Jennifer Kowa – Stay Strong – Sireena 2024

Von Matthias Bosenick (24.06.2024)

Mit Jennifer Kowa verhält es sich etwas schwierig: Sie wird für ihre schöne Stimmgewalt gelobt, aber wie immer liegt Schönheit im – in diesem Falle – Ohr des Betrachters, und wenn der von dieser Stimme eher verschreckt wird, fällt der Zugang schwer. Erschwerend wirkt sich der Umstand aus, dass sie in den Achtzigern typische Achtziger-Radiorockmusik machte, die man nun auch mögen muss und bei der es ohne das biografische Hören schwerfällt, nachträglich die Qualität anzuerkennen, wenn einem der Zugang fehlt. Bemerkenswert an „Stay Strong“ ist, dass die Aufnahmen aus dem Jahr 1988 mit KI-Unterstützung erst jetzt für die Veröffentlichung aufbereitet wurden, im Jahre 2024 mithin brandneu sind.

Der Gesang von Jennifer Kowa ist in der Tat beeindruckend, ihre Stimme dringt durch alle Materialien. Und passt perfekt zur Musik. Die ist so Rockmusik mit Synthies und vermutlich künstlichen Bläsern, mal im Blues, mal im Funk, mal einfach geradeheraus und mal balladesk ausgerichtet, eben so abwechslungsreich, wie man es damals war, zwischen Radiopoprock und Altstadtfestbühne. Der Opener „I’m A Woman“ spielt mit dem erst ein Jahr später erschienenen „Black Velvet“-Bluesrock von Alannah Myles, „Break Some Of The Rules“ hat etwas Funk – und mit „Lover Of Your Spirit“ folgt dann doch eine Überraschung. Der Song beginnt mit einem technoiden Bassbeat, über den sich bald eine angefunkte treibende Poprocknummer legt, zu der Kowa ausnahmsweise in tiefer Stimmlage singt, was ihr und dem Song ausnehmend gut steht. Sie bricht eben einige der Regeln, das ist begrüßenswert.

Diese Nonkonformität nimmt sie zwar zu Beginn von „Icebox“ auf, lässt den Song dann aber wieder in den freundlichen Radiopop driften. Nun, Freunde von Mr. Mister, Jule Neigel oder Starship dürften zu dieser Platte fröhlich nicken. Manche Gitarrenarbeit erinnert an Mike & The Mechanics oder Dire Straits und die Achtziger-Synthies sind längst nicht arg so cheesy, wie Achtziger-Synthies in Radiorocksongs es üblicherweise waren. Wenn man die „St. Elmo’s Fire (Man In Motion)“-Bläserfanfaren in „Where Have All The Motions Gone“ mal ausklammert; kurios überdies: „There is still this fire burning in me“ singt sie, ganz wie weiland John Parr. Die Orgel in „I Love You“ versöhnt dann wieder. Und mit dem finalen Quasi-Titelsong „Young Heart“ hält dann endlich auch das Achtziger-Saxophon Einzug in das Album.

Der interessanteste Fakt an „Stay Strong“ ist, dass Jennifer Kowa und ihr Gatte Win Kowa nach dem Aus ihrer Band The Radio noch im gleichen Jahr – das war 1988 – ins Studio gingen und die vorliegenden Songs einspielten. Allerdings, so berichtet die Info, ließen sich aus den verbliebenen DAT-Bändern keine Master erstellen, warum auch immer, das müssen Techniker beantworten. Jedenfalls dauerte es bis zum Jahr 2023, bis das Paar nämlich auf den Dissidenten-Schlagzeuger Marlon Klein traf, der vermittels topmoderner KI-Software auf den bestehenden Aufnahmen die Stimme von den Instrumenten trennte. Der Drummer und Tontechniker spielte flugs neue Rhythmusspuren ein, Win Kowa ergänzte einige neue Overdubs, vermutlich gehören die eingestreuten Gitarren-Soli dazu, und die Stimme blieb wie 1988 – fertig war das neue alte Album.

Möglicherweise ist es diese Vorgehensweise, die die Hörerschaft nun vor richtig schlimmer Achtziger-Sünde bewahrt, denn „Stay Strong“ ist zwar erkennbar ein Kind der Zeit, hätte aber weitaus fürchterlicher ausfallen können. Musikalisch ist das Album also angenehm geraten, zwischen nostalgischer Zeitreise und Zeitlosigkeit, und wenn man auf Jennifer Kowas Art, die Stimme zu erheben, steht, ist „Stay Strong“ ein Gewinn. Ansonsten womöglich eher eine Herausforderung.