiteren Vorstadtphänomenen eingearbeitet. Die Lesenden werden dabei von einer Fährte auf die nächste gelockt, und keine ist am Ende die richtige. So erging es mir zumindest, und auch die Hinweise auf der Titelseite (denn in diesem Band arbeitet Millie nicht mehr als Haushälterin, sondern als Sozialarbeiterin, also wer beobachtet hier wen und wer kennt wessen Geheimnisse?) haben nicht dazu beigetragen, dass ich nach einigen Kapiteln nicht noch komplett im Wald stand, so viel Aufregendes und Empörendes passiert in dieser Geschichte. Der Perspektivenwechsel findet dieses Mal nicht im zweiten, sondern erst im dritten Abschnitt statt und es bleibt nicht der einzige, hier erweitert Freida McFadden also ihr in den ersten beiden Bänden entwickeltes Schema.
Die Charaktere sind wieder einmal mehr toll beschrieben (inkl. einem Wiedersehen mit zwei Charakteren aus Band 1 und 2), das Erzähltempo ist rasant und der Stil witzig und von trockenem Humor geprägt. Wer jetzt neugierig geworden ist und gerne in die „Housemaid“-Welt eintauchen möchte, dieses aber lieber auf Deutsch tun möchte, dem seien die ersten beiden Bände aufs allerherzlichste anempfohlen, um die Zeit bis November zu verkürzen. Die Übersetzung der ersten beiden Bände (Astrid Gravert und Renate Weitbrecht beim ersten Band, Astrid Gravert alleine beim zweiten) ist richtig gut, ich habe beim Umstieg vom Deutschen zum Original keinen Unterschied gemerkt, außer eben der Sprache, so dass ich davon ausgehe, dass auch „Sie wird Dich finden“ (wiederum Astrid Gravert, dieses Mal zusammen mit Christina Hackenberg) hier sicherlich keinen Anlass zur Beanstandung liefern wird.
„Wenn Sie wüsste“ und „Sie kann Dich hören“ sind 2022 und 2023 bei Heyne erschienen, die Originale bei Sourcebooks (Hardcover) und Poisoned Pen Press (Paperback).