Von Matthias Bosenick (10.06.2024)
Ein schönes vorgezogenes Geburtstagsgeschenkt macht der Künstler sich selbst (und pünktlich auch dem Rezensenten): Bei „66“ handelt es sich um das Alter, das Paul Weller nun hat, und das nimmt er zum Anlass, mal wieder ein neues Album zu veröffentlichen. Es ist, wie alle vorherigen (jüngere Sammler können einem leidtun), natürlich toll geworden, auch wenn Weller hier introvertierter klingt als zuvor. Der Modfather™ kann viel in Sachen Rockmusik und Poptauglichkeit und bringt auch viel unter, obschon die Zeit der Experimente vorüber zu sein scheint. Schade, dass er zwei der besten Songs auf der limitierten Deluxe-Ausgabe als Bonus versteckte, aber wenn man die hat, gibt’s ja keinen Grund, das schade zu finden.
Von wegen schwachbrüstig, der alte Mann hat noch viel Blut in sich, auch wenn er es gerne mal ruhiger angehen lässt. Zum zweiten Song „Flying Fish“ kann man ganz nett tanzen, „Jumble Queen“ zeigt den Britpoppern mit fettem bis schmissigem Bläsereinsatz, wo sie grob nach dem Hammer suchen könnten; je nun: Noel Gallagher arbeitete an dem Song mit, also scheint dieser Hilfs-Epigone doch das ein- oder andere bei Weller gelernt zu haben. Gut, danach wird es schwofiger, doch selbst Schnulzen nimmt man dem Mann ab, „Nothing“ beginnt zumindest wie eine, lieblich und mit Chorbegleitung, aber Weller weiß dezente Pflöcke zu setzen – und zu singen, auch mit damals noch 65, seine Stimme bricht nicht. Wenn Weller sich mit Christophe Vaillant zusammentut, kommen dabei eben auch Chansons heraus, „My Best Friend’s Coat“ und „A Glimpse Of You“ tragen das Überschwängliche, Verspielte, schwer Süße und Dramatische in sich, auch der Sound klingt französisch.
Streicher und Pianoklimpern, greifbare Schwüle, das kann Weller aber auch ohne Hilfe von jenseits des Kanals, höre „Rise Up Singing“; an dem ist indes Dr. Robert beteiligt, seinerseits von den Blow Monkeys und langjähriger Freund Wellers. Beinahe schnulzig geriet „In Full Flight“, für das Weller das Trio White Label verpflichtete. Erst kurz vor Schluss wird Weller mit dem progressiven Stampfbeat von „Soul Wandering“ nochmal etwas ruppiger, inklusive eingearbeitetem Gitarrengniedelsolo, Chor und Bläsern; Bobbie Gillespie von Primal Scream und einst bei The Jesus And Mary Chain liefert hier Schützenhilfe. Mit „Burn Out“ entlässt Weller die Hörenden wehmütig, aber opulent und inbrünstig in den Alltag und diejenigen mit Deluxe-Ausgabe in vier zusätzliche Songs.
Unter denen verstecken sich dann auch noch zwei Höhepunkte: „Wheel Of Fortune“ geht rhythmisch in Richtung – ja, was: Ska, Dancehall, 2Tone? Spezialisten wüssten das besser zu differenzieren. Und „Gotta Get On“ spielt mit Gospel, Blues, Psychedelik und Rock, dass es eine freude ist. Für diese vier Extra-Songs lohnt sich die Mehrausgabe allemal.
Was dem Album fehlt: die fetten Beats, die elektronischen Spielereien, der satte Funk, der rauhe Punkrock, trotz Flöteneinsatz zumeist das Psychedelische, aber nun, Weller hat nix mehr zu beweisen, er kann ruhiger treten und liefert dabei immer noch Qualität ab. Selbst sein Kitsch ist mehr Punkrock als – nun, als so einiges. Was auch fehlt: „That’s What She Said“, das es lediglich als Bonus der Japan-Edition gibt, also nicht einmal als eines der vier Boni der Deluxe-Version. 42 Minuten Album plus 16 Minuten Bonus plus 4:20 Minuten Japan-Bonus, das hätte natürlich alles prima auf eine CD gepasst, aber so exklusiv verfährt Weller mit seinen Veröffentlichungen schon seit Dekaden.
„66“ ist das 17. Solo-Album von Weller, der seine Karriere im Anschluss an The Jam und The Style Council 1992 startete. An „66“ arbeitete Weller drei Jahre lang, was ihn nicht daran hinderte, zwischendurch die Raritäten-Box „Will Of The People“ herauszubringen. Als wären die Regale daheim mit seiner Musik nicht schon voll genug. Noch fieser: Die parallel digital veröffentlichte „Whoosh“-EP ist darauf nicht enthalten. Frech!