Von Guido Dörheide (21.05.2024)
Was für 1 Jahr, liebe Lesenden! 2024 bekommen wir nicht nur neue Musik von Taylor Swift und Dua Lipa zu hören, sondern auch von Billie Eilish. Fehlen noch Lady Gaga und Lana del Rey, aber man kann nicht alles haben. Alle aufgezählten Künstlerinnen sind es jedoch, die mich weiterhin an das Gute in der Menschheit glauben lassen, denn wenn sich alternativer, gefühlsbeladener, intelligenter und sehr schön gemachter Dream Pop bzw. altmodische Discorhythmen mit großartiger Gesangsleistung so gut verkaufen bzw. so zahlreich streamen lassen, dass es sich bei den vorgenannten Künstlerinnen sozusagen um die Crème de la crème des angesagten heißen Scheißes handelt und das selbst mir in meinem zugegebenermaßen hohen Alter, ist es um den oftgeschmähten Massengeschmack nicht allzu schlecht bestellt. „Hit Me Hard And Soft“ („HIT ME HARD AND SOFT“) wurde als ein Album angekündigt, das als solches rezipiert werden soll, und nicht als zusammengewürfelte Ansammlung einzelner Songs, die dann ohne schlüssiges Gesamtkonzept in irgendwelchen Playlists auftauchen sollen. Geschenkt, Frau Eilish, ich bin ohnehin mehr so ein altmodischer Albumhörer, der sich alle Songs nacheinander in der vom Künstler aufoktroierten Reihenfolge anhört und auf sich wirken lässt. Und das funktioniert bei „HIT ME HARD AND SOFT“ wahrhaft auf das Vortrefflichste.
Wie immer hat Billie Eilish das Album zusammen mit ihrem Bruder Finneas O’Connell aufgenommen und produziert und wie immer ist ein Werk dabei herausgekommen, das viel Freude macht, nachdenklich stimmt, trotz der überwiegend ruhig und spärlich instrumentiert daherkommenden Songs an keiner Stelle langweilt und sich vor allem nie abnutzt. Sich Billie Eilish zu überhören geht quasi nicht, da sie keine einfachen Ohrwürmer produziert, sondern eher Songs, die sich vom Ohr aus ins Gehirn bohren und sich dort festsetzen und immer wieder gehört werden wollen.
Woran liegt das, was gibt uns das Album also musikalisch? Also ich persönlich komme eher aus der Indiemusik und sträube mich gegen alles, was irgendwie Radio-Pop ist. Und Billie Eilish holt mich ab, klingt nachdenklich, wenig tanzbar, immer leicht düster und hat eine wunderbare Stimme. „Skinny“, das Eröffnungsstück, beginnt mit einer weichen Gitarre und hingehauchtem bis -geschnauften Gesang, und das mit einer wunderschönen Melodie. Der Text ist dagegen sehr heftig, die Protagonistin hat sich zum ersten Mal verliebt, in einen Freund, was ein gutes Zeichen ist. Und alle bestätigen ihr, dass sie fröhlich aussieht, weil sie sehr dünn geworden ist, aber sie erinnert sich an ihr altes, nicht so dünnes Ich, das immer noch ihr Ich ist und sie weint immer noch.
Im folgenden Stück, „Lunch“, geht es dann weniger zerbrechlich zu: Es geht um ein Mädchen, das die Erzählerin zum Mittagessen verspeisen möchte, und die Hörenden werden in ein irgendwie nicht ganz gut anmutendes Verlangen hineingezogen, das mit haufenweise spannenden elektronischen Geräuschen sowie einem schön trockenenen Schlagzeugbeat untermalt wird. „Chihiro“ beginnt dann wieder ruhiger, Eilishs Gesang ist irgendwie nicht ganz von dieser Welt, Elektronik dudelt erst vor sich hin und schwingt sie dann zu immer höheren Sphären hinauf, um dann irgendwo zu versanden und dann doch nicht: Eilish murmelt und murmelt und irgendwann kurz vor Ende übernimmt die elektronische Untermalung die Federführung, packt mehr und mehr Energie in das Stück, um dann auf einmal abzubrechen und „Birds Of A Feather“ die Bühne zu überlassen, einem wunderschönen Popsong, der zu einem wahrhaft repetitiven Schlagzeugrhythmus einfach nur schön (und das wirklich im Sinne von „schön“) vor sich hinplätschert. Und im Text irgendwie die Liebe bis zum Tod behandelt. Bleib bei mir, bis ich im Grab liege und verrotte, bis das Licht meine Augen verlässt, das volle Programm irgendwie und irgendwann mittendrin kommt es den Hörenden vor, als ob diese Liebe nun doch nicht so ganz das Wahre gewesen sein könne. „Birds of a feather, we should stick together, might change the weather, might not be forever, but if it’s forever, it’s even better.“ Davon bin ich überzeugt.
„Wildflower“ und „The Greatest“ sind groß und geben Eilishs Stimme und Vortrag haufenweise Raum, und dann beginnt „L’Amour De Ma Vie“, ein wahrhaft unglaubliches Stück Musik. Es beginnt beinahe allein mit Eilishs Stimme und plätschert irgendwie nett vor sich hin, im ersten Teil beweint die Erzählerin die Liebe ihres Lebens und fragt sich und sie, ob sie irgendwas falsch gemacht hätte. Musikalisch klingt das Ganze wie ein netter Popsong. Und dann beginnt Part 2. Das elektrische Schlagzeug wird monoton und härter als vorher, der Gesang ist von Autotune verfremdet, auf einmal haben wir es mit einem kühl anmutenden Stück zeitgenössischer Tanzmusik zu tun. Und die Romanze ist vorbei, die großen Gefühle wurden allesamt weggeworfen und es ist alles eine Schande, aber die Handelnden sind wenigstens hübsch. Ach Du Scheiße.
Mit „The Diner“ folgt ein gruseliger, aber tanzbarer Song über eine:n Stalkenden, also ehrlich, beängstigende Texte schreiben und diese glaubhaft interpretieren kann Eilish echt gut. „Bittersuite“ ist einer meiner Favoriten auf dem Album, sparsam eingesetzte Musik, Vortrag und Melodie taugen mir ebenso wie der düstere Text und das ebenso düstere Ende.
Das das Album abschließende „Blue“ knüpft da dran an, einzig das monotone Schlagzeug klingt eine Nummer härter. Und verzweifelt dreampoppig geht das Album seinem Ende entgegen und hinterlässt die Hörenden gut unterhalten, aber leicht verzweifelt, und das nicht ob der Qualität des eben Dargebotenen, sondern aufgrund der Inhalte. Billie Eilish zeigt, wie man große Popmusik mit Düsternis und Verzweiflung kombiniert und damit trotzdem die Massen begeistert.