Von Guido Dörheide (18.06.2024)
„Ist der Bürgermeister von New York eigentlich immer noch Italiener?“ „Ja, warum sollte jemand aufhören, Italiener zu sein?“ Ich gebe zu, diesen Dialog aus dem Film „Rosannas letzter Wille“, in dem der in Nordafrika geborene Franzose Jean Reno so überzeugend den Italiener spielte („Paris? Das ist doch angefüllt mit Franzosen! Warum sollte ich mich DEM aussetzen???“), komplett aus der Lamäng memoriert zu haben, und der in dem eigentlich eher positiv gedachtem Satz gemeinte Rudy Giuliani hat sich ja inzwischen nicht nur als nicht dummes, sondern auch als kriminelles Schwein, peinlicher Lustmolch (sorry, liebe Molche, mir fiel gerade kein besseres Wort ein!), Trump-Anwalt und -Befürworter einen Namen gemacht, aber Wurscht: Wenn ich mal Zeit habe, eine weitere Sprache zu lernen, wird es Italienisch sein, und wer hat in dieser Sprache schönere Lieder gesungen als Gianna Nannini? Ja OK, Adriano Celentano vielleicht, oder Paolo Conte, aber direkt danach kommt dann auch schon Frau Nannini. Bereits 1979 setzte sie sich in dem Song „America“ mit dem Thema Masturbation auseinander (war das vor, nach oder während Nina Hagen?), später kamen dann die wunderbaren Stadion-Hymnen „I maschi“ und „Bello impossibile“ dazu, und was immer blieb, war diese rauhe, gefühlvolle und immer verletzliche Stimme. Heuer hat Gianna Nannini ein neues Album herausgebracht, kurz vor ihrem 70. Geburtstag am 14. Juni, und an einigen Stellen im Internet las ich, dass dieses Werk sehr schlagerlastig ausgefallen sei. Was ich unbedingt verifizieren wollte, da ich die Künstlerin sehr schätze und „Schlager“ als nichts anderes denn als Schimpfwort auffassen kann.
Ich bin also beigegangen und habe mir „Sei nel l’anima“ angehört, wurde nicht nur ob des Schlagerverdachtes sehr beruhigt, möchte dereinst im Rentenalter immer noch italienisch lernen und feiere Gianna Nannini für das, was sie auf dem aktuellen Album abliefert. Erstmal: Die Stimme ist immer noch die, für die man Nannini hören möchte. Klar finde ich die noch rauhere Performance auf ihren frühen Werken total leiwand, bin aber gleichzeitig der Meinung, dass niemand gezwungen werden sollte, eine so stimmbandzerfressende Performance ewig aufrechtzuerhalten, zumal niemand, der über so eine wunderbare Stimme verfügt wie Gianna Nannini. Um sich davon zu überzeugen, genügt es, einmal Track 4 der CD, „Lento lontano“, anzuspielen. Und anschließend die CD anschließend wieder aus dem CD-Player hinauszuschmeißen und endlich wieder Extreme Metal zu hören??? Nein – das ganze Teil rechtfertigt beim Hören seine Anschaffung – Signora Nannini ist toll bei Stimme, melodisch bekommen wir die gesamte Bandbreite von wunderschönen Balladen („Il buio nei miei occhi“) bis hin zu feuerzeugträchtigem Stadion-Rock („Silenzio“) ab, alles ist ganz wundervoll instrumentiert, wartet mit schönen Melodien auf (für alles bisher Beschriebene: Einmal kurz in „Lo voglio te“ hineinhören…); ich freue mich so, dass eine Lichtgestalt der Rockmusik wie Gianna Nannini hier Jahrzehnte nach ihren Superhits nicht irgendwie verblasst, sondern vielmehr ein Dutzend Songs raushaut, die live gespielt zu werden sich nicht verstecken müssen. Das hymnische „Filo Spinato“ beispielsweise, „Tutta la vita“ oder „Stupida emozione“, das wirklich wunderschön italo-rockig daherkommt, die Hörenden in Italo-Stadionrock und dieser wundervollen Stimme schwelgen lässt, um sie dann mit einer kratzigen Akustik-Gitarre und einer ebenso kratzigen Gesangsstimme der Albumkünstlerin zurückzulassen. Und zum Ende des Albums haut uns die Künstlerin noch „Mi mancava una canzone che parlasse di te“ um die Ohren – ein Fest für Nanninis Gesangsvortrag mit einfacher, aber mit umso mehr Schmackes vorgetragener Akustikgitarre. Ein sehr schönes Album; viel Rock, kein Schlager, viel Gefühl und eine über alle Zweifel erhabene Stimme.