Von Matthias Bosenick (26.04.2024)
Wie nähert man sich diesem Buch: Im Kontext eines Pferdes, das auf dem besten Wege ist, zu Tode geritten zu werden, oder als solitären Cozy-Krimi? Beides ist möglich – und überraschenderweise funktioniert beides auch ganz gut. Bei den „Rocky Beach Crimes“ handelt es sich um die drölfzigste Methode, aus der ursprünglichen Jugendbuchserie „Die drei ???“ noch mehr Geld zu quetschen; dieses Mal, indem man vertraute Nebenfiguren ganz ohne die titelgebenden Juniordetektive in Buchform eigene Fälle lösen lässt. Den Auftakt macht Justus Jonas‘ Tante Mathilda, der die in der Hauptserie für ihre ungewöhnlich brutalen Geschichten bekannte Kari Erlhoff mit „Tödliche Törtchen“ einen Fall auf den Leib schneidert, der der resoluten Altwarenhändlerin erstaunlich gut steht. Und ohne diesen Serien-Kult-Kontext bekommt man einen Krimi, den eine Schrottplatz-Miss-Marple im Rahmen ihrer Möglichkeiten souverän meistert. Untiefen haben diese letalen Backwerke zwar, doch überwiegt hier das Positive. Drei weitere Bücher liegen in diesem Spin-Off bereits vor: Gentleman-Kunstdieb Victor Hugenay, Ex-Kommissar Reynolds und Erzfeind Skinny Norris sind da die Ermittler. Wann Blacky?
Seit einigen Jahrzehnten ist es ein Running Gag in der Serie, dass Tante Mathilda einen Kirschkuchen backt, der sämtliche Speisen der Welt in den Schatten der Sonne Kaliforniens stellt. Zwangsläufig muss also ein Fall, den diese Frau zu lösen hat, auch mit ihren Backerzeugnissen zusammenhängen, dachte sich wohl Kari Erlhoff – und schafft es tatsächlich, dafür einen überzeugenden Kontext zu bilden. Als Mitglied des Frauenclubs nimmt Mathilda nämlich am jährlichen Backwettbewerb teil, bei dem dieses Mal der berühmte Juror Gregory Weston, ein Schauspieler auf dem absteigenden Ast, ausgerechnet bei der Verkostung des Kirschkuchens tot zusammenbricht. Als Unkenrufe laut werden, dass es sich dabei um Mord gehandelt haben könnte, versucht Mathilda, den Schaden von sich und dem Frauenclub abzuwenden und hinter mögliche Motive zu kommen. Dabei findet sie derer einige, entsprechend viele Verdächtige und letztlich eine Lösung mit dem bei Agatha Christie abgeguckten unerwarteten Täter.
Das macht Erlhoff gut, wie sie Mathilda in die Rolle der Ermittlerin drängt, die sie zunächst gar nicht innehaben will; Mathildas Motivation ist nachvollziehbar und steigert sich, je mehr Erkenntnisse sie erlangt. Man begleitet sie dabei, wie sie durch das Städtchen Rocky Beach eilt, das man hier recht anschaulich dargeboten bekommt, um Verdächtige zu beschatten, Zeugen zu befragen und den Spuren nachzugehen, die sich dabei auftun. Ihr verdrehtes Knie macht ihr Probleme, zudem ist sie komplett ungeübt im „Detektivspielen“, wie sie die Aktivitäten ihres Neffen Justus Jonas und dessen Freunden Peter Shaw und Bob Andrews immer abtut. Und doch überlegt sie im Verlauf der Geschichte bisweilen, wie der erste Detektiv in ihren Situationen vorgegangen wäre. So kommt sie auch auf die Idee, sich die veraltete Karte der drei Jugendlichen auszuborgen, die sie als „ehrenamtlicher Junior-Assistent und Mitarbeiter der Polizeidirektion von Rocky Beach“ ausweist. Die Korktafel mit den Wollfäden und den Kärtchen wiederum guckt sie sich aus dem Fernsehen ab. Mathilda erscheint hier also als die Amateurin, die sie ja ist, und die auch mal über sich hinauswachsen kann, wenn es erforderlich ist.
Derer Szenen gestaltet Erlhoff einige, mit unterschiedlichem Ausgang: Meistens lügt Mathilda das Blaue vom Himmel, um ans Ziel zu kommen, in einem Falle sprintet sie indes mordlüsternen Messerstechern davon. Das ist typisch Erlhoff, passt aber eigentlich ganz gut; den Prolog zum Beispiel gestaltet sie aus der Innensicht des späteren Mordopfers beinahe im Stile von Elmore Leonard, dessen Krimis ja eher weit entfernt von cozy angesiedelt sind. Überdies handelt es sich bei der zu ermittelnden Straftat um einen Mord – das passiert den drei Detektiven in der Hauptserie nicht. Kurios wirkt jedoch der Spagat, den sie zwischen Hard Boiled und Kinder-Slapstick macht: Der Polizist Detective Eugene Clarence wird seiner aggressiven Katze wegen aus seiner Mietunterkunft gejagt und kommt in Justus‘ Zimmer unter; so schräg, so gut, verdonnert ihn Mathilda im Gegenzug zu sisyphosartigen Arbeiten – und hinterlässt ihm einen Zettel mit Hinweisen zu einer illegalen Spielhölle, denen der Jungspund allein nachgeht, um dann das Opfer von Schlägern zu werden und blutüberströmt auf den Schrottplatz zurückzukehren. Das ist gleichzeitig albern und unappetitlich, ganz abgesehen davon, dass das Verhalten beider Figuren unnötiger Blödsinn ist. Eine eindeutige Zielgruppenansprache fehlt hier, und man darf dacon ausgehen, dass es sich bei der Zielgruppe überwiegend um Erwachsene handelt.
Etwas bemüht ist das Gekabbel zwischen Mathilda und ihrem Gatten Titus, andererseits sind es gerade diese Alltagsszenen, die den Eindruck von Zufälligkeit des Ermittlerinnendaseins Mathildas nur verstärken. Interessant ist, dass die Frauenclub-Vorsitzende Eudora Kretschmer mit ihrer egomanisch-ignoranten Geschwätzigkeit im Buch nicht so gut getroffen wirkt wie in den Hörspielen: Die Figur ist mit Monika Werner brillant besetzt und geht einem mit ihrer manipulativen Verschlagenheit wunderbar auf die Nerven, während sie im Buch eher eine kindgerechte Nervensäge zu sein scheint. Der Erlhoff indes positive Seiten zubilligt, das spricht sehr für die Autorin.
Ebenfalls positiv sind die vielen Verweise auf die Hauptserie, die Erlhoff ohne Brechstange einbringt; sie benennt etwa Gebäude, die bereits Schauplätze waren, oder lässt Mathilda einen Schädlingsbekämpfer beiläufig als „Ameisenmensch“ bezeichnen. Den Querschlag zur USS Enterprise musste sich der Rezensent erklären lassen: Earl Grey ist die Lieblingsteesorte von Jean-Luc Picard. Schwierig sind einige eher leere Passagen nach dem Mord, als Mathilda Zeit und Zeilen dafür aufbringt, ohne Mehrwert für die Geschichte Journalisten vom Oper fernzuhalten. Auch das zufällige Lauschen und Mithören sind wiederkehrende Kniffe insbesondere bei den neueren Episoden der Drei Fragezeichen, die so sehr auf Zufall basieren, dass die erwünschte dynamische Entwicklung aus Ermittlungen und Erkenntnissen nicht zum Tragen kommt. Etwas wie mit dem Vorschlaghammer wirkt zudem die geschlechtsgewandelte Polizei-Sekretärin in die Handlung implantiert; da schwächen die zustimmenden Erklärungen die gutgemeinte Motivation ab, die eine beiläufige Erwähnung nachdrücklicher zum Ausdruck gebracht hätte.
Nicht zuletzt muss man als Konsument mit seiner grundsätzlichen Vorstellung von Mathilda ins Gebet gehen: Man kennt sie seit den Siebzigern, stets war sie die Frau auf dem Schrottplatz, die den Detektiven Arbeit aufhalste oder eben einen Kirchkuchen kredenzte, deren Freundinnen im Verlaufe der Episoden in die Jahre kommen und die selbst seit Jahrzehnten schon vielmehr den Eindruck von resoluter, aber angeklapperter Oma als von agiler Tante macht. Dabei müsste sie eigentlich permanent irgendwo Anfang, Mitte 40 angesiedelt sein, auf keinen Fall älter als 50 – da passen einige eingebildete und angedichtete Eigenschaften nicht so ganz ins Bild.
Als Bonus gibt’s übrigens das Rezept des Kirschkuchens, dessen Rezept Mathilda eigentlich nie verrät. Das ist so ähnlich, wie den Pangalaktischen Donnergurgler auszuschenken: In der Fantasie ist er besser aufgehoben.
Kennt man die Drei Fragezeichen bislang nicht weiter, bekommt man mit „Tödliche Törtchen“ dennoch einen Kriminalfall, den man flott wegatmet und der dabei gut unterhält. Eigentlich ist es ein recht klassischer Krimi, der Eingeweihten als Bonus vertraute Namen und Settings bietet. Fans der Serie haben also durchaus einen Mehrwert. Das Buch auch, mit 12 Euro; wer hätte das gedacht, dass der alte Gaul noch so viel Gold in sich hat!