Von Matthias Bosenick (13.06.2024)
Was ist das eigentlich für eine merkwürdige Mode, insbesondere von Indie-Bands, die man eigentlich unter den coolen einsortiert, dass man jetzt – nach Touren mit komplett aufgeführten Hit-Alben – seine alte Musik nochmal neu eingespielt veröffentlicht? The Cassandra Complex, The Wedding Present, jetzt Theatre Of Hate – die Post-Punk-Helden mit dem Saxophon, 1981 aus den unlängst reaktivierten The Pack hervorgegangen und kurz darauf zu Spear Of Destiny geworden, widmen sich heuer in neuer Besetzung ihrem Debütalbum „Westworld“, jenes mit den Clubhits „Do You Believe In The Westworld“ und – zumindest ab den Neuauflagen – „Propaganda“. Das Album war 1983 schon geil, und nun – 2024 ist es das immer noch. Kirk Brandon ist erschreckend gut bei Stimme, seine Mitmusiker haben mehr Wumms als damals und die Songs sind nach wie vor geil. Nun, in dem Sound gab’s zuletzt auch schon wieder neue Studioalben, und eigentlich hätte das auch ausgereicht. Aber fett ist es, das „Westworld 24“.
Ein Song fehlt: Statt „The New Trail Of Tears“ gibt’s eine „Instrumental Version“ von „Conquistador“. Außerdem verkürzte Brandon einige Titel und ergänzt das Album um alternative Mixe von „Propaganda“ und „Westword“, wie der Hit nun heißt, sowie eine Neuaufnahme von „The Hop“, das 1982 als Single erschien. So viel erstmal zu den harten Fakten. Zur Musik – was soll man sagen: Brandon schart ein vorzügliches Line-Up um sich, das weiß man aber auch schon von den vorherigen Alben. Die sind allesamt fett, knackig, rockig, in den Kompositionen einfallsreicher als die anderer altgewordener Rocker, dazu geil gespielt und geil gesungen. Brandon hat auch mit 67 Jahren noch diese durchdringende, glasklare hohe Stimme. Der Drummer wirbelt sich eins ab, dass man kaum hinterherkommt, der Bass galoppiert und groovt und das Saxophon setzt satte Akzente.
Man kann die Musik von Theatre Of Hate natürlich zwischen Post Punk und Gothic Rock verorten, das traf vor 40 Jahren sicherlich mehr zu als heute. Klar, Brandon macht keine oberflächliche Gute-Laune-Musik, aber man bekommt beim Hören trotzdem welche, weil die Musik mitreißt, treibt, erfüllt. Und aktuelle Gothic-Rocker könnten sich mit solch einer Stilfreiheit gar nicht zurechtfinden. Erstaunlich ist hier überdies, dass die Songs in den neuen Versionen gar nicht altbacken wirken – wohl, weil heutzutage jedes Retroding wieder möglich ist, ohne dass es den Eindruck erweckt, veraltet zu sein, und, weil Theatre Of Hate so tight spielen. Und gute Laune kann Brandon auch verbreiten: mit seiner Punk-Goth-Indie-All-Star-Band Dead Men Walking nämlich, deren Mitglieder die Hits ihrer Ur-Bands akustisch zum Mitsaufen darbieten.
Die LP-Version folgt – bis auf die oben genannte Ausnahme – der der ursprünglichen LP, die CD-Version in erweiterter Form der der 1997er-Variante. Schade nur, dass Brandon seine kompakten Tonträger nicht im Presswerk herstellen lässt, sondern sie als CDr verkauft. Zur Band heute gehören neben Brandon: Bassist Stan Stammers (dabei seit 1980), Schlagzeuger Chris Bell (startete seinen Weg mit Brandon bei Spear Of Destiny) und Rockabilly-Saxophonist Clive Osborne. So, und wer jetzt zu sammeln beginnen und damit fortfahren möchte: Studioalben gibt es zwar nur sechs – aber Compilations und Live-Alben wie Sand am Meer. Von Spear Of Destiny noch mehr. Von The Pack bald bestimmt auch. Nur Krik Brandon’s 10:51 nimmt wenig Platz im Regal ein. Aber jeder Platz ist es wert, mit Musik von Brandon ausgefüllt zu sein.